AVATARIUM - Hamburg

02.12.2015 | 07:48

19.11.2015, Klubsen

Von gepellten Enten und Mondpferden!

Hamburg und seine Rock- und Metalfans wird mir immer unerklärlicher. Während an einem Mittwochabend im Oktober drei ähnlich gelagerte Veranstaltungen (EUROPE; ANNIHILATOR, sowie das Paket WOLF/ENFORCER) allesamt gut besucht waren und am letzten Mittwoch 77/DEAD LORD eine rappelvolle Butze bespaßen konnten, ist an einem Donnerstagabend das grandiose Paket mit HONEYMOON DISEASE, THE VINTAGE CARAVAN und AVATARIUM nur mäßig besucht. Ob es am recht happigen Eintrittspreis liegt (28 Euro an der Abendkasse) oder an den recht flauschigen Getränkepreisen (3 Euronen für ein Jever), vermag ich nicht zu sagen. An der Musik kann es nicht liegen, denn AVATARIUM allein ist ja schon Grund genug, den Allerwertesten aus der Furzmulde zu erheben.

Aber eines nach dem anderen. Zuerst waren die Damen und Herren von HONEYMOON DISEASE dran. Wenn ich richtig informiert bin, erscheint das Album der sympathischen Truppe aus Göteborg heute, was im Umkehrschluss natürlich bedeutet, dass kaum jemand das Material der Schweden kennt. Der Retro-Rock der Band um Frontfrau Jenna geht aber so schön nach vorne los, dass man unwillkürlich mit dem Fuß wippen muss. Die Band, die auch optisch adäquat auftritt, spielt sich fröhlich den Arsch ab, allerdings will das Songmaterial nicht so richtig bei mir zünden. Das ist alles ganz gut, mir aber zu schrammelig, um haften zu bleiben. Hooks oder Refrains, die nachhaltig Wirkung erzeugen können, finde ich leider keine. Lediglich die Gitarrensoli der zweiten Dame im Line-Up – sie hört auf den putzigen Namen "Acid" – können immer wieder aufblitzen. Nett, aber nur nett, bleibt mein Fazit. Wer auf DEADHEADS und HELLACOPTERS steht, wird dies eventuell anders bewerten.

Thema: Anders bewerten. Auch von der zweiten Band kenne ich kaum etwas, aber das Trio sorgt schon beim ersten Song für Maulsperre bei mir. So sieht eine mitreißende Performance aus! Basser Alexander Örn  dreht von Beginn an komplett frei und sein Rhythmuskollege im Hintergrund scheint auch mächtig Spaß zu haben. Sänger/Gitarrist Óskar Logi verfügt vielleicht nicht über eine besonders herausragende Stimme, aber er lebt jeden Ton mit seinem kompletten Körper. Das ist wie eine Mischung aus Jeff Waters Gesichtsakrobatik und den Posen der DEATH-ANGEL-Klampfer. Musikalisch liegen hier natürlich Universen zwischen den Vergleichsbands, denn THE VINTAGE CARAVAN spielt High-Energy-Rock mit großem Wert auf "Energie". Während der instrumentalen Passagen fliegen Haare und wackeln Schädel, bis die Verankerung im Nacken zu reißen droht. Die Band gibt permanent 150% und verausgabt sich bis zur letzten Schweißperle. Dieses Engagement ist ansteckend,  so dass auch die kühlen Hanseaten so langsam etwas auf Touren kommen.  Obendrein hat die Band aber auch Songs auf Halde, die sofort in Fleisch und Blut übergehen. Vorgetragen mit dem besten Sound des Abends ergibt das natürlich nichts anderes als absolute Begeisterung von mir.  Da ist dann auch sofort der aktuelle Tonträger in die heimische Sammlung gewandert und freut sich ungeahnter Beliebtheit. Tolle Band!

Nun kommen die Hauptakteure. AVATARIUM, die Band um Leif Edling (CANDLEMASS, ABSTRAKT ALGEBRA, KRUX), der aber erneut nicht mit seiner Anwesenheit glänzt. Für ihn bedient Anders Iwers erneut den Bass. Scheint ein Dauerzustand zu sein. Das ist aber eigentlich völlig Banane, denn als die Band mit 'Ghostlight' getragen in ihren Set einsteigt, steht mein Herz lichterloh in Flammen! Trotz der Schwere in der Musik, empfinde ich die Songs von AVATARIUM extrem warm und positiv. Ob es an der Ausstrahlung der dunklen Lichtgestalt namens Jennie-Ann Smith liegt, die mit ihrer wunderbar klaren Stimme bis in den letzten Winkel des Raumes vorzudringen scheint  oder an der extrem sympathischen Ausstrahlung der gesamten Truppe, kann ich gar nicht genau begründen. Fakt ist: ich scheine mit dieser Meinung nicht allein zu sein, denn ich sehe schon beim ersten Metalakkord etliche Köpfe bangen. Doom ohne Gemüse, dafür mit Himbeeren! Mehr geht nicht. Weiter im Text geht es mit dem Titelsong des brandaktuellen Albums. Diese Nummer ist in ein paar Jahren ein Klassiker. Punkt aus. Das passend zum Artwork des Albums gewählte Outfit von Madame Smith ist ein echter Hingucker und ihre Bühnenpräsenz eine absolute Augenweide.  Es folgt das mächtige 'Bird Of Prey', welches seine Klauen unbarmherzig in die begeisterte Meute schlägt. Auch wenn der Sound insgesamt etwas matschiger geworden ist, stört das niemanden. Die Band interagiert mit dem Publikum und man hat nicht selten den Eindruck einer öffentlichen Probe beizuwohnen, so nah ist man den Musikern. Sehr angenehm. Das ruhige 'January Tree' besänftigt die Gemüter ein wenig, nur um neue Energien für 'All I Want' zu mobilisieren.  Gitarrist Marcus Jidell steht dem jungen Band mit dem Caravan in Sachen "wie versinke ich in meinem Instrument" in Nichts nach. Das ist echte Hingabe.

Beim nächsten Song entschwebe ich dann mal kurz, denn 'Pearls And Coffins' ist auch live ein absoluter Ohrgasmus. Jennie-Ann legt so viel Gefühl in ihre Stimme, man ist einfach komplett gefesselt. Diese Nummer wird am Jahresende sicherlich auf einigen Toplisten zu finden sein. Mit 'Master Thief' und 'Run Killer Run' verweilen wir noch einen Moment lang auf dem aktuellen Album bis dann 'Deep Well' noch einmal so richtig tiefe Emotionskerben hinterlässt. Ich weiß nicht, wie viele Enten hier und heute gepellte werden. Denke ich noch, jetzt mal eben durchatmen zu können, beschließt die Band den regulären Teil des Abends mit dem nächsten Knüller-Knaller. Das Mondpferd galoppiert durch die Halle und alle sind von seiner Schönheit ergriffen. Musik kann so toll sein. Logischerweise folgt als (leider einzige Zugabe) noch die Bandhymne 'Avatarium', bei der Band und Publikum erneut zu einer Musikgemeinde verschmelzen. Danach ist Feierabend. Viel zu kurz, wie wir uns hinterher alle einig sind. Dabei war es gar real gar nicht so wenig Spielzeit. Dann war es wohl nur sehr kurzweilig.

Anyway, Konzerthighlight des Jahres!

Anmerkung: Die Fotos stammen nicht aus Hamburg, sondern aus München einige Tage später.

Redakteur:
Frank Jaeger

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