Archive - München

03.05.2007 | 15:40

11.11.2006, Backstage Werk

Hast du schon mal geheult auf einem Konzert? Nicht Gänsehaut oder ergriffen sein, nein, richtig geflennt? Mir ging's so bei dem wunderschönenen Akustik-Gig von ARCHIVE in der Berliner Kalkscheune, wo das Kollektiv um die beiden Briten Danny Griffiths und Darius Keeler für unvergessliche Momente sorgte. Seitdem hat mich diese Band fest im Griff und die Ankündigung einer Tour hat für wochenlange Vorfreude gesorgt. Ich habe ja ARCHIVE noch nie "richtig", also in voller Besetzung gesehen, doch nun aber ist es endlich soweit und ich bin wirklich extrem gespannt. Denn es hat sich im Lager der Briten in letzter Zeit viel verändert, das neue Studioalbum "Lights" beschreitet neue musikalische Wege und der eher raue, leidende Gesang von Ex-Sänger Craig Walker wurde durch gleich drei verschiedene, unterschiedliche Stimmen ersetzt. Der Amerikaner Pollard Berrier hat eine glasklare, unwahrscheinlich ausdrucksstarke Stimme, Dave Penney ersetzt so ein bisschen das leidende Timbre von Craig Walker und Sängerin Maria Q sorgt für eine stärkere Präsenz weiblicher, an Tori Amos oder Beth Gibbons angelehnter Vocals. Letztere beide wurde auf der Akustik-Tour als neue Mitglieder präsentiert und waren einfach bezaubernd im Duett. Man durfte also auf den Gig gespannt sein!

Schon allein der Anfang des Konzertes war einfach nur genial! Zu den Tönen des 18-minütigen Titeltracks von "Lights" kommen die Musiker einer nach dem anderen auf die Bühne. Der Song beginnt mit der Widerholung eines einzigen Tones und baut sich ganz ganz langsam zu einem Artrock-Ungetüm auf, wie es einfach nur ARCHIVE erschaffen können! Dann kommt Pollard Berrier auf die Bühne, der neue, der Ami, der mit der Gänsehautstimme. Stocksteif steht er da, wie ein schüchterner Schuljunge, regungslos, ohne Mimik und Gestik, und singt: "It hurts to feel, it hurts to hear, it hurts to hide, it hurts to touch" mit einer solchen Dramatik, daß dieser Text zum Leben erwacht, greifbar, fühlbar wird. 'Lights' wird, im Gegesatz zur CD-Version, die einige Längen aufweist, live zum absoluten Orgasmus. Und geht dann nahtlos über in 'Numb', eigentlich einer der schwächsten Songs von ARCHIVE. Aber die Live-Version ist anders! Sänger No. 2, Dave Penney, einer der dünnsten Menschen der Welt, entert die Bühne, leidet wie ein jahrelang gepeingter Häftling in Guatanamo Bay, und ARCHIVE verwandeln den Song in einen Brachialmetal-Haßbrocken, den man eher von Devin Townsends STAPPING YOUNG LAD erwarten würde, aber nicht von ARCHIVE. Was ist denn hier los? Es folgt ein Song, den ich nicht kenne, und mit 'Veins' und den zwei nachfolgenden Songs beginnt dann die große Maria Q-Show: Sie ist genauso ergreifend wie ich sie in Erinnerung hatte. Ihre Stimme kommt live noch viel besser rüber als auf CD, möglicherweise liegt es auch an ihrer unwahrscheinlichen Ausstrahlung, liebe männlichen Leser, was für eine Frau, was für eine Stimme. SOFORT heiraten! Was kann da noch kommen? Genau, die Abgehsongs; angefangen mit dem Tanzfächenfeger 'Fuck U' mit dem fiesesten Hasstext der Rockgeschichte, vorgetragen von Dave Penney mit neuer Melodieführung, wahnsinnig intensiv! Wenn man jemanden hasst, fühlt sich das GENAU SO an! Dann 'Sane' und 'Sit back down' mit mehrstimmigen Satzgesängen. ARCHIVE, mehr sog i ned ...

Ein weiteres Highlight ist 'Black', Berrier und Penney im Wechselgesang beim Text: "Break my bones, you capture then leave me like a villain alone, watch me self-destruct". ARCHIVE sind eine rabenschwarze Band, auch live, ich kann nicht mehr ("See the lights disappear now, roll it over the black")!
Ich hab noch gar nicht richtig kapiert, was exakt hier abgeht, da kommt auch schon 'Again', ein weiterer Longtrack, und was für einer! 'Again' ist die Vertonung des Liebeskummers, des Gefühls, jemanden zu verlieren, der einem viel bedeutet, einen viel Schönes und Gutes erfahren lassen hat. Jeder kennt das Gefühl, aber ARCHIVE machen Musik draus. Wieder die Steigerung, die live noch viel intensiver und großartiger ist als auf Platte. Am Ende zementieren acht Musiker mit zwei Synthietürmen, zwei Bässen und drei Gitarren einen gewaltigen "Wall of Sound", und Dave Penney kreischt "Without your love, you're tearing me apart" in endlosen Wiederholungen ins Mikro. Dann ist auch schon Schluss. Fast. Denn ohne Zugabe können auch ARCHIVE ihr enthusiastisch feierndes Publikum nicht ziehen lassen. Bei 'System' kommt es zur ersten Interaktion der Band mit dem Publikum, das freudig jeden Ton aufsaugt, den dieses in absoluter Perfektion agierende Kollektiv darbietet. Den Abschluß dieses denkwürdigen Abends gibt dann 'Pulse' (bin mir nicht ganz sicher), wieder mit der bezaubernden Maria Q am Mikro, das dann in einer finalen Lärmorgie endet, bei der es alle Musiker noch mal so richtig gewaltig krachen lassen. Man kann mit Worten nicht beschreiben, was ARCHIVE hier kreieren. Deswegen lass ich's sein. Selbst zehn Minuten nach dem Konzertende jubeln, klatschen und feiern die Leute noch ihre Lieblinge, doch leider, leider kommen sie nicht mehr zurück. Schade! Ich wünsche mir, dass ARCHIVE ganz groß werden, so groß, daß sie im größten Stadion der Welt vor zwei Millionen Menschen spielen und mit 'Again' JEDEN zu Tränen rühren. Und ich werde wieder mit dabei sein!

Redakteur:
Thomas Becker

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