BIGELF, BEND SINISTER und JOLLY - München

18.11.2014 | 21:45

03.11.2014, Strom

Der Prog-Rock hat einen Captain Jack Sparrow und sein Schiff heisst BIGELF!

Es ist ein gelungener Abend gewesen, keine Frage! Dennoch möchte ich den Bericht auf Basis einiger kleiner Ärgernisse aufziehen, die mir im Laufe des Abends ereilten.

Ärgernis Nummer eins ist mir schon vor dem Konzert bekannt. Ich weiss, ich muss an nächsten Morgen um 6 Uhr aufstehen und als Konzertbeginn steht 21 Uhr 30 auf der Homepage des schnuckeligen Strom-Clubs. Das heisst, es wird mindestens bis um Mitternacht gehen. Und dann noch heimfahren: mir deucht eine Nacht mit wenig Schlaf. Doch was tut man nicht alles, um auch die sogenannten "kleinen" Bands zu unterstützen!

Eine davon ist JOLLY und damit kommen wir zu Ärgernis Nummer zwei. Weil das ja klar ist, komme ich pünktlich kurz vor halb zehn an und siehe da, JOLLY spielt schon. "Schon" ist gut, ich sehe gerade mal noch zwei Songs! Warum kann man den Beginn eines Konzerts nicht korrekt ankündigen? Ich verstehe es nicht.
Egal. Was ich von JOLLY sehe, ist nämlich sehr toll. Die Band hat sichtlich Spaß und schon den einen oder anderen Drink intus, macht einen unheimlich knuffigen und sympathischen Eindruck und spielt dabei tight wie eine neu gekaufte Lederhose. Ihr harter, moderner Prog Metal ist der beste Beweis, dass rhythmische Komplexität nicht gleichzeitig der Feind der Eingängigkeit sein muss. Hooks sitzen ebenso locker im Ohr wie Breaks. So muss das sein. Nach den Schluss-Track 'The Pattern' bin ich doch etwas traurig, nicht mehr davon gesehen zu haben.

Setlist JOLLY: Carousel of Whale, Joy, Dust Nation Bleak, Where Everything's Perfect, The Pattern

Ärgernis Nummer drei entpuppt sich erst nach ein paar Minuten als ein solches. Wenn man nämlich nicht weiss, wie die Musiker aussehen, kann man schnell in die Irre geführt werden. Und als ein paar lustige, bärtige Hippies die Bühne entern, denke ich sofort, dass könne nur BIGELF sein. Und dass hinterm Schlagzeug kein Mike Portnoy sitzt, wundert mich auch nicht, wieso sollte der schon eine No-Name-Band auf Tour durch europäische Kleinst-Clubs begleiten? Und vor allem hat die Band witzigerweise einen Mike-Portnoy-Lookalike am Bass.

Allerdings merke ich alsbald, dass die Musik nicht wirklich auf BIGELF passt. Was da von der Bühne schallt, ist viel zu fröhlich und auch so rein gar nicht spacig. Man hört zackigen, leicht bluesigen, boogie-artigen Rock mit viel Tasten-Einsatz, jeder Menge Grimassen und guter Laune. Tja, die Band heisst BEND SINISTER und kommt aus Kanada. Und als wirkliches Ärgernis kann man sie definitiv auch nicht bezeichnen, da sie eine gute Dreiviertelstunde wie im Fluge vergehen lässt. Diese lustigen Typen haben musikalisch fast alles drauf: Vom poppigen Indie-Rock über old-schooligen Slow-Blues bis zu proggigen und gar theatralischen QUEEN-artigen Arrangements ist hier alles dabei. Ärgern kann ich mich deshalb nur über die langsam gen Tages-Ende tickende Uhr. Und darüber, dass ich meinen Gehörschutz vergessen habe. Es ist wirklich saumäßig laut hier!

Nach BEND SINISTER wird es jedoch noch interessanter auf der Bühne. Ich erblicke uralte Tastenmonster wie Mellotron, Hammond-Orgel und Mini-Moog. So etwas sieht man in der Tat - trotz Retro-Boom - eher selten in Original auf den Bühnen. Die Neugierde wächst also, auch wenn es ewig zu dauern scheint, diese Viecher korrekt zu verkabeln.

Dann geht es aber endlich los - passend zu Yoda auf der Orgel mit dem bombastischen Star Wars Main Theme - und der Blick geht nun schon ein wenig ehrfürchtig hinauf auf die Bühne. Sagte ich oben irgendetwas von "kleinen" Bands? Nun, BIGELF ist eine Promi-Runde aus der Prog-Champions-Legue. On the drums: Mister Mike Portnoy, diesmal der Echte, bekannt durch DREAM THEATER, TRANSATLANTIC und vieles mehr. Er ist also doch da! On the guitar: Mister John Wesley, auch bekannt von PORCUPINE TREE und SOUND OF CONTACT. On the bass guitar, Mr. Richard Anton, auch bekannt als Mr. Richard Anton von BIGELF. Scherz beiseite, denn dieser Mann braucht sich optisch (Rasta-Mann mit schiefer John-Lennon-Brille und goldrot-lackierten Fingernägeln) und musikalisch nicht vor den Promis verstecken. Ich muss während des Gigs immer wieder auf diesen schrägen Vogel mit seinen potthässlichen Röhrenjeans schauen und schmunzeln.

Tja und in der Mitte steht ER, Captain Prog Sparrow, majestätisch thronend zwischen Hammond und Mellotron, mit schwarzem Zylinder auf dem Kopf: Welcome Mr. Damon Fox! Der Mann ist ein absoluter Blickfang, seine Mimik und Gestik ist ähnlich verpeilt wie die des karibischen Piraten-Käpitäns, hinzu kommt noch eine herrlich extrovertierte Prog 'n' Roll-Attitüde und fertig ist ein sehenswerter Frontmann. Ja, was da auf der Bühne steht, ist auf jeden Fall ein Garant für prog-musikalischen Hochgenuss!

Höchste Zeit also für das nächste (kleine) Ärgernis. Und dieses personifiziere ich nun mal ganz dreist mit dem Namen Portnoy. Dieser Mann kann Schlagzeug spielen, keine Frage, und mit Sicherheit auch wie kein Anderer. Die Drum-Breaks sind zum Staunen und beeindrucken nicht nur den Käpt'n, der darauf extra hinweist. Er zeigt sich stolz, Support von einem solchen Top-Musiker zu bekommen. Doch bei aller Brillanz, was mich manchmal nervt, ist, dass er reinkloppt wie ein Blöder und mit seinen endlosen Fills alles, was sonst noch klangtechnisch fabriziert wird, in den Hintergrund drängt. Klar müssen dann auch alle anderen lauter machen und bald fangen - ich habe es befürchtet - meine Ohren an zu bluten. Okay, selber Schuld, Ohrenstöpsel vergessen, doof, aber muss das wirklich so abartig LAUT sein? Ich sehe auch einige andere Zuschauer, die sich die Ohren zu halten, also tue ich das auch. Und dabei frage ich mich, ob dieses over-the-top-Drumming überhaupt zu dieser spacigen, vom Klangakrobatik und Tonkunst lebenden Musik passt.

Denn "Into The Maelstrom" ist eine wunderbare Prog-Scheibe (Platz 4 im Soundcheck 02/2014; 9-P-Review von Nils Macher) und Damon Fox ein spektakulärer Frontmann, doch etwas Magisches kann diese BIGELF-Besetzung an diesem Abend leider nicht versprühen. Das merkt auch das Publikum, das zwar immer laut applaudiert und sichtlich Spaß hat, aber niemals wirklich aus sich herausgeht. Was vielleicht auch daran liegt, das Fox' Stimme im Mix einfach nicht so Geltung kommt wie auf Konserve.

Das heisst aber, wie gesagt, noch lange nicht, dass das Gebotene auf irgendeine Weise schlecht wäre. Besonders 'Money Machine', zu dem Fox erklärt, dass er mit diesem Song die Band gestartet hat, und das AMPLIFIERige 'Edge Of Oblivion' haben es mir schwer angetan und die waberigen Effekte von den alten Tastentieren liebe ich ja sowie. Das ist sehr toll! Bei der Zugabe 'Incredible Time Machine' streiche ich dennoch vorzeitig die Segel, die Kraft geht zur Neige, die Ohren schmerzen. Aber Jack Sparrow hat ja auch nicht nur in einem Film mitgemacht. Auch BIGELF wird wieder kommen und es gibt keinen Grund, dann nicht wieder hinzugehen, allein schon wegen Damon Fox, einem Prog-Exoten, über den ich mich freue, dass es ihn gibt!

Setlist BIGELF: The Evils of Rock & Roll, Madhatter, Pain Killers, Hypersleep, Alien Frequency, Vertigod, Money Machine, Edge of Oblivion, ITM, Money, It's Pure Evil, Counting Sheep. Zugabe: Incredible Time Machine, Blackball

Redakteur:
Thomas Becker

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