BLOOD INCANTATION und MINAMI DEUTSCH - Hamburg
06.05.2025 | 12:1825.04.2025, Grünspan
Zwei Bands, zwei Volltreffer! Tour-Package par excellence!
Erst einmal danke, dass du dir Zeit für meinen Konzertbericht nimmst. Für das voll umfassende Lesevergnügen empfehle ich aber, dir vorab einmal den Bericht von meinem geschätzten Kollegen Stefan aus Leipzig zu Gemüte zu führen, falls du das bisher noch nicht getan haben solltest. Warum, weshalb, wieso: Dazu gleich mehr.
Heute geht's, wie so oft mit meinem guten, alten Freund und Knipser Thomas im Schlepptau, ins Grünspan, wo sich die US-amerikanischen SciFi-Prog-Deather BLOOD INCANTATION und die aus Tokio stammende Formation MINAMI DEUTSCH die gemeinsame Ehre geben. Von meinen letzten fünf besprochenen Konzerten waren vier restlos ausverkauft. Und auch heute ist die Hütte wieder einmal brechend voll und selbstverständlich: sold out! Ich entsinne mich, dass nach Corona und dem Ende des Lockdowns viele Skeptiker (mich inklusive) prophezeiten, dass man der uns vorher geläufigen Konzert- und Clubkultur lange nachtrauern würde und schlecht besuchte Gigs nun wohl eher zur Regel als zur Ausnahme werden würden.Ich bin heilfroh, dass ich und viele andere letzten Endes hier nicht recht behalten sollten. Jedenfalls hier oben an der Waterkant ist in den letzten Monaten sowohl bei größeren als auch kleineren Veranstaltungen von Konzertverdruss nicht die geringste Spur zu erkennen. Aber so schön und ertragreich volle Läden am Ende auch für alle Beteiligten sein mögen: Mein altes Nervenkostüm ist für derlei menschenverstopfte Veranstaltungen aus vielerlei Gründen nur noch bedingt belastbar. Zu allem Übel schlage ich heute auch noch mit arg lädiertem (wie ich einige Tage später beim Doc erfahren sollte: sauber gebrochenem) Zeh auf und habe ob der Massen an Menschen hier doch ein wenig berechtigten Bammel um meinen armen, rechten Ringotto.
Während Thomas sich Schnappschuss bedingt Richtung Fotograben aufmacht, kann ich glücklicherweise einen bequemen Standplatz an der rechten Theke ergattern, bestelle mir ein Bier, stütze lässig meinen rechten Arm auf der Theke ab und stelle für alle Fälle meinen rechten Fuß mal besser auf, man weiß ja nie. Denn ich habe trotz aller Widrigkeiten jetzt richtig Bock auf die japanische Vorband MINAMI DEUTSCH, von der ich bis heute noch nie etwas gehört habe. Was den jetzt folgenden musikalischen Content sowohl von Vorband also auch der Hauptattraktion angeht, sind meine Beobachtungen erstaunlicherweise nahezu deckungsgleich mit denen von Stefan in Leipzig. Der gute Kollege ist halt ein erfahrener Schreibhase und sein entsprechender Bericht qualitativ eigentlich nicht mehr zu toppen. Trotzdem versuche ich aber natürlich, hier noch den einen oder anderen informativen Mehrwert für euch zu generieren.
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: MINAMI DEUTSCH ist eine der fabelhaftesten und spannendsten Vorbands, die ich in der letzten Zeit sehen durfte und eine der besten Entscheidungen, die man hier für den freien Support-Slot überhaupt treffen konnte. Interessante Wahl deswegen, weil die Musik der vier jungen Herren mit harter und brutaler Musik nämlich so rein gar nichts zu tun hat und dadurch einen angenehmen Gegenpol zum Hauptact bietet. Das "Deutsch" im Bandnamen ist indes kein Zufall, denn die vier mit Unmengen an Talent gesegneten Musiker sind begeisterte Anhänger der deutschen Krautrock-Bewegung der 70er Jahre und dürften wohl die kompletten Diskographien von Bands wie CAN, NEU! Und AMON DÜÜL und vielen anderen Verdächtigen aus jenem psychedelischen und improvisativen Dunstkreis in sich aufgesogen haben. Das muss den Herren augenscheinlich so sehr in Fleisch und Blut übergegangen sein, dass sie nun ebenso spielend in der Lage sind, anhand vier Songs (die immerhin alle drei Alben und eine EP abdecken) und knappen vierzig Minuten das gegenwärtige Rund so sehr in Entzückung und in einen Zustand dauerhafter Aufmerksamkeit zu versetzen, dass dieses noch Minuten nach Verklingen der letzten Töne lauthals nach einer Nachspielzeit verlangt.
Die heute vorbereitete Setliste ist so angelegt, dass es anfänglich moderat und instrumental noch bedeckt und gemäßigt zur Sache geht und die Band sich im Laufe der Spielzeit in einen wahren orgastischen und fieberhaften Rausch spielt, der in lauten hypnotischen Gitarrenkaskaden gipfelt und man sich am Ende fragt, was hier eigentlich gerade genau passiert ist. Möglicherweise muss es sich ziemlich genau so angefühlt haben, als der gute alte FRANK ZAPPA in den 70ern mit all seinen unzähligen Komplizen die Bühne betreten und einfach losgelegt hat. Wird hier vom Blatt gespielt oder von allen Musikerseiten wild vor sich hin fantasiert? Die Antwort wird den meisten Anwesenden hier wohl verborgen bleiben, letzten Endes spielt es aber auch keine große Rolle, wie all die psychedelischen und repetitiven Fragmente und hypnotisierenden Soundkegel zustande kommen. Ich muss spontan an Hartmut Rosas Buch "When Monsters Roar and Angels Sing" denken und weiß glaub ich jetzt, was er dort genau mit seiner Resonanztheorie gemeint hat. Als nach dem Auftritt selbst die Barkeeper Beifall klatschen, ist klar: Wir alle wurden gerade Zeuge von etwas ganz Magischem...
Setliste: Futsu Ni Ikirenai; Grumpy Joa; Can't Get There; I've Seen A U.F.O.Die Pause nutzen wir, um uns draußen an der frischen Luft kurz die Beine zu vertreten und setzen uns bei dieser Gelegenheit noch auf ein Bier und ein wenig Smalltalk vor einen in der Nähe befindlichen Kiosk. Gute zwanzig Minuten später machen wir uns wieder auf den Weg zurück zu BLOOD INCANTATION. Dort laufen noch immer dieselben sphärischen Klangkaskaden wie beim Verlassen der Venue. Es sind eigens komponierte Klänge der Band für eben jene Umbaupausen-Zeit. Irre, diese fuckin' geile Kombo überlässt mal einfach nichts dem Zufall. Der Innenraum hat sich in der Zwischenzeit so weit gefüllt, dass ein vorsichtiges Nachvorne-Schleichen hier heute schlicht unmöglich ist. Zum einen ist die menschliche Assimaten-Quote leider zu hoch (meinem Fotografen wird auf dem Weg in den Fotograben mehrmals einfach der Weg versperrt von wegen: Pech, jetzt steh ich hier! Musst du woanders langgehen.), zum anderen würde mein Zeh bei eben diesem Publikum den Gang nach vorne schlicht und ergreifend wohl nicht überleben.
Somit sichere ich mir einen Platz GANZ HINTEN am Merchstand, als die ersten Töne des KRAFTWERK-Intros in Form von 'Pocket Calculator' erklingen. Die Setliste dürfte sich bei Interessierten einstweilen vermutlich bereits herumgesprochen haben und ist auch heute dieselbe wie auch auf den vorangegangenen Dates: Das komplette neue Werk "Absolute Elsewhere" in chronologischer Reihenfolge, ein Song vom Vorgänger-Album sowie als Zugabe ein Song der 2023 erschienenen 12-Inch Maxi Single. Was die Performance selbst betrifft, kann ich nur ein weiteres Mal auf den hervorragenden Livebericht von Stefan verweisen. Hier und da ist bei bereits gelaufenen Konzerten von leichten bis mittleren Soundproblemen zu hören und lesen. Hier in Hamburg vernehme ich lediglich in den ersten fünf bis zehn Minuten entsprechende klangliche Handicaps, die sich allerdings bereits nach kurzer Zeit wieder in Luft auflösen und im weiteren Verlauf des Abends nichts anderes als einen lupenreinen und glasklaren Livesound freisetzen, der transparenter und feiner wahrlich nicht sein könnte.
Anscheinend hat sich der nicht unfreiwillige Dauerbesuch in guten 50 Meter Entfernung, der von den fünf Bühnenprotagonisten (die Band plus Livekeyboarder, dieses Mal leider nicht der Tastenzauberer der schwedischen Prog Rocker HÄLLAS ist) nur noch Silhouetten im großzügig versprühten Bühnennebel erkennen lässt, als doch ganz schicklicher Move erwiesen. Bestätigt wird diese These dann auch durch Thomas, der sich nach den gestatteten zwanzig Minuten im Fotograben seinen Weg zu mir nach hinten durch den Menschen-Schützengraben bahnt und von ohrenbetäubendem Matschepampen-Sound in unmittelbarerer Nähe zur Bühne zu berichten weiß, aber auch bei mir angekommen zugeben muss: Laut ist und bleibt es auch hier ganz schön, aber dafür eben halt eben mit gutem Sound. Auch ich kann hier die vorzügliche Lichtshow nur in den höchsten Tönen loben und hätte nicht gedacht, dass ich für solch visuelles Brimborium noch so empfänglich wäre.
Aber solange die Person am Lichtpult nicht nur David Guetta-mäßig blind auf irgendwelche Knöpfen drückt, sondern ganz genau weiß, wie man welche Klänge und Sounds visuell umsetzt, lasse ich mir die punktgenau platzierten roten und weißen Lichtkegel doch gerne gefallen. Die Musiker, allen voran jene mit umgeschnallten Saiteninstrumenten, bieten fast durchgehende Headbangerkost vom Allerfeinsten, welche mich irgendwie an die Kopfschüttel-Orgien der guten, alten Zeit erinnert. That's the way I love it! Nach Verhallen der letzten Töne von 'Obliquity Of The Ecliptic' ist dann nach etwas mehr als 65 Minuten Schicht im Schacht. Und auch ich muss hier wie bereits viele Konzertgänger vor mir ein wenig Meckerdampf ablassen, denn von der Hauptband darf man definitiv ein wenig bis meinetwegen auch deutlich mehr Spielzeit erwarten.
Das ist dann aber auch hier der einzige Grund, begründete Kritik vorzubringen, denn in Sachen Intensität und allem Drumherum ist das neben dem OPETH-Gig vor einiger Zeit die eindringlichste und wuchtigste Darbietung des laufenden Jahres. Und das gilt ausdrücklich nicht nur für die in meinen Augen derzeit spannendste und innovativste Musikgruppe auf diesem Planeten aus Denver/Colorado.
Setliste: The Stargate; The Message; Inner Paths (To Outer Space); Obliquity Of The Ecliptic
Text: Stephan Lenze, Fotocredit: Thomas Ertmer
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