Backyard Tire Fire - New York
06.04.2008 | 15:3402.04.2008, Sullivan Hall
Heute mache ich etwas, das ich sonst eigentlich nie tue: Ich klammere den Opening Act (ein Typ namens MATT JENNINGS, der mit Unterstützung eines Bassers und einer Schlagzeugerin englische und spanische Soft-Pop-Gitarrensongs zum Besten gibt) sowie den Headliner (das leicht Ska-lastige Roots-Trio THE BEAUTIFUL GIRLS aus Down Under) komplett aus und widme mich nur der zweiten Band des Abends. Warum? Weil ich mich größtenteils in mir arg fremde musikalische Gefilde begebe, in denen ich mich null auskenne, und mir daher auch kein Urteil erlauben mag.
Was mich einzig und allein in die Sullivan Hall im New Yorker Stadtteil Greenwich Village zieht, ist jene Band, deren Musik irgendwo einmal als "so angenehm kuschlig wie das liebste T-Shirt" bezeichnet wurde und die auf den Namen BACKYARD TIRE FIRE hört. Die Brüder Ed und Matt Anderson sowie Schlagzeuger Tim Kramp haben mich spätestens mit ihrem letzten Album "Vagabonds And Hooligans" restlos davon überzeugt, dass auch eine lässig-entspannte Mischung aus Country, Rock und Blues einem Metaller-Herzen mächtig Laune machen kann. Besonders angetan haben es mir dabei die akustischen, ruhigeren Stücke, wobei sie gepaart mit den immer noch recht gemächlichen Rock-Songs, beides festgehalten in einem wunderbar altmodisch anmutenden analogen und daher sehr intimem Sound, erst richtig Sinn zu machen schienen. Seitdem ich letzten Sommer in die Vereinigten Staaten gezogen bin, stehe ich im Rundbrief-Verteiler der Band, in der Hoffnung, sie eines Tages einmal livehaftig erleben zu dürfen. Und so erfahre ich mit nur einem Tag Vorlauf von diesem Gig. Trotzdem ist ein Platz auf der Gästeliste kein Problem; der in Windeseile antwortende Tourmanager quetscht mich noch drauf. Nett!
Es mag zwar klischeebeladen sein, aber ich habe mir immer vorgestellt, dass die drei Herren aus Bloomington, Illinois, aufgrund ihrer doch eher melancholischen Musik sehr ruhige Zeitgenossen sein müssen. Das Bild, das ich beim Genuss ihrer Musik vor Augen hatte, entsprach dem einer einsamen Dorfkneipe, wie sie auch das Cover der vorherigen Scheibe "Bar Room Semantics" ziert und in der eine Hand voll Landbewohner tiefsinnig in ihr Bier starren, während Ed Anderson seine manchmal traurigen Geschichten besingt. Umso überraschter bin ich, die Jungs vor dem Gig scherzend und plaudernd mit ihren Die-hard-Fans im Publikum anzutreffen, wo sie für jeden ein nettes Wort zu haben scheinen und sich mit ein, zwei gepflegten Bierchen ein wenig in noch bessere Stimmung trinken. Eine gute Stunde später fühle ich mich dann völlig im falschen Film, denn was das Trio verstärkt um einen weiteren, nicht minder sympathischen zweiten Gitarristen namens Scott Tipping die nächsten fünfundvierzig Minuten darbietet, ist eine reinrassige Rock-Show mit nur sehr, sehr wenigen leisen Tönen. Und der Knaller: Ich kenne gerade mal zwei Songs. Dabei dachte ich eigentlich, mit dem Besitz von "Bar Room Semantics" und "Vagabonds And Hooligans" sowie der kürzlich kostenlos (!) als Download zur Verfügung gestellten Akustik-CD "Sick Of Debt" bestens gerüstet zu sein.
Des Rätsels Lösung: Im August ist der dritte Longplayer fällig und heute ein Vertreter der Plattenfirma anwesend, dem man die neuen Babys gleich mal vorstellen möchte. Aber auch sonst soll kein BACKYARD TIRE FIRE-Konzert dem anderen gleichen, wie mir die Band nach der Show verrät. Denn der Grund ihres Vor-der-Show-durch-die-Halle-Wanderns liegt vor allem darin, ein Gefühl für das Publikum zu bekommen, um die Setlist entsprechend zu gestalten. Welche Signale die hiesigen Besucher ausstrahlen, hat man mir nicht verraten, aber ich vermute, die meisten sind doch eher wegen der "schönen Mädchen" (die übrigens gar keine sind) hier. Und lassen sich dann doch überraschend schnell auf die Seite der Formation aus Illinois ziehen.
Nimmt man die hier dargebotenen neuen Tracks als Maßstab, dürfte das kommende Album mehr rocken als "Vagabonds And Hooligans". Was für die Live-Darbietung sicherlich förderlich ist, mich jedoch ein klein wenig enttäuscht. Nix mit die Seele streichelnden Träumereien der Sorte 'Apparitions' oder 'A Long Time', sondern eher Rock 'n' Roll im Sinne von 'The White On My Walls' und 'Downtime', die sich als einzige Vertreter der letzten beiden Platten in die Setlist verirren. Und doch, ich habe Spaß. Denn so schlicht die Kompositionen auf den ersten Blick auch sein mögen, so leben sie doch von der Liebe zum Detail - seien es die mehrstimmigen Gesangsarrangements der Brüder Anderson nebst Gitarrist Tipping, die Keyboard-Einsprengsel, die sich die beiden Gitarristen teilen oder die präzise Schlagzeug-Arbeit von Tim Kramp. Dazu kommt ein gewisser hemdsärmeliger Raubein-Charme, der mich dann doch wieder in meine imaginäre Dorfkneipe versetzt, und natürlich die auch die neuen Werke prägenden lebensnahen und unglaublich warmherzigen Texte. Selbst wenn die Reihen vor der Bühne recht große Lücken aufweisen, BACKYARD TIRE FIRE bestehen aus Vollblutmusikern, die mit ihrer guten Laune auch das spärlichste Publikum anzustecken wissen.
So bin ich nach der Show doch irgendwie stolz, dieser einmaligen Live-Premiere der noch unveröffentlichten Songs beigewohnt haben zu dürfen, und werde weiterhin den Newsletter im Auge behalten, ob sich nicht bald wieder die Gelegenheit ergibt, vielleicht auch mal ein paar meiner Lieblings-Nummern auf einem Konzert zu hören zu bekommen.
Setlist:
No Sense At All
The Places We Lived
The White On My Walls
Time With You
Shoulda Shut It
Everybody's Down
One Wrong Turn
Food For Thought
Jimmy And Bob And Jack
Downtime
How In The Hell Did You Get Back Here?
- Redakteur:
- Elke Huber