Blisstrain 2009 - Berlin
30.03.2009 | 11:1608.03.2009, Festsaal Kreuzberg
Wahrhaft hervorragend war das, und so ganz nebenbei lernt man eine der schönsten Lokationen Berlins kennen.
Das umtriebige Label Exile On Mainstream hat sich wieder einmal etwas Neues einfallen lassen. Nach dem formidablen aber wahrscheinlich finanziell eher idealistisch geprägten South Of Mainstream nun etwas für ausgewählte Clubs. Verfrachtete Andreas Kohl und seine Bagage im letzten Sommer 2008 die Speerspitze derzeitiger sperrig-noisiger Lautmalerei an den Rand eines geheimnisvollen brandenburgischen Gutsparks, so startet der Blisstrain am Siebenten des diesjährigen Märzes im Kreuzberger Festsaal.
Mit BEEHOOVER, WE INSIST!, THE ANTIKAROSHI, OSTINATO und BULBUL ist ja auch hochkarätig waggoniert worden. Das gesamte Konzept ist so einfach wie effektvoll und einige freudige Erinnerungen wert. Es wird abwechselnd auf zwei Bühnen getobt, gefrickelt und improvisiert, dabei werden verkürzte Sets von etwa 30 Minuten gespielt, und die Übergänge sind fließend. Das bedeutet, dass der Zuhörerkreis eingekesselt erscheint, das bedeutet, dass die anfänglich spielenden Berliner THE ANTIKAROSHI nach einer äußerst versierten und einnehmenden Präsenz vom Lautrumms des BEEHOOVER-Schlagwerkers abgelöst werden. Wer die Spaßvögel aus Süddeutschland kennt, weiß, dass die beiden sich solche Gelegenheiten nicht entgehen lassen. Im wahrsten Sinne "erfrischend", was der Sitzbassersänger und das sandalettenbehaftete Pedaltier da wieder abpfeffern. Schön auch zu beobachten, dass sich eine wahrscheinlich gänzlich unvorbelastete Noiseschnupperjugend direkt vom Duo zum beherzten Dauerkopfschütteln animiert fühlt. Vor-Ort-Übernahme, das freut jeden Musiker. Die Anfangzwanziger rasten augenscheinlich aus.
Dort oben auf der Galerie, welche den Festsaal hufeisenförmig umschmiegt, lässt sich so etwas herrlich beobachten. Der Klang ist zwar zwangsläufig schlechter, und genau drei Meter über den wilden Rhythmuswechseln BEEHOOVERS schnarrt es einem die Löffel weg, aber anzusehen ist das allemal wunderbar. Und dann kommen die ersten Gäste der Tour: Malte Seidel, seines umfänglichen Zeichens nach Frontschütze der Dunkeldüsterdepressionsschwergewichte BLACK SHAPE OF NEXUS darf einen mitmachen. Zunächst wippt der sich bedrohlich nah am Basshaken in das getragene Stück, um dann die überflüssige Wollmütze auf die Kabel schnippend, wie vom Kreuzbergdämonen befallen und das Weiße in den Augen überquellend "Soooorrrrrooowwwww!" auszubersten. Dankbar das Publikum, welches sehr heterogen erscheint, so viel Leidenschaft gewahr zu werden. Artig bedankt sich der Mann und wird im etwa 150-köpfigen Gewühl anerkennend benickt bis beschulterklopft.
Ganz ein feiner Kontrast dazu erscheint dann scheinbar schüchtern und mit einem Cello bewaffnet auf der Hauptbühne, die dem bärtigen Duo gegenüberliegt: Hannah Murray, tätig bei A WHISPER IN THE NOISE oder nun bei THEMES, grundiert ein weiteres Stück der beiden, welches dadurch einen etwas avantgardistischen Touch erhält. Das ist der Beweis, es mit einer der ideenreichsten und spielwütigsten deutschen Bands zu tun zu haben. Sowieso fällt auf, dass hier mehrzählig höchstens Dreihauptcombos oder eben Zweihauptcombos die Szenerie prägen. Wohltuende Reduktion aufs Wesentliche. Außer, und da nehmen wir es vorweg, den Franzosen WE INSIST!, die mit ihrem gebrochenen, durchgefluxten Jazznoise gleich mit Fünfen auffahren.
Aber OSTINATO, die sich knappe zwei Wochen später offiziell aufgelöst haben wollen, lösen erst mal BEEHOOVER ab, durchbrechen jedoch mit ihrem Stilbruch keineswegs den Fluss des Abends. Der Dreier aus Pennsylvania und Washington hat mich schon bei diversen Vorgigs überzeugt, was er auch heute wieder schafft. Neben den etwas gesetzteren ruhigen postrockigen Fragmenten ist das Riff nach zweifünfzig in 'Jagganath' Grund genug, hier zu erscheinen. Was für eine Galaxie an Tönen da auf einen herniederregnet. Das ist für die Insel.
Neben mir steht der hoch aufgeschossene Klischeefranzose und singende Schlagzeuger von WE INSIST! "Bülbül, yeah!" – insistiert er. Soll heißen, dass auch er sich an der einfach mitreißenden Art des österreichischen Trios Infernale vorerfreut. Und nicht enttäuscht wird. Dessen Strukturen sind so herrlich einfach wie verkorkst gestrickt, dass trotz der vielfachen Ideenmischung nie ein beklopptes Konzert herausspringt. Apropos: So langsam springen hier alle mit, vom Merchandise-Bewacher bis zur unterkühlt-freundlichen Bardame wippt das gesamte Heer fröhlich mit. Selten bis gar nicht gesehen bisher auch eine einfache Stockpause von zwei Minuten, in der der gesamte Bandkörper erstarrt nach vorn, zur Seite, auf die eigenen Hände starrt. Irgendwann wird immer ein Bejackter nervös und senft lustige Sprüche, so auch hier. Das aber ist kein intellektueller Protest oder so etwas, das ist reine Unterhaltung. Umso öfter BULBUL zu sehen sind, umso liebevoller die Erinnerung. Als DYSE-Jari dann noch per Gitarrenaufrüstung den Übergang der Österreicher zu den bereits benannten Franzosen moderiert und sich das alles in ein wahres Inferno heraufsteigert, sind die Zuhörer hier vollends überzeugt. Die Köpfe springen nach rechts, nach links, aber irgendwann ist nur noch ungläubiges Staunen zu erkennen, ist man doch direkt in einem Schaffensprozess mehrerer Vollblutmucker gelandet.
Großartig dieser Abend, den wir mit beherzten, doch den an sich zuhörintensiven WE INSIST! beschließen. Während wir an der Avus vorbeidunkeln, laufen New-Wave-Kohorten durch unser Auto, und wir beschließen - aufgestachelt und musikalisch bereinigt - Tankenbier zu besorgen und erst ganz spät/früh schlafen zu gehen. So soll das sein.
- Redakteur:
- Mathias Freiesleben