Bolt Thrower - Hanau

30.04.2006 | 19:57

28.01.2006, Halle 2

Seitdem die Live Arena zu Münster-Breitefeld zumindest ihre metallischen Pforten geschlossen hat, sah es im Rhein-Main-Gebiet zunächst etwas düster mit Konzerten aus. Zum Glück konnten einige Nach Aschaffenburg verlegt werden, andere sollten dann in der Halle2 in Hanau stattfinden. Diese liegt mitten im Gewerbegebiet, welches in der Umgebung in etwa dem Ort, wo die Sonne nie scheint sehr nah kommen dürfte. Dank meiner Drängelei sind wir natürlich überpünktlich vor Ort, also noch was futtern vor dem Einlass. Der ist dann aber gar nicht wie im Netz und auf der Homepage angekündigt um 18.30, sondern eine ganze Stunde später. Danke auch! Also vor der Eiseskälte die Flucht ergreifen und wieder ins halbwegs warme Auto und warten. Als sich die kleine Tür zur Halle2 (wo ist eigentlich die Halle1? - geistreiche Frage der Verfasser) endllich öffnet, dauert es eine geschätzte halbe Ewigkeit, bis das mittlerweile massenhaft versammelte Bangervolk Einlass erhalten hat. Lesen kann scheinbar auch keiner, dafür aber umso besser Brüllen, und irgendwie kommt man sich nicht wirklich behaglich vor in dieser an ein Jugendzentrum erinnernden Halle. Alles etwas siffig, in der Pissrinne auf dem Klo staut sich das Abwasser (erste Wetten werden abgeschlossen, wann die Brühe überlaufen wird - lecker) und eine Zapfanlage für's Bier ist auch nicht da. Dafür halt Umfüllen aus der Flasche in Plastikbecher. Nochmal lecker. Und ganz besonders toll ist auch, dass MY DARKEST HATE schon loslegen, bevor die Hälfte der Leute in der Halle ist. Hätte man da den Einlass nicht vielleicht 'ne halbe Stunde vorverlegen können?
Egal, Laune vermiesen lassen ist nicht bei diesem geilen Package, das noch MDH als Special Guest zu bieten hatte. Rein ins Vergügen:
[Rouven Dorn]

MY DARKEST HATE
Während wir noch geduldig in der Eiseskälte auf den Einlass warten, dringen die ersten Töne von MY DARKEST HATE nach draußen. So wie mir geht's auch den restlichen Besuchern, denn, obwohl der groovige Death Metal geradezu zum andächtigen Kopfschütteln einlädt, ist bei den meisten nicht daran zu denken. Erstmal ist Aufwärmen angesagt, was im Laufe des Abends dann auch zu viel des Guten ist, aber dazu später mehr. Erster Blickfang ist Bassist Oliver Schort, der mit einem "Muss Menschheit vernichten"-Shirt die Aufmerksamkeit auf sich zieht, aber ansonsten mit seiner Kurzhaarfrisur wie ein Bankangestellter wirkt. Was das Stageacting des Quintetts angeht, so wird zu Beginn der Songs meistens synchron gebangt, bevor die Köpfe der einzelnen Mitglieder sich selbst überlassen werden. Allen voran der glatzköpfige Bassist singt die Refrains und zum Teil die Texte für sich mit, natürlich mit einer ordentlichen Gesichtsakrobatik versehen, die zum Teil in die "Mad Butcher"-Ecke tendiert. Ich weiß zwar net wie es den meisten anderen Besuchern ergeht, aber das Fußwippen bereitet mir schon Schwierigkeiten, da meine Füße nach der langen Schlangenwarterei es nicht unbedingt als nötig empfinden relativ schnell wieder aufzutauen. Zwar werden hier und da ein paar Köpfe geschüttelt, aber insgesamt sind die Reaktionen auf die gebotene musikalische Klasse eher durchschnittlich. Ferner ist noch erwähnenswert, dass sich die Jungs bei NECROPHAGIST bedanken, weil sie über ihre Anlage spielen dürfen. Nach knapp dreißig Minuten räumen die Jungs die Bühne und werden mit Höflichkeitsapplaus verabschiedet. Nun ist es an NECROPHAGIST, den mittlerweile akklimatisierten Besuchern eine Lektion in komplexem und punktgenauem Death Metal zu liefern.
[Tolga Karabagli]

NECROPHAGIST

Zum Aufwärmen waren MY DARKEST HATE genau richtig. Und mittlerweile sind auch die Besucher nicht mehr halb erfroren, trauen sich näher vor die Bühne, wo sich im Verlauf der Umbaupause eine ordentlich große Truppe an neugierigem Langhaarvolk versammelt. Als dann Muhammed Suiçmez mit seiner Chuck-Schuldiner-Gedächtnisklampfe die Bühne betritt und die Band mit 'Stabwound' loslegt, kommt das erste Mal richtig Bewegung ins Publikum. Begeisterung, fliegende Haare und gereckte Fäuste - aber auch offene Münder, staunende Augen und seliges Grinsen in den Gesictern. Wenn man nicht gerade damit beschäftigt ist, zu den straighteren Parts die Matte kreisen zu lassen, möchte man eigentlich ohne Unterbrechung auf die Bühne glotzen: Hannes sitzt gebückt vor seinen Drumkit, bolzt im ICE-Tempo und visiert seine Becken wie ein Raubtier auf der Jagd, flankiert wird das von den Griffbrett-Kunststücken der drei Saitenakrobaten. Wer auf Technik in atemberaubender Geschwindigkeit steht, der erlebt hier sein wahres Eldorado. Richtig abgehen kann man ohnehin nicht länger als eine halbe Minute, wenn einen ein abruptes Break aus dem Takt wirft oder der Vierer mal wieder das Tempo anzieht und drosselt. Ehrlich gesagt hätte ich nicht erwartet, dass NECROPHAGIST so gut bei den Fans ankommen, sind sie doch mit Abstand die "schwierigste" Band im Billing, die auf den ersten Blick gar nicht so recht zu BOLT THROWER oder NIGHTRAGE passt. Aber weit gefehlt: in den Songpausen gibt's viel Applaus, und am Ende der guten vierzig Minuten sogar Zugabe-Rufe. Klasse, dass diese ungeheuer begabte Band auch derart viele Verehrer hat! Etwas schade war nur, dass Muhammads Gesang etwas zu leise abgemischt war, teilweise ertönten die filigranen Gitarren-Riffs und -Soli auch etwas zu leise und gingen im mächtigen Wumms der Drum-Batterie unter. Spielte dann keine große Rolle, wenn einem Abrissbirnen wie 'Epitaph' sanft den Schädel zertrümmern. Schweinegeil! Kann mir bitte jemand meine Hände amputieren?
[Rouven Dorn]

NIGHTRAGE

Nachdem NECROPHAGIST die Menge mit technisch perfektem Gefrickel so beeindruckten, dass einige musikalisch begabte Kollegen ihre Hände als nutzlose Teile betrachten, wird es Zeit für etwas bodenständige Kost. Da kommt die griechisch-schwedische Knüppelfront NIGHTRAGE wie ein Faustschlag ins Gesicht und bringt die verwunderte oder auch bewundernde Menschenmenge schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Wer allerdings jetzt Shouter-Legende Tompa (der sich auf Platte die Ehre gibt) live erwartet hatte, wird enttäuscht und bekommt stattdessen den Kahlgeschorenen und mit Tattoos übersäten Brüllwürfel Jimmie am Mikro, der mit seinem eigenen Schrei-Stil einen leichten Metalcore-Touch ins NIGHTRAGE-Lager bringt. Doch auch Gus G., der Mann mit den vielen Bands, fehlt auf der Bühne und wird vom (nun ehemaligen) NECROPHAGIST-Klampfentalent Christian Muenzner bestens vertreten. Trotz Lineup-Wirrwar wirken NIGHTRAGE wie ein gut eingespieltes Team und lediglich das oft eintönige Gebrülle von Jimmie nervt ab und zu. Es kann halt nicht jeder ein Tompa sein... ;-)
[Caroline Traitler]

Setliste:
Being Nothing
Phantasma
Reallity Vs Truth
Elusive Emotion
Descent Into Chaos
Release
Omen
Frozen
The Tremor

MALEVOLENT CREATION
Nach den eher enttäuschenden NIGHTRAGE stehen MALEVOLENT CREATION auf dem Programm, die immerhin schon seit 1987 ihr Unwesen treiben. Nach einem sehr stylischen Intro macht die Truppe um Frontröhre Brett Hoffmann ordentlich Dampf in der Halle2. Während der eine Gitarrist ein UP FROM THE GROUND-Shirt vom vorletzten Jahr zur Schau stellt, kann der Bassist mit einem "Shit"-Aufkleber auf der Brust glänzen. Aber um mal ehrlich zu sein: Scheiße sind die Jungs keinen Meter, denn wie sonst lässt es sich erklären, dass zum ersten Mal an diesem Abend gepogt wird bzw. Crowdsurfer zu sichten sind. Zwar ist der Bewegunsgradius der Band gleich Null, aber dafür wird die Lockenpracht der einzelnen Bandmitglieder ordentlich zersaust. Allen voran Brett Hoffmann strahlt ein unglaubliches Charisma aus und ist einfach nur happy, der Meute einen ordentlichen Hassbatzen nach dem anderen zum Fraß vorzuwerfen. Seine Bandkollegen stehen ihm in nichts nach und liefern den idealen Soundtrack für eine ordentliche Portion "good friendly violent fun"! Soundtechnisch erinnern mich die Jungs - trotz ihrer langjährigen Präsens auf dem Todesbleibmarkt - an eine schnelle Version von SLAYER. Allen voran die Midtempoparts, aber auch das Drumming tendieren doch sehr stark in die Richtung. Das tut aber der guten Stimmung keinen Abbruch, und so bangen, pogen und surfen sich die Fans den angestauten Frust vom Leib. Mit dem Titeltrack der vorletzten Scheibe "The Will To Kill" findet nach vierzig Minuten ein kurzweiliger Gig sein Ende. Jetzt ist genau der perfekte Zeitpunkt für den englischen Death-Metal-Panzer, der jeden Nackenwirbel unbarmherzig aufs Härteste strapazieren wird.
[Tolga Karabagli]

Sehr cool! MALEVOLENT CREATION hör ich immer mal wieder gerne, aber auf der Bühne habe ich die Band noch nicht erleben können. Und das macht mal richtig Spaß: Die Truppe ist sichtlich gut eingespielt und hat ein mächtig hohes Aggressionspotential. Da fragt man sich doch wieder, warum sie eigentlich nie so richtig groß geworden sind - egal aus welcher Schaffensperiode hier typisch US-amerikanische Todesbleigeschosse abgefeuert werden, das hat alles seine Klasse und gewissen Stil. Schade, dass die schier endlosen Line-Up-Querelen da wohl etwas im Weg standen. In dieser Form sind MALEVOLENT CREATION auf jeden Fall eine Bereicherung für jede Tour und in diesem Fall die perfekte Vorbereitung für BOLT THROWER.
[Rouven Dorn]

BOLT THROWER

Zeit für Frontberichterstattung! Da die Umbaupause vor dem Headliner etwas länger dauert, kann man sich rechtzeitig einen Platz im vorderen Drittel sichern, bevor es richtig voll wird. In der Halle mittlerweile nach massenhaft Trockeneisnebel und schwitzenden Körpern keine Spur mehr von der Kälte, die draußen vorherrscht. Es ist stickig, es müffelt und es riecht nach Metal. Als das martialische Intro beginnt, kennt die Begeisterung im Publikum keine Grenzen mehr, als die Briten mit '' loslegen, fühlt man sich wie auf dem Schlachtfeld. Nach ein paar Sekunden bildet sich der erste Moshpit, es wird noch enger, noch stickiger. Bei so wenig Raum fällt das Schütteln des Haupthaars schwer, weshalb der Moshpit immer mehr Anhänger findet. Karl Willetts feuert die Menge unablässig an, rennt über die Bühne und röhrt mit seiner unverkennbaren, rauchigen Stimme ins Mikro, untermalt die walzenden Kompositionen der Panzerfahrer von der Insel geradezu perfekt. Ansonsten findet der Großteil der Bewegung sowieso im Publikum statt: Von der Bühne bis in die letzte Ecke der Halle sieht man fliegende Haare, Crowdsurfer und vereinzelte Moshpits, die sich gegenseitig an Intensität zu überbieten versuchen. Waren BOLT THROWER jemals weg? Es scheint, als sei gerade mal ein Jahr vergangen, seitdem sie 2002 mit BENEDICTION die Bühne das letzte Mal betraten. 'For Victory' wird angekündigt, die Leute drehen durch, gehen ab und freuen sich 'nen Wolf: Ein mir unbekannter, langhaariger Hühne walzt auf mich zu, umarmt mich breit grinsend und blökt ein "Mann, was ist das geil!" in die Runde. Recht hat er! Eine solche Death-Metal-Party hätte ich Erzählungen nach vielleicht auf dem Party.San erwartet, aber nicht bei diesem Hallenkonzert. BOLT THROWER-Gigs sind scheinbar immer was Besonderes - und bei 12,50 für die Karte ist es auch kein Wunder, dass die Halle2 bis in die letzte Ecke gefüllt und somit ausverkauft ist. Für einen Gig wie diesen nimmt man sogar die etwas suboptimalen Bedinungen vor Ort nur wenig murrend in Kauf, denn spätestens nach über einer Stunde Briten-Todesmörtel überwiegt die Erkenntnis, dass viel mehr Metal, Energie und kollektives Abdrehen kaum noch möglich ist. Klatschnass geschwitzt, ziemlich außer Atem brüllt man noch den Refrain von 'Mercenary' mit, noch mal freudig grinsen, bangen, Schluss.
Irgendwie kommen einem die Unkenrufe der Marke "früher war alles besser" nach einem solchen Erlebnis arg unpassend vor - bei BOLT THROWER lebt sie noch, diese Magie, die so viele als verloren beklagen.
[Rouven Dorn]

Redakteur:
Rouven Dorn

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