Burgnächte Rosslau - Rosslau

29.09.2005 | 00:10

23.09.2005, Wasserburg

Kommt es oder kommt es nicht? NOCTULUS beschwört an diesem frühen Abend die Ankunft des Black-Metal-Raumschiffs mit 23 Quadratmetern Grundfläche. Es ist Samstag, noch drei Bands sollen auf den ersten Burgnächten in Rosslau spielen. Und NOCTULUS? Das ist jener bärtige Zeitgenosse, der sonst immer beim Wave-Gotik-Treffen sein kleines Zelt am Hauptweg neben der Agra-Halle aufgebaut hat und samt Hund, einer Pseudo-Ritterrüstung und einer alten Anlage seine mies produzierten Black-Metal-Klänge durch die Nacht schallen lässt. Bei den Burgnächten nun beantwortet er schon zwei Mysterien um seine Person: Die mitgeführte Klangproduktionsmaschinerie kommt aus einem Chemnitzer Kaufhaus und seine Lieder singt er nicht für die Fans, sondern für seinen Hund, "weil dem meine Stimme so gefällt." Es ist nur eins der vielen Erlebnisse bei den Burgnächten, die auf kleinem Raum zeigen, wie verschieden die Gothic-Szene im Spätsommer 2005 vor sich hin tickt.

Da sind am ersten Tag zum Beispiel FORMFLEISCH aus Leipzig, die sich nach drei Mini-Platten schon eine größere Fangemeinde in Leipzig erspielen konnten. Ihr Sound lässt sich als Dark Wave beschreiben, konventionell, nichts die (Musik-)Welt Bewegendes eben. Mit einer originelleren Show gehen SCAREGROW auf die Bühne. Sänger MH Scary besticht durch seine violette Anzug-Optik und biegbar-beweglichen Körpereinsatz zu harten Elektroklängen, angereichert mit einem recht hohen Gitarrenanteil von Klampfer Axeman. Die gute Live-Show wird auch von dem wenigen Platz auf der Bühne nicht behindert, Mr. Scary windet sich im Zweifelsfall einfach durch und bietet überdies in langsamen Passagen feinsten klaren Atmo-Gesang. Dazu zwei Keyboarder mit allerlei Soundfinessen - bei soviel Abwechslungsreichtum gerät der etwas zu lange Weg zwischen Parkplatz und eigentlichem Zeltplatz schon fast in Vergessenheit. Obwohl, dieser kleine Punkt ist wirklich nur für Dauer-Nörgler interessant - da gibt es bei den Burgnächten noch ganz andere Mecker-Punkte. Einer heißt DOWN BELOW, Band Numero Drei, die direkt aus Rosslau kommt. Die Jungs haben zwar gerade erst mit "Silent Wings: Eternity" ein Debüt mit einem recht coolen Textkonzept über den legendären ägyptischen Pharao Tut Anch Amun veröffentlicht, doch scheinen sie live vor allem auf Coverversionen zu setzen. So müssen die HEROES DEL SILENCIO herhalten, dazu noch DEPECHE MODE. Die eigenen Songs klingen, naja, nicht viel besser, recht melodischer Gothic Rock mit einer Prise Metal eben - also blanker, langweiliger Durchschnitt. Dazu ist Sänger Neo-Scope mit seinen halblangen blonden Haaren und dem arischen Körperbau ein Selbstdarsteller vor dem Gehörnten, sein weißes Hemd öffnet sich von Song zu Song mehr und entblößt eine goldene Kette. Huihui. Zum Ende hin erscheint noch eine als Psychoqueen Dara Pain vorgestellte Zweitsängerin - mit einer Stimme, die das Wort Barbie-Queen geradezu provoziert. Und Stunden später nach dem Gig? Da ist Neo-Scope betrunken...
(Henri Kramer)

...und macht Frauen an, so wie am folgenden Tag auch. Auf weniger Selbstdarstellung inklusive einer Mini-Stripvorstellung setzen WISSMUT. Sie folgen als nächstes und kommen aus der Erbmasse der Leipziger Kultband DIE ART. Die altersmäßig durchmischte Band wird durch Frontmann Makarios repräsentiert, der mit sehr vorsichtigen Bewegungen und seinem zarten Augenschließen versucht die harten Gitarrenriffs von Thomas "Gumpi" Gumprecht zu unterstreichen. Es folgen Songs wie 'Sonne und Mond', von der ersten 4-Track-CD und vom aktuellen Album "Bi". Doch der Kontrast der Gitarren wirkt zum melancholischem Gesang eher ermüdend als interessant und einige Textzeilen lassen vermuten, dass die Jungs mittlerweile eher auf Gothic-Rock-Schlager setzen. Auszüge: "...Stern vom Himmel fällt, wenn er vom Himmel fällt, bin ich immer noch bei dir..." ... "... in den Augen perlt der Mond..." ... ".. Das Gift deiner Lippe ist so schön...". Trotzdem sind einige Fans da. Es fehlt nur noch, dass diese anfangen zu schunkeln. Als Kuschelkontrast läuft nach der Show im angrenzenden Torhaus der Kurzfilm "Puzzle-Punk". In dem fünfminütigem Film, der von Autor Christian von Aster produziert wurde, geht es um einen Punk, dargestellt von Bela B., der sein Leben als Puzzle betrachtet. Er versucht "die richtigen Teile zur richtigen Zeit" zusammen zu bringen und geht dabei seiner ganz eigenen Strategie nach. Der Streifen läuft an diesem ersten Festivaltag abwechselnd mit dem Kurzfilm "Kein Blut. Nirgends.". Ebenfalls ein Produkt von Christian von Aster. Wem die Kurzfilme nicht genügen, der kann sich im Verlies unterm Burghof unter anderem das Byron-Hörspiel "Der Vampyr" anhören. Oder eine Lesung besuchen: Der Journalist Oliver Baglieri tritt zusammen mit einem Leipziger Schauspieler - Pseudonym: "Miller" - auf und erklärt die Welt. Ansonsten bleibt immer noch die Hauptbühne - für all diejenigen, die bei WISSMUT nicht eingeschlafen sind, gibt es dort nun die LEGENDARY PINK DOTS. Sie bilden den bisherigen Höhepunkt des Abends und stechen mit ihrer Musik deutlich hervor. Die 1980 in London gegründete Band klingt eher psychedelisch und experimentell als nach Mainstream-Gothic. Nicht nur musikalisch sondern auch optisch lassen sich kaum Ähnlichkeiten zu den Vorbands finden. Sänger Edward Ka trägt lange, schwarze Kleidung, einen dazu passenden roten, langen Schal und eine Sonnenbrille. Seine Bewegungen sind sehr gelassen und versprühen zusammen mit seiner Stimme eine unheimliche Ausstrahlung, die den Blick des Publikums geradewegs nach vorn gerichtet lässt. Ebenfalls cool wirken die diversen Instrumente, wie das Saxophon und die Klarinette, die von Phil Knight gespielt werden - er trägt eine Leopardenfellanzugsjacke - oder die Hammond-Orgel, wie sie auch schon DEEP PURPLE benutzten. Futuristisch, aber immer noch rhythmisch, klingen auch die etwas lauteren Songs. Perfekte Drogenmusik?
(Franziska Böhl)

In der Tat bieten die legendären Pink-Punkte die willkommene Abwechslung für Lieberhaber von psychedelisch wirksamen Mittelchen. Musikrichtung: Psychedelic-70's-Reggae-Gruft-Wave. Nach einer Band wie WISSMUT die Wunderkur gegen aufkommenden Missmut und die perfekte Gelegenheit für ein entspanntes Gerstenkaltschalen-Getränk, im kleinen 0,3er Becher für 1,50 Euro im Angebot. Jupps, die Kulisse passt fantastisch zum Auftritt der altersweise grinsenden Herren auf der Bühne, der idyllische Burghof von Rosslau wird zum gruftigen Hippie-Paradies. Und die Drogen? Wer lang genug Patchouly schnüffelt, sieht auch bunte Farben. Solche Bewusstseinstrübungen besitzt auch ein Mittvierziger, der während den letzten Bands des Abends immer wieder herum brüllt, mutmaßlich sucht er den Edeka-Markt, vor dem er wohl sonst immer sitzt. NOCTULUS unterdessen hält sich noch zurück, mag die Darbietungen der Bands heute nicht stören. Ob soviel Höflichkeit bei GARDEN OF DELIGHT angebracht gewesen wäre? Ok, sie sehen sehr cool aus, die drei Lovecraft-Verehrer um Sänger Artaud Seth. Mit Ledermantel und Sonnenbrille entert er die Bühne, in der Hand eine schwarze Flagge mit irgendeinem ultrabösen Symbol darauf - wahrscheinlich aus dem "Necronomicon" von Lovecraft direkt übernommen. Zu ihrem neuen Album "Lutherion" steht zusätzlich auf der Homepage: "Das Wortspiel aus Martin Luther und Mega Therion, dem 666. Biest der Apokalypse, standen symbolisch Pate um den Europäischen Pseudo-Glauben heidnischer Art - dem Christentum - und seine modernen Abwandlungen zu thematisieren und einen festen Blick hinter eine verborgene nordisch-satanistische Tradition zu werfen." Yeah. Im Gegensatz zum martialischen Gehabe klingen GARDEN OF DELIGHT einfach nur wie alter Elektro, den andere Bands schon seit Jahren besser spielen. Die drei Musiker und der Drumcomputer im Hintergrund schaffen es damit nicht, ihre pechschwarzes Image in die Hirne der Zuschauer zu projizieren. Ein wenig härter als FIELDS OF THE NEPHILIM klingen sie am Anfang, im Verlauf der Show werden sie ruhiger, langsamer und eben noch langweiliger. Trotzdem besitzt ein Track wie das letzte Stück 'Stigmata' durchaus ein wenig Feuer, doch zeigt er auch, dass die Band nach 14 Jahren und 14 Alben ihre besten kreativen Zeiten schon hinter sich hat. Zeit für einen erneuten Blick ums Festivalrund: Im Burghof nebenan brutzeln kurz nach Mitternacht immer noch leckere Hanfbrote mit Pilzfüllung vor sich hin, die nebenan stehenden Mittelalter-Stände mit dem üblichen Tand haben schon zu. Wie die Hanfbrote, so ist das meiste Essen auf dem Festival recht günstig. Und beim Schmatzen des Mampfs ist garantiert auch irgendwo ein Feuerspucker oder -schlucker zu sehen, der ein wenig mit dem Flammen spielt - nette Festivalatmosphäre in jedem Fall. Die zusätzliche Unterhaltung ist bitter nötig, denn CINEMA STRANGE lassen ihr Publikum während ihrer Umbaupause lange warten. Frieren. Zum Glück hilft ein prasselndes Lagerfeuer in der einsetzenden Kälte. (Henri Kramer)

Doch dann kommt Bewegung ins Spiel. Die Aufbauarbeiten beginnen und die drei Jungs von CINEMA STRANGE tauchen auf der Bühne auf. Erste hektische Fotos werden von den Fans geschossen, die schon seit einigen Vorbands in der ersten Reihe stehen und warten - zwei Mädels beschweren sich schon über die vielen Fotografen, die sich um sie herumdrängen. Dass CINEMA STRANGE beliebte Knipsmotive sind ist verständlich, denn verrückt sehen die drei definitiv aus. Sänger und Gründungsmitglied Lucas "Zampano" Lanthier macht den Eindruck, als wolle er mit seinem Hut einen asiatischen Reisbauern darstellen. Daniel "Yellow" Ribiat ist ebenfalls Gründungsmitglied und Bassist in der Band. Er trägt neben den überwiegend weißen Klamotten eine Staubmaske. Gitarrist Mik "Lafitte" Ribiat hingehen passt optisch weitaus besser zu "Zampano", denn auch er verlässt sich auf schwarze Kleidung. Sein Gesicht ist weiß geschminkt und der Hut wirkt irgendwie seltsam. Aber so ist das wohl in einem verrückten Kino: Alles ist etwas anders. Vor allem die Musik ist gewöhnungsbedürftig: Leichte, ein wenig surreale Töne tröpfeln von der Bühne und "Zampano" lässt mit seinen recht gezielt gesetzten Worten auch den hohen Gesang als s-p-e-c-i-a-l erscheinen. Doch den Fans gefällt es und Frauenliebling "Yellow" muss nicht viel machen, damit sie gröhlen. Hier wird etwas gezupft, da wieder geklimpert, ein wenig getänzelt und noch etwas rumgetufft; Freude erstrahlt in den Gesichtern der ersten Reihen. Alles ist hier eben irgendwie anders und minimalistisch. Aber die hohe Kunst von CINEMA STRANGE ist leider nicht für alle verständlich und so leert sich langsam der Platz vor der Bühne. Zusätzlich überlagert in den hinteren Plätzen die beginnende Diskomusik aus dem Torhaus nebenan die Darbietung der Kalifornier vom grande theatre curieux.
(Franziska Böhl)

Die Kreativen lassen sich aber nicht beirren. "Mooooonlight" betet "Zamapano" hoch-fistelnd den Mond an, operesk-wiegend im Sound aus hynotischer Zupferei und bedächtigem Klimpern - eigentlich hätten CINEMA STRANGE auch die Filmmusik von Tim Burtons "Nightmare Before Christmas" komponieren können. Ein Fan mag das nicht verstehen: "Solche Musik machen wir auch im Proberaum beim Üben." Nach etwas mehr als einer Stunde sind CINEMA STRANGE fertig, nun kann die Disko ohne Konkurrenz die verbliebenen Zuschauer zum nächtlichen Tanz anlocken. Da fehlt nur noch der heiße Met für die kühlen Temperaturen - Honigwein gibt's aber bei den Bürgnächten leider nur in kalt...
(Henri Kramer)

Redakteur:
Henri Kramer

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