CASPIAN - München

15.12.2010 | 22:17

12.12.2010, Kranhalle

Laue Lüfte, steife Brisen, Gewitterwolken und Eisstürme: CASPIAN fegen über München hinweg.

Nach einem guten Essen ein Gourmetkonzert zum Abschluss des Tages - was kann besser sein? Dachten sich auch zwei meiner Kollegen, die ich aus dem tibetanischen Restaurant entführen konnte - wie ich Freunde instrumentaler Klänge. Eigentlich hatten wir uns schon auf GOD IS AN ASTRONAUT gefreut, die ursprünglich als CASPIAN-Support hätten fungieren sollen.

Die leise Enttäuschung über die Abwesenheit legte sich aber schnell, denn EF waren ein mehr als gleichwertiger Support. EF? Das ist eine schwedische Post-Rock-Band aus Göteborg, die immerhin schon seit 2003 aktiv ist und bereits ihre zwölfte Tournee spielt, wenn ich die Ansage richtig verstanden habe. Allerhand. Der Post-Rock von EF gehört zur eher gemütlichen Sorte der Marke SIGUR ROS oder phasenweise MOGWAI, die unser lieber Knuddelpeter sicher als langweilig bezeichnen würde. Die Musiker nehmen sich sehr viel Zeit, die Töne werden oft stehengelassen, die Klänge sollen beim Publikum einwirken, es verzücken. Gekonnt wird die Slide-Gitarre eingesetzt, atmosphärische Sprachsamples eingestreut, bis sich der Song allmählich auftürmt und am Ende in eine obligatorische Explosion mündet. Das Schema ist zwar bekannt und vorhersehbar, aber immer wieder schön. Punktabzug gibt es allerdings für die Versuche, die menschliche Stimme einzubringen. Gleich zwei Bandmitglieder bemühen sich, ihre dünnen Stimmchen in den Sound einzufügen. Waren sie allein schon falsch, so war das Duett grausig. Abgesehen davon aber Daumen hoch für eine originelle Post-Rock-Band und ihre vier Songgeschichten, die sie uns erzählt hat.

Doch nun zu CASPIAN. Vor einem Jahr war ich schon schwer beeindruckt von den Livequalitäten der Amis aus Beverly, Massachusetts. Seitdem sind CASPIAN eigentlich ständig unterwegs, in den USA, Kanada, dann auf einer ausgedehnten Europatour mit mehr als vierzig Gigs hintereinander. Auf solchen Touren wachsen Bands in der Regel zusammen, und auch CASPIAN sind gewachsen. In der Tat, was die nächste gute Stunde passierte, war eine der magischsten und energetischsten Liveshows, die ich die letzten Jahren erlebt habe.

Zunächst einmal sind alle CASPIANs beeindruckende Personen: muskulöse, aufgeladene, bärtige Rocker.  Ohne großes Geplänkel ging es direkt in die erste Lärmorgie bestehend aus drei Gitarren, die wie dreitausend klingen, einem Einfingerbasser, der irgendwie erfolgreich gegen die Gitarrenwand anspielt und deutlich hörbar seine Akzente setzten kann, und einem Berserkermonstertier als Schlagzeuger.

Der Sound ist absolut faszinierend, die hohe Gitarre (natürlich Gibson Les Paul) schwebt über allem und bringt immer wieder Melodie in dieses unglaubliche Inferno. Aber CASPIAN wären kein Post-Rock, wenn sie nicht auch das Laue und Leise beherrschten. Die cleanen Gitarren zerbrechen fast, das Publikum versank andächtig, und es war auf einmal ganz still. Erinnerte irgendwie an die Stimmung bei MONO, auch wenn CASPIAN musikalisch eher in die LONG DISTANCE CALLING-Richtung gehen, allerdings ohne Metalriffs.

Trotzdem rocken CASPIAN, und die ersten zwei Reihen tickten aus, als CASPIAN die nächste musikalische Raserei veranstalteten. Ich möchte wetten, dass CASPIAN bei Sonnenuntergang auf dem Rock Hard Festival (ein Traum, der nie wahr werden wird, füchte ich ...) Tausende von Musikfans verzücken würden. Denn die Musik ist trotz ihrer Längen und ihrer Verträumtheit vor allem eins: unglaublich kraftvoll! Also warum sollte ein Fan von PRIMORDIAL oder ENSLAVED nicht auch CASPIAN gut finden? Ein guter Einstieg in ihre Musik wäre z. B. die Zugabe 'Sycamore', der Abschlusstrack des aktuellen Albums "Tertia". Der Song gibt alles her, was CASPIAN anbieten können: laue Lüfte, steife Brisen, Gewitterwolken und Eisstürme. Am Ende des Songs schnappte sich dann jeder CASPIAN einen Teil des Schlagzeugs und trommelte solange wie wild drauf herum, bis die Gitarren in der Unendlichkeit verhallten. Am Ende gab es rundum zufriedene Gesichter, und auch meine beiden Kollegen haben zu keiner Sekunde bereut, das schwere Essen bei CASPIAN verdaut zu haben anstatt im heimeligen Wohnzimmer.

Redakteur:
Thomas Becker

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