Cannibal Corpse (Listening Session) - ... irgendwo in der Nähe von Ulm...

11.11.2003 | 10:34

01.11.2003,

Ein unscheinbarer Lagerbau. Die schmale Treppe hoch zum zweiten Stock wird von flackernden Kerzen beleuchtet. Eine Tür, dahinter beginnt ein langer Gang. Weiße Bettlaken säumen den Weg, rote Blutspritzer verheißen Gutes. Eine Kettensäge röhrt, der Duft von frischem Kerosin hängt in der Luft. Der Ort für die Vorstellung des kommenden CANNIBAL CORPSE-Albums “The Wretched Spawn” ist perfekt gewählt. Zum Staunen bleibt wenig Zeit, die anwesende Journalistenschar wird schnell mit ein paar frisch gezapften Bier versorgt. Dann ertönt auch schon “The Wretched Spawn”, an der Wand werden Bilder eines äußerst brutalen Schwarz-Weiß-Comics gezeigt.

Und, Überraschung, CANNIBAL CORPSE machen auch 2003 keinen Hip Hop. Die “Elende Brut“ zeigt die Kannibalen vielmehr von ihrer besten Seite, auch wenn diese nicht unbedingt neu ist. Vielmehr halten die US-Boys auf “The Wretched Spawn” konsequent am Stil der letzten Platten fest: Hochtechnischer Überschall-Death Metal mit hunderten Riffs und der Aggression einer durchgedrehten Elite-Kampfgruppe, hier bolzt sich ein straighter Hassbrocken durch die Anlage. Dreizehn Songs stehen auf der Platte, beim ersten Hören gibt’s keine Ausfälle. ‘Severed Head Stoning’ ebnet den Weg mit irrer Geschwindigkeit vor, schon hier fallen die typischen CANNIBAL CORSPE-Trademarks auf: Abwechslungsreiche Riffs und verrückte Tempowechsel fressen sich ins Gehirn, besonders die Übergänge zwischen den einzelnen Songteilen klingen ungemein organisch, sind nahezu perfekt. ‘Psychotic Precision’ ist dafür ein gutes Beispiel: Das Stück beginnt als Klopper, hektisches Gitarrenfiepen gibt dem Song eine leicht chaotische Note. Zwischendurch walzt ein Mid-Tempo-Part alles nieder. Gerade der stetige Wechsel zwischen Hyperfast und den mittelschnellen Passagen erzeugt eine geradezu sengende Brutalität. ‘Decency Defied’ ist ein ähnlicher Fall, steigert sich der Song doch von einem mörderischen Groove zu Beginn in eine fast grenzenlose Gewalt-Orgie. Metal Blade-Mann Micha hält da schon nichts mehr auf seinem Sitz, laut feuert er die noch etwas unentschlossen wirkende Journalistenschar an. Den Schreibern bleibt kaum Zeit zum Atmen, der High-Speed-Angriff von ‘Frantic Disembowelment’ reißt die Luft vor den Boxen auseinander, ein kurzes Break in der Mitte des Songs bildet nur den Zwischentakt zur weiteren Jagd nach neuen Ebenen musikalischer Zerstörungswut. Die Hatz nach diesem Zustand ist erstmals bei ‘Rottet Body Landslide’ in Gänze erfolgreich: Das Stück bietet nicht nur einen vertrackten Refrain bei Tempo 200, sondern auch göttliche Ausflüge ins groovende Land des Mid-Tempo-CORPSE-Sounds. Dazu noch dieser geniale Songname - bisher der beste Track. ‘Cyanide Assassin’ ist dagegen wieder durchgängig schnell und besticht mit seinen geilen Gitarren-Soli in der Metzel-Halbzeit. ‘Festering In The Crypt’ fällt aus dem ICE-Tempo heraus, der Song ist die Straßenwalze des Albums. Denn hier geht es schon fast doomig zur Sache, ein fettes Riff trägt den Song in die verruchten Tiefen einer Zombiegruft. Fast hört man die Untoten schmatzen, nur begräbt die unmenschliche Stimme von George “Corpsegrinder” Fisher sämtliche Nebengeräusche unter sich. Der CC-Shouter klingt nach wie vor wie ein Besessener, wer denkt da noch an Chris Barnes? Denn was der “Corpsegrinder” etwa bei ‘Nothing Left To Mutilate’ aus seinen geschundenen Stimmbändern herausholt, spottet jeder Beschreibung. Der Song besticht im Mittelteil durch ein grandioses Hammer-Riff, das mit donnernden Double-Bass-Attacken verfeinert ist. Vor und nach dieser Attacke ist der Song ordentlich vertrackt, hier kann sich der “Corpsegrinder” austoben. Denn ständig growlt und kreischt er so, als ob es die krassen Stilwechsel innerhalb eines CC-Songs nicht gäbe. Schon allein wegen dieser Technik wirken die Übergänge in den Stücken so fließend. ‘Blunt Force Castration’ und der Titelsong ‘The Wretched Spawn’ sind für diesen Stil weitere Lehrbeispiele, mit fast beängstigender Leichtigkeit prügelt sich der Sound von CANNIBAL CORPSE zwischen die Schläfen. Inzwischen wird auch klar: Zwar sind die Songs von “The Wretched Spawn” durchgängig etwas kürzer ausgefallen, dafür klingt die Platte aber auch immens abwechslungsreich und frisch. Keine Ausfälle, auch ‘Slain’ überzeugt. Alleine dieser Song besteht aus mindestens acht verschiedenen Themen, wirkt dennoch gut strukturiert und bietet derben Bangstoff in jeder Sekunde seines massiven Klangs. Wie zur Bestätigung, dass es die Kannibalen mit ihrer Extrem-Kunst wirklich ernst meinen, schallt jetzt ‘Bent Backwards And Broken’ aus der Box: Corpsegrinders Organ ist die Peitsche, die diesen Klopper vorantreibt. Mit ‘They Deserve To Die...’ endet das Massaker, der Refrain wird das Mitsing-Erlebnis der nächsten CANNIBAL CORPSE-Tour: “They deserve to DIIIIIEEEEE!!!” Wosh!!!

Leicht geplättet, das Album gibt der Worthülse “Intensive Härte” eine frische und drückende Bedeutung. CANNIBAL CORSPE haben sich mit “The Wretched Spawn” zwar nicht neu erfunden, ihren Stil aber weiter perfektioniert. Dies sieht auch Gitarrist Jack Owen so, der extra für die Listening Session aus Florida gekommen ist und entspannt sein Bier schlürft: “Wir wollten ein Album aufnehmen, das für jeden Fan etwas bietet. Old-School-Stuff, technischen Kram...” Ok, das Ziel scheint nach dem ersten Höreindruck erreicht, die Fans dürfen sich schonmal freuen. Wird sich denn Deutschlands meiste Jugendschützerin Christa Jenal über das Album, besonders über das Cover, freuen können? Jack: “Sicherlich, sie wird es mögen. Es sieht sehr brutal aus und zeigt eine Frau, die gerade ein Alien gebiert. Zwei Doktoren helfen ihr dabei...” Gleichzeitig mit den Aufnahmen zum neuen Album kam für die Kannibalen die gute Nachricht, dass sie inzwischen schon eine Million CDs verkauft haben. “Das hätten wir in unseren wildesten Träumen nicht gedacht, als wir damals mit unserer Musik begannen”, meint Jack erstaunt. Passend dazu kommt demnächst eine Jubiläums-Box zur 15jährigen Bandgeschichte heraus. “Sie zeigt die gesamte Entwicklung der Band”, ist Jack sicher. Der Inhalt klingt schon einmal vielversprechend: Vier Scheiben sind dabei, zwei davon eine Best-Of. Der Rest sind unveröffentlichte Songs, drei Live-Shows gibt's auf einer DVD dazu. Nur die deutschen Fans müssen wieder Abstriche machen: “Wir können nach wie vor keine Songs der ersten drei Alben veröffentlichen”, ärgert sich Jack. Also ab und die Box in Amiland bestellen: “Sie wird wohl um die 55 Dollar kosten”, sagt Jack. Am Ende des kurzen Talks geht es um Motivation: Woher nehmen die Kannibalen denn ihre, um jedes Album noch einen Tick ausgefeilter zu machen? Von den Touren, erzählt Jack: “Wenn irgendwann einmal keine Leute mehr zu unseren Auftritten kommen, dann sollten wir Schluss machen.” Die nächste Tour in Deutschland wird sicher nicht dieses Ende besitzen, bei den No Mercy-Festivals um Ostern herum spielen CANNIBAL CORPSE unter anderem zusammen mit HYPOCRISY. Außerdem sind Gigs bei den großen Sommerfestivals geplant. Und was sagt Jack zur neuen SIX FEET UNDER? “Sie ist gut. Sie werden sicher viele neue Fans mit dem Album bekommen.”

Nachdem das Informations-Bedürfnis gestillt ist, geht es zurück zur Party. Die CORPSE-Platte soll noch den restlichen Abend über laufen, ähnlich flüssig wie der CC-Sound bewegt sich das Bier aus dem Zapfhahn. Weitere zentrale Erkenntnisse: Auch Jack Owen bekommt von zu viel Bier irgendwann eine leichte Schlagseite, ist aber immer noch zu kleinen Späßen aufgelegt. Der Rest der Journalistenschar bekommt ebenfalls leichte Anzeichen des übermäßigen Alk-Genusses zu spüren, irgendwann kommt eine Axt zum Vorschein. Mit der geht’s über die Tische her, die in Wirklichkeit nur dicke Baumstämme sind. Auch die Motorsäge röhrt wieder, Metal Blade-Micha scheint in seinem Element. Irgendwann ist das Buffet alle, die Kräfte erlöschen, der Alk wirkt...
Fazit vor dem finalen Vergessen: Death Metal-Jünger müssen Anfang 2004 in die Läden, da kommt etwas ganz Fettes auf euch zu!

Redakteur:
Henri Kramer

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