Carnivore - Berlin

06.12.2007 | 06:44

04.12.2007, Columbia-Club

Am Ende regnet es blutige Tampons. Zwei junge Hühner - in der amerikanischen Slangsprache auch als "chicks" bekannt - haben sich zwischen den Jungs von CARNIVORE postiert und fischen die blutigen Hygiene-Artikel aus einem handelsüblich blauen Plastikeimer mit (Kunst)-Blutfüllung. Ab und an hüpfen die beiden Mädchen dabei herum, eine ist völlig entblößt, die andere trägt zumindest einen Hauch Stoff. Das Publikum johlt, auch Peter Steele muss grinsen. Gerade hat er mit seiner Band knapp eine Stunde lang gewütet als wäre er noch zwanzig Jahre jünger. Und nun sieht er kaum geschafft aus, nur die blutige Metzgerschürze ist ein wenig verrutscht. So kommt das Fazit schon jetzt: Nach so einem Gig wie im Berliner Columbia-Club muss einem nicht mehr ganz so bange um Peter Steele sein. Denn im Gegensatz zur letzten Tour mit TYPE 0 NEGATIVE präsentiert er sich ausgeschlafen, energiereich und witzig - und fällt nicht einfach sturzbetrunken um wie noch auf der Wacken-Bühne in diesem Sommer.

Dabei fängt das Konzert ziemlich gewöhnungsbedürftig an. Das liegt auch ein wenig an RAGING SPEEDHORN. Wer hat diese Band überhaupt eingeladen? Die Briten klingen eben nach modernem Metalcore, zwar noch in seiner angenehmen Variante, aber dennoch unpassend vor einer Legende wie CARNIVORE. Doch nach etwas mehr als 30 Minuten ist der Spuk vorbei. Und die lange Zeit des Wartens setzt ein. Ehe Herr Stahl nämlich die Bühne betritt, dauert es, jede Flasche Wasser muss an seinem richtigen Platz für den Meister stehen - und auch die obligatorische Wein-Pulle darf nicht fehlen. Gänzlich eine Qual wird es, da während der Pause die gesamte Zeit über '99 Luftballons' von NENA in einer Endlosschleife läuft und der Verdacht begründet zu sein scheint, dass CARNIVORE diese hübsche Musik nur ausgewählt haben, um ihre Fans in Raserei zu versetzen. Und so sind bald auch die ersten Leute wütend, mit zunehmender Wartedauer fliegen ein paar Becher. "You suck", schallt es aus mehr als nur einer Kehle. Dann aber kommen die Musiker doch unter lautem Jubel hervor, spielen ein Riff - und verschwinden wieder, während gewollt lustig klingende Kindermarschmusik von Band gespielt wird. Wieder fliegt mehr als nur ein Bierbecher: "You suck!" Manche der vielen Besucher - rund 400 - werden in diesen Minuten an die 27 Euro denken, die das Konzert an der Abendkasse kostet.

Doch fünf Minuten später erbarmen sich CARNIVORE endlich - und jetzt geht es Schlag auf Schlag. Erst 'Carnivore' vom Debüt, dann 'Race War' vom "Retaliation"-Zweitwerk. Dazu eine kurze Vorstellungsrunde: "Wir sind aus Brooklyn". Es folgt das Kotz-Intro aus Jack Daniels und Pizza, das auf der "Retaliation" die 'Angry Neurotic Catholics' einleitet: Während er sich kotzen hört, muss Peter Steele auf der Bühne kräftig lachen, so viele Jahre, nachdem er das Brechen aufgenommen hat. Wohl auch an der lang vergangenen Zeit liegt es, dass Mr. Steele während des Gigs immer wieder auf die neben sich liegenden Textblätter der Songs schauen muss. Doch an Authentizität haben die alten Klassiker trotzdem nicht verloren, was wohl auch daran liegt, dass Peter Steele mit Paul Bento und Joey Z. zwei exzellente Gitarristen gefunden hat. So dreht das Publikum kollektiv ab, der Moshpit ist fett und brutal, Zeit zum Atmen bleibt nur bei Zwischenstücken wie einem Drumsolo von Steve Tobin. Doch die Ruhe ist nur kurz, Macho-Kracher wie 'Male Supremacy' bringen wieder das Chaos und sind einfach wunderbar dafür geeignet, sich gegenseitig in die Kniekehlen zu springen. Peter Steele treibt die Menge weiter vorwärts, an manchen Stellen kreischt er sogar markerschütternd laut: CARNIVORE auf Black Metal ... plötzlich spielt Steele kurz 'Black Number One' von TYPE 0 NEGATIVE an, bricht ab und meint trocken: "That's the wrong band." Und provozieren kann der Zwei-Meter-Frontmann auch noch: Denn bei 'Jesus Hitler' als dem umstrittensten CARNIVORE-Song überhaupt kann es Mr. Steele natürlich nicht lassen, dazu auch das originale Intro mit Hitler-Rede und Choralgesängen zu verwenden. Das Ende kommt plötzlich, abrupt werden Dialoge aus "Full Metal Jacket" in ohrenbetäubender Lautstärke eingespielt. Schließlich heult eine Sirene, der dritte und vierte Weltkrieg ('World War III & IV') wird von CARNIVORE angestimmt. Und, wie die Musiker anschließend bei 'Sex & Violence' zeigen, haben sie ihre Waffen für den finalen Kampf bereits gewählt: Die Feinde von CARNIVORE zumindest werden zukünftig mit blutigen Tampons besiegt - an Ekelblasen sollen sie sterben.

Redakteur:
Henri Kramer

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