Corvus Corax - Dresden
29.12.2003 | 02:3920.12.2003, Alter Schlachthof
Wollt ihr tanzen? Dann geht zu CORVUS CORAX! Frei von elektronischen Anwendungen jeglicher Art stehen die Spielmänner schon seit 1989 für mittelalterliche Tanzmusik mit Dudelsack und Paukenschlag. Im Jahr 1998 fanden sich letztlich jene fünf Dudelsackspieler und drei Trommler zusammen, welche seitdem unermüdlich musizieren und mit ihrer Mischung aus mittelalterlichem Liedgut und osteuropäischen Melodien zahlreiche Mittelaltermärkte beehren.
Zum 15jährigen Bandjubiläum erschien jüngst die Live-CD/DVD „Gaudia Vite“. Damit sind die Scharlatane wieder einmal in deutschen Städten unterwegs und wollen erneut mit möglichst vielen Menschen gleichzeitig Lebensfreuden aller Art genießen.
Heute sind also die Dresdner dran. Aber Geduld! Zunächst müssen Fanbedürfnisse befriedigt werden. Im Gothic-Shop Inside auf der Böhmischen Straße sind ab 15.00 Uhr alle acht Musiker zur Autogrammstunde anwesend um Taschen, Poster und sonstige brauchbare Dinge mit ihrem Namen zu segnen. Sänger Castus Rabensang gibt gleich mal einen Ausblick auf die Show heute Abend: „Als Gast haben wir uns selbst mitgebracht. Wir sind sozusagen unsere eigene Vorband. In erster Linie wird es Sachen von unserem aktuellen Album „Seikilos“ zu hören geben. Zunächst spielen wir ein par ruhige Lieder, zum Beispiel ‚Satyricon’ und ‚Cheiron’. Auch das ‚Palästinalied’. Nach einer Pause wird es dann richtig heiß werden!“
Und wie!!! Vergessen die nächtlichen minus vier Grad Celsius Außentemperatur. In feierlicher ‚Prozession’ betreten Meister Selbfried, Teufel, Castus Rabensang, Ardor vom Venusberg, Wim, Harmann, Hatz und Der Kalauer einer nach dem anderen die Bühne. Ihre prachtvollen Gewänder erinnern an alle Menschheitsalter. Ein kritischer Blick wird in die halb ausverkaufte Halle des Dresdner Schlachthofs geworfen, dann herausfordernd in die Menge gelächelt und schließlich das Blasrohr an den Mund gesetzt beziehungsweise der Trommelschlegel weit ausgeholt zum ‚Türkischen Tanz’. Die folgenden Stücke – in Reihe: ‚Cengi’, ‚Totus Floreo’, ‚Cheiron’, ‚Douce Dame’, ‚Palästinalied’ und ‚Satyricon’ – werden in einem Zug gespielt. So bezwingt man eine starre Masse! „Guten Abend Dresden!“, verkündet der Teufel danach. „Es gibt jetzt eine kurze Pause. Ich möchte, dass ihr euch während unserer Abwesenheit die Kleider vom Leib reißt, eure Körper aneinander reibt und, wenn wir wieder da sind, will ich eure vom Trinken roten Nasen sehen!“ Nach einer halben Stunde kehrt der Teufel mit seiner Gefolgschaft zurück, fragt nicht, was in seiner Abwesenheit getrieben wurde, wohl wissend, dass gleich eh alles zu spät sein wird für die armen Selen vor seinen Füßen. Mit dem andalusisch-arabisch anmutenden ‚Suam Elle Ires’ wird ein einstündiges Tanzfeuer entfacht, welches sich im Publikum langsam von der ersten bis zur letzten Reihe ausbreitet. Der Trommel- und Paukenschlag fährt bis in die Gebeine und lässt ein jedes Menschlein wie eine Puppe tanzen. Die fünf Bläser spielen dazu nicht nur auf Dudelsäcken, sonder auch Schalmei, Drehleier und Trummscheit kommen zum Einsatz. CORVUS CORAX bringen längst vergessenes Liedgut aus allen Epochen in wahrhaft neuem Glanz auf die Bühne, dass man meinen könnte, so was hat’s noch nie gegeben. Ein ‚Mazedonischer Tanz’ wird gefolgt von der neuen Interpretation der ‚Balade De Mercy’, ein Lied des Französischen Lebemanns Francoise Villon, welches auch schon Berthold Brecht und Klaus Kinski gesungen haben. ‚Albanischer Tanz’ zeigt, dass die Jungs außer den Grenzen ihres Instruments, die sie wirklich austesten, keine kennen. ‚InTaberna’ fordert einfach zum Saufen auf. In dem ausnahmsweise etwas ruhigeren Stück ‚Titenka’ besingt Castus eine pakistanische Prinzessin, der im fünften Jahrhundert vor Christi Geburt dieses Lied geweiht wurde. Dann geht’s noch mal Schlag auf Schlag – Versuche die Trommelschläge pro Minute zu zählen sind vergeblich – weiter bis zum finalen ‚Dam Dam’, wo das Publikum noch mal gefordert wird laut stark mitzusingen. Erschöpft ist’s eigentlich schon, aber es verlangt doch nach mehr. Also betreten CORVUS CORAX ein zweites Mal die Bühne und spielen mit ‚Bärentanz’ und ‚Fili Neidhardi’ zwei ältere Stücke. Doch damit noch immer nicht genug. Der dreitausend Jahre alte Kaisermarsch ‚Chou Chou Sheng’ rast mit atemberaubender Geschwindigkeit auf alle Tanzenden zu. Doch einige sind noch immer nicht müde und ihr Rufen und Klatschen wird schließlich mit dem paralysierenden ‚Hymnus Apollon’ befriedigt, dessen Rhythmus sich tief einprägt und zumindest eine lang Nacht im Ohr nachhallt. Außer Atem verlassen die Dresdner nach Mitternacht den Schlachthof. Nach solch einem Konzert weiß man, was man getan hat....spätestens, wenn sich am nächsten Tag der Muskelkater in den Beinen bemerkbar macht.
Gastautorin: Wiebke Rost
- Redakteur:
- Henri Kramer