Crematory - München

04.06.2008 | 13:37

22.05.2008, Metropolis

Wie unterschiedlich können die Welten sein? Morgens wird das Allerheiligste der katholischen Kirche in einer feierlichen Prozession zur Schau gestellt und am Abend treffen sich Dunklesten unter den Atheisten, um den Schwarzheimern von CREMATORY ihre Ehre zu erbieten. Ein Culture-Clash par excellence. Allein die Tatsache, dass ein Feiertag nun mal als solcher begangen werden soll, eint die unterschiedlichen Gemüter.

Während uns der Himmel in seiner großen Güte mit kaltem Nieselregen benetzt, trauen wir zuerst unseren Augen nicht: Auf dem Weg in Metropolis, der Lokalität der unheiligen Allianz, sieht man überhaupt kein schwarzes Volk - und wir ahnen Schlimmes. Selbst am Eingang stehen nur ein paar verlorene Seelen und unterhalten sich bei Bier und scheinheiliger Gesellschaft. Drinnen schaut die Welt gleich viel besser aus: Immerhin zu einem Viertel gefüllt präsentiert sich uns die Halle. Mit einem Bier in der Hand, einer guten Position mit perfektem Blick und gezücktem Equipement machen wir uns schließlich bereit für die erste Band des Abends.

Diese hört auf den Namen BEYOND THE VOID. Pünktlich wie die Maurer gehen um Acht die Lichter aus und ein schwer basslastiges Intro lässt die ehrwürdige Halle erzittern, bevor die Jungs, bestehend aus zwei Gitarristen, einem Sänger und einem Drummer, die Bühne entern. Allein das Outift macht noch vor dem Erschallen der Musik klar, dass wir es heute nicht unbedingt mit Ur-Rheingold -"wir lassen die Gitarren und Köpfe synchron kreisen"-Teutonenstahl-Metal zu tun bekommen werden ... vielmehr heißt das Outfit der Stunde: Netzhemd (zerrissen, is' klar, ne?), Gürtel auf Kniehöhe und samtenes, gestriegeltes (schwarz gefärbtes) Haar.

Ganz ähnlich auch die Musik der Band: Viel Lärm um Nichts. Auf der einen Seite stehen nette Ideen, die aber konsequenterweise über kurz oder lang in die immer gleiche gähnende Langeweile münden. Songs, die als Hit beginnen und als Eintagsfliege enden. Das liegt nicht zuletzt an der Schwachbrüstigkeit des Sängers, der viel zu selten wirklich aufblüht und viel zu oft (musikalisch) daneben langt. Auch das Publikum wird nicht so richtig warm mit den Düster-Metallern, und so bleiben die Reaktionen verhalten. Im letzten Drittel des Sets packt der Sänger allerdings immer mal wieder Growls aus, die ich richtig klasse finde und von denen ich hoffe, dass sie in Zukunft öfter zum Einsatz kommen werden. Das Fazit um 20.35: Ende eines Auftritts voller schöner Song-Ideen, allesamt mit einer kontinuierlichen Langeweile-Attitüde.

Punkt 21.00 Uhr gehen nach der zu netten Gesprächen und Bier-Holen genutzten Umbaupause zum zweiten Mal an diesem Abend die Lichter aus und lassen die Freude unter den Anwesenden auf ATARGATIS hochkochen. Nach einem dramatischen Intro tröpfeln nach und nach Bass, Gitarre, Violine und Schlagzeug in Begleitung ihrer Herrchen auf die Bühne und werden von immer schneller spielenden Streichern aus der Retorte begleitet. Das scheint mir die perfekte Untermalung für die grau in schwarz gehaltene Bühnenoptik. Doch halt - was ist das? Mitten in diese Kakophonie der Tristesse fährt gleichsam ein von Loki geschickter Waldgeist, ein roter Blitz süßer und sympathischer Quirlichkeit oder einfacher: Stephanie Luzie - Frontfrau und Spaßgarant der Düster-Melodic-Metaller aus Regensburg. Für die gerade mal 1,58 Meter, die die kleine Lady auf die Bühne bringt, hat sie ein bemerkenswertes Organ, welches abwechselnd mit den Growls und Shouts des Bassisten erschallt. Die Up-Tempo-Sound der Formation und die total sympathisch agierende Frontdame tun ihr Übriges, um deutlich mehr Leute als noch bei BEYOND THE VOID vor der Bühne zu versammeln. So überträgt sich die Spielfreude und Energie von der Bühne auf das Auditorium und nahezu die gesamte zur Hälfte gefüllte Halle kann sich dem Spektakel nicht entziehen und lässt all das raus, was sich bei BTV aufgestaut hat.

Mit der Länge des Auftritts gibt's allerdings auch etwas zu meckern, denn die Dauer-Fidelei der Geige geht mir der Zeit ein wenig auf die Nerven - da wäre ein bisschen weniger deutlich mehr gewesen. Immer wieder zum Schmunzeln lädt allerdings die Optik auf der Bühne ein: Während die Mitte von der "roten Zora", wie sie mittlerweile von einem vorwiegend männlichen Teil der Zuschauer genannt wird, dominiert wird, werden die Seiten von (im Vergleich zur Sängerin) Hünen bestimmt. Das und die Farbwahl (rot versus schwarz-grau) sieht irgendwie witzig aus und unterstreicht auf der anderen Seite auch, wer der eigentliche Star der Formation ist. Irgendwann kommt auch Matze Hechler von CREMATORY auf die Bühne, um die Musik für einen Song mit seiner großartigen Stimme zu veredeln - man merkt, dass die Musiker viel Spaß haben und nicht nur ein Arbeitsverhältnis zwischen den Leuten besteht. Erwähnenswert sind außerdem das großartige 'Circle Of Life', welches durch sein schönes Riffing und eine endlich schweigende Violine überzeugt, und 'Angels Crying', ein wunderbarer Song, der aber leider schon die Zugabe und damit den letzten Song des Auftritts darstellt. Nette Anekdote am Rande: Nachdem ATARGATIS angekündigt haben, dass sie eben jenen Song als Zugabe spielen werden, ließ sich ein besonders eifriger Fan zu einem (gefühlt) Minutenlangen Freudenschrei hinreißen - nur, um anschließend ein fast verschämtes "Entschuldigung!" in die verblüffte Halle hinterher zuschieben.

Der Auftritt von ATARGATIS war goldig, nett anzusehen, unkompliziert und lud kräftig zum Abgehen ein. Das Publikum hat es der Band gedankt und ließ sich von der guten Laune anstecken. Dementsprechend groß war der Jubel zum Schluss. Ich freue mich schon auf den nächsten Auftritt der Band.

Um kurz nach zehn heißt es dann endlich "Killerplauze on the road": Felix und seine krematorischen Zornesbrüder (+ Schwester) entern die Bühne des Metropolis. Im Gepäck haben CREMATORY neben ihrer wahrlich beeindruckenden Diskographie von knapp zwanzig Scheiben ihr neuestes Werk musikalischer Urgewalt namens "Pray". Songs für eine abendfüllende Veranstaltung gibt es folglich genug und, soviel sei schon verraten, der Mix aus Altem und Neuem gerät heute verdammt stimmig. Nach einem traditionellen Industrial-Intro kennt das Publikum kein Halten mehr und zeigt nicht gerade überraschend, für wen man nach München gekommen ist. Obwohl die Mikros - hoch frequentiert - natürlich die Hotspots der Band darstellen, ist verdammt viel Bewegung auf der Bühne, was sich implizit auf das Publikum überträgt. Ganz besonders auffällig ist die Präsenz von Felix, der das Publikum wirklich in der Hand hat. Ich erwarte förmlich, dass das Publikum der potentiellen Aufforderung von Felix nachkommt, anstatt einer "Wall of Death" eine "Pudel-Of-Death"-Männchen-Kollektiv-Aktion zu machen. Aber das geschieht in allseitigem Einvernehmen zum Glück nicht.

Zu 'Tick Tack' kann sich selbst der definitiv nicht als CREMATORY-Jünger generierende Barkeeper nicht mehr halten und geht ordentlich mit (Tja, sowas gibt's beim HipHop nicht, was?). München feiert, was das Zeug hält und selbst die mit CREMATORY alt gewordenen Metalheads geben heute alles. 'Greed' entfaltet in der sabbernden Menge sein gesamtes Hit-Potential, zu 'Höllenbrand' gibt es nichts zu sagen, außer dass es rockt und 'Tears Of Time' wird großartig wie eh und je performt. Das Publikum bewegt sich in einem Alter von Zehn bis 50 und gerade diese Mischung macht besonders viel Spaß, da sich Alt und Jung in den Armen liegen und gemeinsam abfeiern. Nach einer wahnwitzigen Dreiviertelstunde gibt es die erste, wohlverdiente Pause, bevor es vor 'Kein Liebeslied' einen "wer-schreit-lauter?" Kampf der Geschlechter gibt, bei dem die Damen um Längen besser abschneiden als die Herren. Überhaupt ist der Frauenanteil im Publikum erstaunlich hoch, was wohl nicht zuletzt an der ganz eigenen Attraktivität von Felix liegt. Oder doch eher an Matze? Wie auch immer, denn wo CREMATORY mit ihrem Goth 'n' Roller 'The Falling' hinhauen, wächst sowieso kein schwarz-dunkles-depressives Gras mehr, und als sie mit 'When Darkness Falls' den letzten regulären Song anspielen, geben sie dem dankbaren Publikum den vorläufigen Gnadenstoß. CREMATORY sind nicht nur gesanglich top - gerade Matze ist immer wieder für Überraschungen gut und kann man mich restlos von seinen Fähigkeiten überzeugen -, sondern auch tight wie ein Uhrwerk. Die Dankbarkeit der Fans wird auf der Bühne gebührend gewürdigt und überzeugt die Düster-Germanen von der Feierwut der Münchner. Mit der eigentlich rhetorischen Frage "Wollt ihr überhaupt noch was hören?" wird der Zugabenblock eingeleitet. Mit einem SLAYER-Cover wird ordentlich zum Bangen aufgefordert, 'Shadows Of Mine' veredelt die düstere Seite das Abends und bei 'Temple Of Love' wird Stephanie von ATARGATIS zur Unterstützung auf die Bühne geholt.

Und so geht nach etlichen Stunden ein im zweiten und dritten Drittel großartiger Konzertabend vorbei. Man kann nur hoffen, dass CREMATORY noch viele weitere Alben veröffentlichen und sich, wenn sie schon meinen, sich regelmäßig trennen zu müssen, bitte mit der gleichen Selbstverständlichkeit wieder re-unieren. Nach einem netten Ausklang mit Wein, Weib und Gesang werden wir in die Nacht entlassen und resümieren, dass es in der Halle zwar nicht richtig voll, die Stimmung aber trotzdem super war. Und so hatten wir alle, ob höchst spirituell oder zutiefst satanisch, einen herausragenden Feiertag.

Redakteur:
Julian Rohrer

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