DELAIN, THE GENTLE STORM und AMBERIAN DAWN - München

01.12.2015 | 21:32

02.11.2015, Backstage Werk

Tolles Elfen-Package!

Ein wirklich schönes Package für den Fan des soganannten Female Fronted Metal wurde hier zusammengestellt: Mit THE GENTLE STORM zeigte sich eine der Urgesteininnen dieser beliebten Metal-Spielart in Person von Anneke van Giersbergen (ex-THE GATHERING), die Holländer/innen von DELAIN als Headliner sind mittlerweile eine nicht wegzudenkende Größe und die Finnen AMBERIAN DAWN schicken sich an, nach jahrelanger harter Arbeit endlich auch ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen.

Gemischte Gefühle habe ich jedoch bei der Truppe um Sängerin Capri, weil mich die letzten beiden Alben ("Magic Forest" und "Innuendo") kaum vom Hocker reißen konnten. Dennoch überwiegt die Freude auf den Gig, denn die Hoffnung auf ein paar alte Songs stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Gemischt bleiben die Gefühle aber auch eine dreiviertel Stunde später, sei es ob des seltsamen Outfits von Sängerin Capri, die in einer Art Leder-Dirndl auftritt (ein Gimmick für München?), sei es wegen der leider erwarteten musikalischen Mischung. Klar, die Pop-Metal-Songs wie 'Fame & Gloria', 'Magic Forest' oder 'Cherish My Memory' wirken live schon ein bischen fetziger als auf Platte, aber gerade im Vergleich zu solchen Krachern wie 'River Of Tuoni' oder dem pfeilschnellen 'Circus Black' bleibt das neue Material auch live farblos. Capri hingegen gibt sich sehr sympathisch, fast ein wenig schüchtern und stimmlich in bester Form. An ihr liegt es nicht, dass ich nach dem Gig zur Einschätzung kommen muss, dass AMBERIAN DAWN doch noch ein ganzes Stück zur Spitze des Genres, die nach den Finnen hier auftrumpfen wird, fehlt.
Setlist: Fame & Gloria, Magic Forest, The Court of Mirror Hall, Circus Black, Ladyhawk, Cherish My Memory, River of Tuoni

Vielleicht hat sich ja der eine oder andere gewundert, dass ich THE GENTLE STORM in der Einleitung als Metal bezeichnet habe, denn diese Kollaboration von Arjen Lucassen und der lieben Anneke tönt auf CD doch gar proggy und verträumt. Hier und heute steigt aber eine waschechte Metal-Show!
Gleich drei Mädels heizen hier ein, als gäbe es keinen Morgen mehr und zelebrieren ein wahrhaftes Gute-Laune-Festival: Die kleine blonde Gitarristin mit dem bratzigen Sound entpuppt sich später als die neue DELAIN-Gitarristin Merel Bechthold. Unverkennbar und wie immer eine Augenweide ist die im Vergleich zu ihrer Solo-Tour sehr herausgeputzte Anneke van Giersbergen. Und wer ist denn diese kleine, wuselige, rotgelockte Zaubermaus am zweiten Mikro? Mein Herz hüpft höher, das ist nämlich die Mexikanerin Marcela Bovio (STREAM OF PASSION), der meine große Heldinnen-Verehrung gebührt. Und auch die Männer können sich sehen lassen, denn mit  Joost van den Broek (Keys), Ed Warby (Drums) und Johan van Stratum (Bass) steht hier eine echte holländische Supergroup auf der Bühne.

Leider legt sich meine Euphorie nach ein paar Songs ein wenig, denn ich tue mich sehr schwer, die Vocals richtig wahrzunehmen. Diese schweben nämlich heute eher über der Musik, als dass sie in diese integriert sind, und alles wird insgesamt ziemlich laut und brachial dargeboten. Somit nimmt man den harmonischen Duetten von Anneke und Marcela jedoch ein stückweit ihren Zauber. Auch die THE GATHERING-Songs 'Eleanor' und 'Strange Machines' (von "Mandylion") werden mit ungewöhnlicher Härte dargeboten. Doch wenn man auf die Bühne schaut, kann man sich sicher sein, dass dies so gewollt ist, denn überall fliegen nur so die Haare. "Frauen-Power", yeah!
Ja, und so arg viel THE GENTLE STORM gibt es diesen Abend dann auch gar nicht. Anneke überrascht die Menge unter anderem mit einer ihrer Solonummern ('Witnesses' von AGUA DE ANNIQUE) und der DEVIN TOWNSEND-Nummer 'Fallout' (von "Z²"), zwei weiteren flotten Tracks also, die einmal mehr mindestens genauso sehr von Frau Bechtholds krachender Rhythmus-Gitarre geprägt werden wie von Annekes Zauberstimme, die heute irgendwie außerweltlich wirkt. So lässt mich ihr hoher Sopran-Gesang beim Schlusspunkt 'Shores Of India' fast sogar etwas verdutzt und mit einem der Lautstärke geschuldeten Ohren-Aua zurück. Dies soll jetzt aber explizit nicht negativ rüber kommen, ich hatte nur etwas ganz anderes erwartet...
Setlist: Heart of Amsterdam, Brightest Light, The Storm, Eléanor (THE GATHERING-Cover), Witnesses (AGUA DE ANNIQUE Cover), Strange Machines (THE GATHERING-Cover), The Greatest Love, Fallout (DEVIN TOWNSEND PROJECT-Cover), Shores of India

Herrje, es wird schon wieder ziemlich spät, was für mich in den strengen Arbeitswochen im November echt der Tod ist, aber was tut man nicht alles für den Metal? Und DELAIN entpuppt sich hier als echte Hausnummer. Sofort kracht der moderne, tief gelegte Power-Sound tight wie ein Schweizer Uhrwerk aus den Boxen und hier finde ich Merel Bechtholds Brachial-Wand auch viel passender als zu der eher feinfühligen Musik von THE GENTLE STORM. Die Band um Front-Lady und Grinsebacke Charlotte Wessels entlockt dem Publikum noch einmal alle Energie und reiht einfach einen Hit auf den anderen. Ich muss mich ein wenig an Wessels’ eigenwillige Phrasierung gewöhnen, denn es scheint nicht, als würde sie immer mit voller Stimmkraft singen, doch erstaunlicherweise kommt sie immer durch die Gitarrenwand durch. So bin ich nach jedem Song faszinierter von ihrer Gesangsweise und gerate mit dem Publikum in einen Sog der Euphorie, der sich nach dem Smasher 'Stardust' hundertkehlig mitsingend entlädt. DELAIN beherrscht den Mix aus Gothic-Rock, harten Metal-Riffs und manchmal poppigen Refrains perfekt und zeigt dabei auch immer wieder, was für feine Instrumentalisten hier am Werke sind. Rundum zufrieden bin ich demnach mit diesem Gig, zumal die Band auch weitestgehend auf ein nerviges Stil-Charakteristikum verzichtet, nämlich den oft obligatorischen Röchelgesang. Dafür gibt es aber schon einmal eine Kostprobe vom nächsten Album namens 'Turn The Lights Out'. Obwohl der Refrain schon sehr - fast zu sehr - an 'Stardust' erinnert, finde ich den Song aufgrund des breakigen Mittelparts sehr interessant. DELAIN wird also nicht locker lassen und auch nach diesem eindrucksvollen Konzert versuchen, mit Charme und Faust ganz nach vorne an die metallische Spitze zu stürmen. Geile Band! 
Setlist: Go Away, Get the Devil Out of Me, Army of Dolls, Lullaby, Stardust, Electricity, Here Come the Vultures, April Rain, Sleepwalkers Dream, Don't Let Go, Turn the Lights Out, Silhouette of a Dancer, The Gathering, Not Enough; Zugabe: Mother Machine, Stay Forever, We Are the Others

Redakteur:
Thomas Becker

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