DEVIL MAY CARE und WORN PLANET - Göttingen
15.02.2024 | 10:4308.02.2024, Exil
Wie kann eine solche Band nur so massiv unter dem Radar schwimmen?
Dann wollen wir doch endlich im Rahmen von POWERMETAL.de in das Konzertgeschehen des Jahres 2024 einsteigen. Zwar durfte ich bereits HEINZ RUDOLF KUNZE auf seiner "Können vor Lachen"-Tour genießen und mit Freude feststellen, dass THE PERFECT TOOL nicht nur eine unfassbare Tribute Band ist, sondern in Zeiten von wahnwitzigen Ticketpreisen eine echte Alternative zum Gigantismus darstellt, der mittlerweile leider auch die Jungs aus Los Angeles eingeholt hat. Das ist besonders tragisch, da bei einer solchen Entwicklung Auftritte von Bands, auch aus unserem Genre, für eine sehr große Anzahl an Fans nicht mehr zu finanzieren sind. Dabei will ich keine Diskussion anzetteln, dass der dadurch entstehende Boom auf Cover-Acts und Tribute-Veranstaltung junge Bands mit eigenem Songmaterial an Auftritten hindert (was an anderer Stelle ruhig diskutiert werden sollte), sondern mir geht es einzig und allein um eine kostengünstige Alternative für Menschen, welche nicht über das nötige Kleingeld verfügen und nicht nur leidlich schöne Handyvideos bei Youtube als einzigen Ausweg aus der Misere sehen. Ich finde jeder Mensch muss ein Anrecht haben auf Live-Musik. Warum ich das erzähle? Weil auch an diesem Tag sich eine kaum zu überblickende Anzahl an Bürgern (allein 2,2 Millionen Registrierungen) Stunden in der Warteschleife für ADELE-Tickets aufhält um im Anschluss für die Karten bis zu 419,90 Euro (Front Of Stage) auszugeben. Ich selbst kann mit der Dame aus London so einiges anfangen, muss aber bei solchen Dimensionen mehr als einmal schlucken. Front Of Stage habe ich bei DEVIL MAY CARE auch und bei Bedarf könnte ich mir diesen Luxus mit diesem Budget 28-mal gönnen. Verrückte neue Welt. Somit müssten es für den Live-Genuss auch keine Combos sein, welche Musik bekannter Helden nachspielen, sondern es gibt doch so viele starke kleine Bands, welche gefühlt nur kostendeckend durch das Land touren und verdammt nochmal supportet gehören.
Ich staune jedenfalls nicht schlecht als sich das Exil nur schleppend füllt und man das Gefühl nicht loswird, dass, wenn der lokale Support WORN PLANET nicht sein komplettes Studi-Netzwerk zum Besuch überreden hätte können, dies hier eine sehr übersichtliche Geschichte geworden wäre. Zumindest muss man dem Göttinger Publikum zugutehalten, dass sie nach dem Auftritt der Lokalmatadoren nicht direkt wieder nach Hause gehen. Danke dafür – denn auch das habe ich schon zu Genüge anders erlebt. Apropos Support. WORN PLANET aus Göttingen (Gründung erst 2023) spielt nach Selbsteinschätzung eine atmosphärische Mischung aus Post-Hardcore, Post- und Prog-Rock und passt somit auf dem Papier hervorragend zu dem Hauptakt aus Würzburg. Als Einflüsse nennt das Trio THE INTERSPHERE oder ALEXISONFIRE. Nun gut - davon höre ich tatsächlich wenig. Man merkt den drei Jungs leider zu jeder Sekunde die mangelnde Bühnenerfahrung an. Das mag im Jugendclub um die Ecke noch halbwegs funktionieren, aber nicht als Anheizer für eine Truppe, welche mit ihrer aktuellen EP mal eben einen der stärksten Releases des vergangenen Jahres veröffentlicht hat. Da ist das Gab einfach zu groß. Hinzu kommt ein kaum wahrnehmbares Selbstvertrauen in die eigene Bühnenpräsenz und das Songmaterial. Und das betrifft beileibe nicht nur den Gesang, sondern auch den Rest der Performance. Selbstbewusstsein auf der Bühne ist das A und O. Wenn du das nicht total geil findest, was du da tust – wie soll es denn wer anders fühlen? Somit bleibt ein zu schüchterner Alternative- Indierock, der mit stereotypischen Postrock-Einleitungen musikalische Qualität vorgaukelt, im Kern aber immer noch nach der eigenen Identität sucht. Klingt hart, aber was soll ich anderes sagen? "It's A Long Way To The Top If You Wanna Rock'n'Roll". Das wusste schon AC/DC.
DEVIL MAY CARE hat nun die undankbare Aufgabe, mich aus dieser Lethargie rauszutreten. Und das gelingt mit Abstrichen von der ersten Sekunde an. Hier ist eine Band am Start, welche nicht nur von eigenem Material absolut überzeugt ist, sondern auch mit jeder Faser Bock hat loszurocken. Dabei starten die Würzburger mit dem Only-Single-Release 'The Snow' für mich komplett überraschend, da ich diese Nummer noch gar nicht kannte. Da hilft halt auch die ganze Vorbereitung mit den Alben nichts, wenn eine solche Nummer unter den Tisch fällt. Ansonsten ist die Setlist aber gnädiger mit mir. Da ich aufgrund des deutlich generischeren Klangbildes mit "Rose Of Jericho" noch Problem hatte und auch "Echoes" mich noch nicht gänzlich überzeugen konnte, liegt der Hauptfokus heute auf dem sehr starken "Divine Tragedy" von 2021 und vor allem auf der neuen Veröffentlichung "Mandala". Hier beglückt die Band Neu-Fans wie mich einfach mal mit jedem Song des aktuellen Releases. Auch das ist überhaupt nicht mehr Usus, zeigt aber auch in aller Konsequenz, wie sehr Tim und seine Jungs von dem Material überzeugt sind. Und das vollkommen zu Recht. 'Sherpa' ist der erwartbare Live-Kracher, der Singalong bei 'Mantra' nimmt den Titel beim Namen und 'Chakra' und 'Karma' sind sowieso von unschlagbarer internationaler Qualität. Es gibt wenig Marktbegleiter, welche solche Songwriting-Granaten schreiben und auch noch so stimmungsvoll auf die Bühne wuchten. Und da reden wir noch nicht über die beiden Leuchtfeuer 'Himalaya', welches eine fast beängstigende Wucht entwickelt und dem Totalabriss von 'Guru', welcher mit Abstand den konsequentesten Ausflug der Bayern in die härteren, fast thrashigen Gefilde darstellt. Das ist genau das I-Tüpfelchen, was eine homogene Setliste braucht. Dazu dann noch Crowd-Pleaser vom letzten Album, der Marke 'Painter' (auch ohne RISING INSANE eine Punktlandung) und 'Into The Abyss' (der Refrain mit Partygarantie) - und schon frisst das Publikum auch an einem Donnerstagabend aus der Hand.
Das Stimmungslevel ist konstant hoch und Herr Heberlein hat auch kein Interesse daran, dass hier auch nur ein My nachgegeben wird. Da gibt es dann sogar die jugendfreie Version einer Micro-Wall-Of-Death und eines Zwergen-Circle-Pits zu bewundern. Sehr stark. Doch der Sänger ist nicht der einzige Energiepool und Aktivposten des Tages. Sein Gitarristen-Kollege Lukas steht ihm in nichts nach und darf mit dem SPERLING-Part bei 'Delirium' mir auch mein persönliches Highlight des Abends bescheren. Die notwendige Lücke von Jojo wird erstklassig geschlossen und die ganz fantastische Nummer somit auch Live kongenial umgesetzt. Szenenapplaus bitte. Dieser ganze Post-Hardcore-Trip würde aber kaum funktionieren, wenn die Rhythmusabteilung nicht auf dem gleichen Level agieren würden. Auch hier gehen beide Daumen für Moritz und Joachim nicht nur nach oben. Im Gegenteil, was Moritz Hillenbrand hier am Bass abzieht, ist so beeindruckend und songdienlich, dass man spontan jubilieren möchte. Understatement mit der Goldkante. Wer mal einen richtig geilen Bass in einem Genre hören möchte, wo dieser meistens doch nicht wirklich eine zentrale Rolle spielt, sollte unbedingt DEVIL MAY CARE anchecken.
Im Endeffekt handelt es sich aber um eine perfekt geschlossene Teamleistung und ein 70–75-minütiges Paradebeispiel, wie der moderne Sound aus Post-Hardcore und Metalcore so leidenschaftlich und publikumsnah zelebriert wird, dass der Weg der Protagonisten eigentlich nur nach oben führen kann. Vielleicht sitzen dann auch irgendwann Millionen Fans vor dem Rechner und kaufen DEVIL MAY CARE-Tickets für dreistellige Beträge. Dann bin ich zwar sicherlich parallel schon wieder bei den nächsten Helden von morgen, aber bis dahin begleite ich diese Band gerne auf dem Weg dorthin.
Setliste: The Snow; Into The Abyss; Calm Waters; Himalaya; The Fire; Ghosts; Sherpa; Delirium; Painter; Hollow Promises; Chakra; Veil Of Conspiracy; Guru; Dayblind; Mantra; Zugaben: Karma; Tragedy; Dead Ember
- Redakteur:
- Stefan Rosenthal