Desertfest 2019 - Berlin

06.07.2019 | 15:15

03.05.2019, Arena Berlin

Das viertägige Treffen einer schillernden Rockszene in Berlin.

Es ist Wonnemonat Mai, gerade geworden, und ich bewege mich Richtung Berlin-Treptow, wo sich das sehr große Konzertgelände der Arena befindet. Es ist Zeit für den Besuch des Desertfestes, endlich mal. Davon gibt es überall auf der Welt weitere Ausgaben: London, Antwerpen, New York. Mein berlinkundiger Freund und Begleiter weiß von einem vorherigen Desertfest zu berichten, bei dem sich dieses Treffen über mehrere Clubs, nah beieinander, erstreckte. Das war wohl sehr angenehm. Nun ist das Rockfest in der Arena angekommen, also auf der großen Bühne. So ganz korrekt ist auch das wieder nicht, da die direkt neben dem Konzerthaus dauerankernde Hoppetosse am Spreeufer ebenfalls eine klitzekleine Bühne aufbietet. Und die wird genutzt, und zwar von auch kleineren Akteuren. Eröffnet wird das heute und hier von den Norwegern THE DEVIL AND THE ALMIGHTY BLUES, eine mit melancholischen Psychoblues ausgestattete, gestandene Band, die in ihrer zurückhaltenden Art sehr, sehr lässige Gigs vorbeifahren läßt. So auch hier. Die Steigerungen in den Stücken sind zumeist folgerichtig, in den richtigen Dosen gesetzt, die Gitarren haben nie so richtige Lust, miese Launen zu verbreiten, eher scheinen sie aufzufordern, "erst mal so richtig anzukommen". Absoluter Tipp, sehr feine Entdeckung, die auch auf dem SFTU 2018 die Hitze so richtig musikalisch unterfütterte.

In MONDO GENERATOR ist Nick Olivieri, ein umtriebiger Musiker, der schon in diversen Legenden mitbasste, aber auch ein recht anstrengender Kopf sein dürfte. Egal, das schnell und hektische Set der Band wird zur Hälfte angesehen und analysiert: Nix Neues bei den GENRATOREN.

MONKEY 3, schweizer Instrumentalgröße mit ganz frischem Album in den Merchkoffern, bietet dagegen wiederum eines dieser flirrenden, umherwirrrenden Zuhörkonzerte, bei denen die Leute um einen herum irgendwann alle rhythmisch mitwippen und den gesanglosen Fortgang der Stücke gierig in sich aufsaugen. Ja, für solche Momente ist das Desertfest  erfunden worden, es gibt mehrere dieser Kandidaten, wie sich zeigen wird.

EARTHLESS zum Beispiel. Gleich hinterher. Und in Rockerlaune. Die hat das Trio rund um Gitarrist Isaiah Mitchell auch mitgebracht. Wenn Mitchell in seinem Zweitprojekt auch als Sänger glänzt, geht es hier ausschließlich instrumental in einem Zug. Die Leute kommen kaum zum Luftholen, Zeit dazu hatten sie zudem ja vorher genug, als OBSESSED-Wino Weinrich draußen auf dem Oberdeck der Hoppetosse sein Akustikset in den Abendhimmel brummte. So oder so: EARTHLESS ist immer als vorwärtsdrängende, zerrende Angelegenheit bekannt und allermeist geliebt. Nach der Umbauphase und den ersten Wiedersehen mit alten Bekannten betritt WITCH die dunkelblaue Bühne. Besonderheit hier ist die Anwesenheit von Gitarrenherzog John Mascis, der in den Neunzigern mit DINOSAUR JR. ausschweifende Popularität genoss und nun desto mehr auch bei WITCH brilliert. Aber als Drummer. Die Band gibt durchgegrungten Stoner-Psychrock ohne Überraschungen, aber den Stoff für ein durchweg angefixtes Publikum. Zu erwähnen sind an dieser Stelle aber auch die Hoppetosse-Auftritte des Berufspessimisten Wino, der ein krächzendkrachendes Akustikset absolviert und die Geradeausrockdarbietung der drei Damen von 24/7 DIVA HEAVEN, die Winos Töchter sein könnten und dem Grinsvolk am Kai ihre Frischzellenkur entgegenpfeffern. Macht gute Laune. Beides.

Und nun, wie eindeutig festzustellen ist, kommt nach WITCH der nächste verhexende, heimliche und unheimliche Headliner. Die Psychedelik der Band, die hier als Trio auftritt, so hat sich weit weit in bunten Landen herumgesprochen, soll ausgesprochen mitreißend sein und auch ich bin vor allem deretwegen hier. Und es lohnt sich: Außerordentlich unaufgeregt und dadurch noch eindringlicher in den Effekten, wirkt die Musik der drei schlanken Mittzwanziger mit jeder Minute mehr. Man versinkt in deren Tönen, schwimmt in den zumeist langsamen Wallungen und die dunkle und gut aufeinander abgestimmte Lichtakrobatik erzeugt eine insgesamt sehr mitreißende Atmosphäre. Es hat sich heute schon gelohnt, hier gewesen zu sein.

Und als man sich dann gehörig geschüttelt und gerüttelt hat, um aus dieser Schönheit wieder herauszutreten, setzen die Münchener Filigranrocker COLOUR HAZE noch ein ebenso formidables Nachtset hinten drauf. In Koglers Gitarrenspiel kann man ebenso tief versinken wie in den jamjazzigen Spielereien der anderen beiden Instrumentalisten. Das ist und bleibt eine der deutschen Rock-Institute, die sich ständig wandeln, reseten und neu erfinden werden.

Der Rückweg zur Bleibe ist voll von ersten Einschätzungen und gern verpassen wir die ein oder andere Bahn oder Bus, nehmen bewusst eine kleine Hauptstadtodyssee in Kauf, weil die Bands des Abends in großer Form die kleinen Seelen gestreichelt haben. Da ist Schlaf doch nur der Feind. Aber er muss sein.

Der nächste Tag startet mit einem ebenso umfangreichen Spaziergang durch Berlins Straßen und Galerien und der Vorfreude, in den Bands des Samstags Überraschungen entdecken zu können.

MIRROR QUEEN war mal KREISER, ist aus New York und spielt bluesigen Rock, so ein wenig THIN LIZZY-Gefühl transportierend. Vom Qualitätslabel Tee Pee Records und damit natürlich ausgesprochene Qualitätsmusik. Eine dieser Entdeckungen des Tages und Teil des zukünftigen Konsums sind die vier Moskauerinnen von LUCIDVOX. Die sind eben auch sehr schweifend, verschnörkelt, schamanisch, aber in einem Sinne, der die Sinne vehement anspricht und trotzdem nicht überreizt oder überspannt. Zurückhaltender Hallgesang, ein einforderndes Schlagzeug, die Gitarre immer auch etwas angriffslustig und immer alles an der Grenze zum Durchknall. Sehr gelungen, frohgestimmt ob dieser Entdeckung wechseln wir in die noch frische Spreebrise und stehen den ZIG ZAGS bei, die auf Deck des Festschiffes ein kalifornisches Punkrockset herunterimmeln, welches uns nun so richtig ankommen lässt.

Ein Trio, eins, zwei, drei, und ab geht es für zwei Minuten. Ein sehr guter Kontrast zur Nebeltonschleifen der Russinnen von gerade. Bei HÄLLAS bin ich mir beim Aufbau schon unsicher, ob ich bis zum Ende bleibe. Die Herren tragen alle Fledermausumhänge, wahlweise samtigschwarz, burgundig verspielt oder auch nachtblau flatternd. Als die Band aus dem schwedischen Jönköpping dann auch einsetzt, mit Orgel und gehörig Retro unter der Bluse, sind wir angehalten, uns draußen umzusehen, denn so richtig in Stimmung dafür bin ich heute nicht.

Wir kehren zu THE SHRINES zurück, die schon während der Aufbauphase Scherze mit dem Publikum begehren und nach offiziellem Beginn so richtig aufdrehen. Wieder Trio, eins, zwei, drei, Doppelgesang, und mitten rein in die Punkhardrockglückseligkeit. Das Set macht Spaß, die sind gut drauf und die Reaktion des gefüllten Saales zeigen deutlich tiefe Teilnahme.

NAXATRAS daraufhin ist auch zu dritt, aber legt ein instrumentales Postrock-Brett dar, das den Griechen nach jedem ihrer Soundfragmente viele viele Freunde beschert. Schön auch hier: der Kontrast zur vorheigen Band. Und der spannende Effekt weitet sich aus, als die Melodiestoner GREENLEAF folgen, mit einem Sänger in Hochlaune und den starken Stücken, die auch live – oder gerade hier – besonders gut zünden. Die Energiebündel da oben bündeln ihre Zappligkeit zu einem der einprägsamsten Auftritte des diesjährigen Desertfestes. Was zu erwarten war.

Was nicht erwartbar oder planbar war, war die Wirkung der nächsten Band. KIKAGAKU MOYO aus Tokio zaubert in buntgewandtetem und fast zerbrechlich wirkenden Ensemble eine weitere Psychedelik der Extraordination hierher, die sich gefühlt auch den Letzten im dunkelblauen Saal ergreift. Die vielen Bildeffekte verstärken die Wirkung dieser feinsinnigen und sensiblen Musik noch, weil hier alles mit allem verwoben wird. Die drei Gitarristen werfen sich die Soli zu und die Rhythmussektion breitet einen Wohlfühlteppich aus, der sich nach und nach auf alle Zuhörer legt. Live eine Wucht.

Und dann kommt der Wrestler, der Bulldozer, der fleischgewordene Zubereiter des breitbeinigen Stonerskaterrocks. FU MANCHU als das Aushängeschild der kalifornischen Fuzzlaunigkeit drischt einen Hit nach dem anderen herunter, atemlos geht es durch die Nacht und alle Winkel der Halle füllen sich mit dem Sound dieser Dezibelmonster. Guter, gelungener und gewollter Abschluss für mich und mein Desertfest, von dem ich im Vorfeld auch einige Kritik erfahren habe. Nein, ich bin sehr und rundum zufrieden, wie hier was lief und werde 2019 im Ohr und 2020 im Auge behalten. Leider ist der ebenso toll besetzte Sonntag für mich nicht mehr besuchbar, da berufliche Pflichten rufen. Aber mitsummen geht dann doch noch zwei, drei Alltage länger.

 

Redakteur:
Mathias Freiesleben

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