Die Apokalyptischen Reiter - Bischofswerda
23.03.2005 | 10:5019.03.2004, EastClub
Es gibt Tourzusammenstellungen, da lohnt es sich besonders, die Abschluss-Gigs zu besuchen - geht es doch bei den letzten gemeinsamen Auftritten meist locker, leicht und spaßig zu. Zu dieser Sorte gehört definitiv eine gemeinsame Reisetruppe der APOKALYTISCHEN REITERN mit den Finnen von TURISAS, die an diesem Abend im Bischofswerdaer EastClub ihre lange gemeinsame Tour beenden. Doch der Schein trügt, die echte Abschlussparty fand schon tags zuvor in Stadthalle Lichtenfels statt, wie die REITER schon vor der Show zu berichten wissen. Acht nackte Finnenärsche sollen der Welt gezeigt worden sein. "... und niemand hat ein Foto gemacht", sagt Bassist Volk-Man entrüstet. Doch auch an diesem Abend ist der unerhörte Spaßfaktor noch einmal zu spüren, der die beiden Bands auf ihrer Tour beseelte.
Ein paar Kilometer von Bischofswerda entfernt, in Sachsens Landeshauptstadt Dresden, ist der Frohsinn nirgendwo zu treffen. Am Bahnhof Neustadt treffen Nazis und Linke aufeinander, dazwischen mehrere hundert Polizisten. Warum die Faschos hier sind - ob Fußball oder Demo - wissen selbst die grünen Kerls vom Staat nicht. Sie sagen nur, dass sich die Rechtsextremen demnächst in die Züge setzen und wegfahren. Im EastClub kommt zum Glück keiner von dem braunen Pack an. Dafür zeigen TURISAS, wie Menschen ihre Vaterlandsliebe friedlicher und kreativer ausleben können. Ihr "Battle Metal"-Debüt ist trotz des kriegerischen Namens der Beweis dafür - folkiger, fast fröhlicher Pagan Metal, der die alten Sagen Finnlands musikalisch zum Leben erweckt. Diesen Anspruch setzen TURISAS wie schon die gesamte Tour über perfekt auf der Bühne um. Blutbeschmiert und in Fellkostümen kommt die Band auf die Bühne, dazu kommen noch ein Violinist und ein Akkordeonspieler. Insgesamt spielen acht Leute die Musik von TURISAS. Am Ende der Tour hat Sänger Warlord sogar ein paar Brocken Deutsch gelernt. "Wollt ihr einen Geigenspieler hören", fragt er mit lustigem finnischem Akzent. Das Publikum jubelt. Nachdem die Band erst mit verhaltenen Reaktionen empfangen wird, drehen die Fans von Song zu Song mehr auf, am Ende krakeelt der restlos volle Konzertsaal des kleinen EastClubs. Es ist gerade diese heimelige Atmosphäre in dem Club, die die Magie zwischen Band und Zuschauer noch stärker fühlbar macht, die schwingenden Köpfe zum Rauchen und die grölenden Kehlen zum Glühen bringt. Für Abkühlung möchte Warlord sorgen, der die Leute animiert: "Heute trinken wir zusammen!" Der Band ist anzumerken, wie sie während der Tour eine homogene Einheit geworden ist, wie sie inzwischen das Publikum sicher im Griff hat. Ein Beispiel für den Reifeprozess ist Akkordeonspieler Janne, der in seiner finnischen Heimat schon viele Preise für seine Fähigkeiten an dem Instrument gewonnen hat. Am Anfang der Tour, so erzählt Janne, hätte er ein Briefing erhalten: "Nicht so viel auf der Bühne grinsen", sagten die anderen Jungs zu ihm. Den Rat hat er sich zu Herzen genommen. Mit blutverschmierten Mund blickt er irre auf die Fans, fingerfertig haut er in die Tasten seines Instruments. Neben ihm springt Warlord wie ein Irrer herum, seine Brust voller Blut und schwarze Striche. So gehen die beiden und die anderen sechs Musiker beim letzten Song 'Battle Metal' ab, als wären sie wahrlich dazu ausersehen, metallische Tourismuswerbung für Finnland zu machen. Noch mehr positives Image für ihre Heimat verbreiten TURISAS während der Zugabe, als sie a cappella ein Lied singen, das etwa so klingt: "My homeland is full of beer and alcohol ..." Es folgt ein Medley aus verschiedenen TURISAS-Stücken, danach steht fest: DIE APOKALYPTISCHEN REITER haben schon deswegen einen Ehreneintrag verdient, weil sie diese Verrückten zu ihrer ersten Tour nach Deutschland geholt haben. Wow ...!
Die REITER können nicht ganz so auf das Moment der Überraschung setzen, schließlich tourt die Band alle Nase lang durch die deutschen Lande. Dafür haben sie Routine, immer noch ein gehöriges Maß Spielwitz und einen Sänger Fuchs, der in seinem früheren Leben wohl auch schon einmal Entertainer gewesen sein muss. Stationen eines REITER-Gigs sind diesmal zum Beispiel ein sich wahrlich zum Live-Klassiker mauserndes 'Die Sonne scheint ...', bei dem jeder im durchdrehenden Publikum "... mir aus dem Arsch!" schreit. Es folgt ein Drumsolo auf drei Trommeln, Volk-Man, Fuchs und Gitarrist Pitrone schlagen mit ihren Stöcken einen treibenden Rhythmus, der in einem göttlichen 'Terra Nola' gipfelt. Hier fliegen die Körper nur so von der niedrigen Bühne des EastClubs, die Stimmung brodelt. Wenig später rast der Oberpogo-Wahnsinns-Klassiker 'Unter der Asche' über das Publikum hinweg, Volk-Man keift die geilen Schreie, Fuchs growlt tief wie ein Bär mit viel Wut im Bauch. Dr. Pest rennt dazu mit seiner Peitsche und der coolen SM-Maske über die Bühne, schwingt die Neunschwänzige wie ein Profi. Jetzt ist er frei, nicht wie am Anfang der Show, als der Doktor noch an einer Kette hing. Doch wirklich Angst hat niemand vor dem Medizinmann der REITER, selbst ein blonder Typ, der auf einer Box am Bühnenrand sitzt und fleißig bangt, macht keine Anstalten, wegen der umherfliegenden Peitsche abzuhauen ... Mehr Sorgen muss sich da schon eine Blondine machen, die von Fuchs für einen Song als Tanzmaterial auf die Bühne geholt wird und ihre Position schamlos dazu ausnutzt, die REITER zu fotografieren - Fuchs wirft sich am Ende mit ihr zusammen auf den Boden und führt fast so etwas wie eine Penetration durch. Ein weiteres Highlight folgt mit der genialen MOTÖRHEAD-Coverversion von 'Iron Fist', bangbar, fröhlich und dennoch unheimlich aggressiv klingt die Nummer im EastClub. Bei 'Sehnsucht' bekommen die Reiter wie jeden Abend Verstärkung durch den TURISAS-Violinist, der einmal mehr von Fuchs als "Teufelsgeiger" angekündigt wird. Eine Premiere feiert dagegen Sepsis, der Backline-Helfer der REITER und gleichzeitig Gitarrist bei DISASTER K.F.W. aus Weimar: Er schnappt sich bei 'Reitermaniacs' eine Strom-Klampfe und spielt mit. Im Publikum steigt die Begeisterung, überall moshende Leiber, Diver erklimmen die Bühne und lassen sich durch den Raum tragen. Der Kampfschrei kommt über gut 300 Lippen: "We are Reitermaniacs ..." Etliche Zugaben später, das letzte Lied des Abends: 'Dschings Khan'. Dazu kommen noch einmal TURISAS-Akkordeonspieler Janne und sein Partner am Bass, Hannes Horma, auf die Bühne. Besonders Hannes hat es raus, das Publikum mit seinen gefletschten Zähnen noch einmal zu packen, zu einem letzten Tanz am Rande des apokalyptischen Wahnsinns zu zwingen. Und so gerät der Song zu einer Hommage an den Wodka, an die Lebensfreude, an die zügellose Energie dieser gesamten Tour. Der Oberwahnsinn, wie auch zwei Typen aus der Nähe von Bremen feststellen, die extra von dort zur letzten REITER-Show dieser Tour gekommen sind. Einer der beiden bringt es nach dem Gig auf den Punkt: "Ich habe gerade Liebeskummer. Deswegen dachten wir uns, dass wir hierher fahren. Ein Gig mit den REITERN ist immer geil." Wie wahr, wie wahr ...
- Redakteur:
- Henri Kramer