Die Apokalyptischen Reiter - Potsdam
08.03.2005 | 09:2104.03.2005, Lindenpark
Volk-Man von den APOKALYPTISCHEN REITERN ist Gründungsmitglied der Band und deshalb einiges gewöhnt. Doch die aktuelle Tourzusammenstellung, die REITER nämlich zusammen mit den Finnen von TURISAS, die erfreut den Bassisten doch ganz besonders. "Jeden Abend wird im Tourbus gemeinsam die deutsch-finnische Freundschaft besungen", sagt er über die Erlebnisse mit den Burschen aus dem hohen Norden. Die Harmonie und Verbundenheit zwischen den Musikern scheint sich auch auf die Stimmung bei den Konzerten auszuwirken, wie die Show im Potsdamer Lindenpark-Saal zeigt...
Doch vor den zwei miteinander verschworenen Hauptacts steht ein Fremdkörper. Er hört auf den unheimlich provokanten Namen RIEFENSTAHL und ist nur für zwei Gigs bei der Tour dabei. Das reicht völlig. Denn RIEFENSTAHL würden, wenn sie keine Gitarren hätten, eher wie deutscher Schlager klingen. Die viel beschworene neue deutsche Härte - keine Spur davon. Stattdessen regiert auf der Bühne pure Langeweile und legt sich von dort aus über die Zuschauer, gepaart mit einem Hauch von Entsetzen ob der deutschen Texte von RIEFENSTAHL, die so nichtssagend sind, dass im Vergleich selbst die Bild-Zeitung zum Dichter-Blatt heranwächst. Dazu kommt die Musik des so wahnsinnig originell betitelten Debüts "Seelenschmerz" - eine Mischung aus Riffs der Marke "anspruchslos" und wenig originellen Schlagzeugparts, vermengt mit dem abwechselnd klaren und rauen Gesang von Jens "die Schabe" Esch. Zu dem Sound tummeln sich vor der Bühne etwa sechs Jung-Burschen, die ein bisschen überschüssige Energie herauslassen müssen. Der Rest der Zuschauerschar übt sich im Schweigen zwischen den Songs und wartet, bis diese Grausamkeit vorbei geht. Nein, zu der guten Laune, welche die REITER versprühen, passen RIEFENSTAHL definitiv nicht. Da macht es nur Gitarrist Ralph richtig und behält die Sonnenbrille auch während des Gigs auf. Dagegen fällt der glatzköpfige Barde Jens durch der eisigen Stimmung im Saal unangemessenes Posen in Kameranähe und wenig motivierende Ansagen auf. Egal, ein paar Sekunden nach dem Auftritt sind RIEFENSTAHL schon vergessen und das Bier schmeckt wieder...
... doppelt so gut ab den ersten Tönen von TURISAS. Eigentlich besteht die Band nur aus fünf Musikern, für ihre erste Europa-Tournee haben sie gleich drei Leute mehr mitgenommen. Außerdem stecken ihre beiden Scheiben "The Heart Of Turisas" und die neue, bei Century Media erschienene "Battle Metal" im Gepäck. Als sie ihr Konzert beginnen, weht ein Hauch der alten Sagenwelt Finnlands durch den inzwischen mit rund 300 Leuten gut gefüllten Saal des Lindenparks. Die nach einem alten finnischen Kriegsgott benannte Band kommt nur in Leder und Schafspelze gehüllt auf die Bühne, die Gesichter sind mit schwarz-roter Bemalung geschminkt - so ungefähr müssen ihre Vorväter ausgesehen haben, als sie gegen das eindringende Christentum kämpften. Die Musik von TURISAS steht ihren Landsleuten von ENSIFERUM nahe, ähnlich spielfreudig und folkig angehaucht klingt das Spiel ihrer Instrumente. Doch, und da liegt das TURISAS beflügelnde Moment an diesem Abend: diese Finnen haben ihre Gastmusiker. Einmal ist dies ein Teufelsgeiger mit Glatze und Bemalung. Neben ihm tänzelt ein wild umher stierender Akkordeonspieler mit weißem Gesicht und blutverschmiertem Mund, eingerahmt von schwarzen Haaren, nur bekleidet mit einem samtigen Rock und bar jeden Schuhwerks. Später, bei der Backstage-Party, wird Volk-Man von den REITERN über ihn sagen, dass er ein begnadeter Frauenverführer ist. Doch auf der Bühne wirkt er seltsam bekifft, diabolisch, in den Klängen seines Akkordeons versunken. Ein anderer Zeitgenosse der Art Homo Sapiens, von dem 99 Prozent der Menschheit kein Auto kaufen würde, ist Jussi. Der Gitarrist hat einen riesigen blonden Bart, lange Haare und trägt ebenfalls Fell - wahrlich wie ein Wikinger. Genauso glaubwürdig wirkt Sänger Warlord, der wild und voller Emotion ins Mikro keift, aber gleichfalls mit seiner Stimme die hellen Klänge beherrscht. In solchen Momenten setzt auch die restliche Band mit ein, zum Teil hören sich die daraus entstehenden Chöre wie eine heroischere Version von MANOWAR an, die nebenbei noch wunderschön melancholisch klingt. Doch als Antwort auf die traurigeren Parts setzt er sich langsam wieder durch, dieser lebensbejahende Sound, wie er nur an der finnischen Seenplatte entstehen kann, gipfelnd in einem alles niederreißenden 'Battle Metal', veredelt durch einen Klang, der im Lindenpark alle Instrumente klar und deutlich aus den Boxen schallen lässt... Famos!
Es ehrt die REITER, dass sie sich für ihre Tour solch eine Herausforderung als Vorband ausgesucht haben. Doch wirken die Thüringer ob der massiven Konkurrenz vor ihrer eigenen Show kein bisschen nervös. Ein Sarg wird auf die Bühne geschoben. Ein Handlanger von Sänger Fuchs öffnet ihn mit großer Geste. Dr. Pest springt heraus und schwingt seine Peitsche, sein teuflisches Grinsen klebt hinter seiner SM-Maske aus Leder. Wüste Verfolgungsrunden folgen, irgendwann trollt sich Onkel Pest hinter sein Keyboard. Fuchs brüllt dem tobenden Publikum "einen herzlich warmen Empfang zur Unsterblichkeit" entgegen und los geht es. Die Reiter bieten in ihrer Show einen Querschnitt durch all ihre Schaffensperioden, sei es 'Unter der Asche', 'Du kleiner Wicht' oder das göttliche 'Die Sonne scheint...' vom neuen Album. Fuchs tobt über die Bühne, wirft sich auf den Boden, springt wieder hoch. Rechts steht Volk-Man in knallroten Hosen, bangt wie ein Teufel und keift seine berüchtigten Schreie ins Mikro. Im Vergleich zu früheren Auftritten haben die REITER neue Show-Elemente in ihre Setlist eingebaut, etwa ein treibendes Drumsolo auf drei Trommeln, die extra auf die Bühne gekarrt werden. Für noch mehr Jubel sorgt ein Mädchen, das mit Fuchs für einen Song lang zusammen bangen, tanzen und lachen muss - tapfer hält sie mit. Die Menge tobt, Diver verunsichern den Luftraum. Songs wie 'We Will Never Die' werden von den Fans aufgesogen, Sprechchöre nach jedem Stück sind die logische Konsequenz der mitreißenden Setlist. Ein Stück wie 'Terra Nola' lässt die Massen kreischen, selbst beim umstrittenen Song ´Paradies' finden sich unheimlich viele Luftraum-Fanaten auf der Bühne ein. Nach einer endlos-kurzweilig scheinenden Zeit kommt im Zugabe-Teil der Song 'Sehnsucht' dran, bei dem die deutsch-finnische Bruderschaft zusammen auftritt: die REITER mit Violinen- und Akkordeonunterstützung, es ist einfach zu traumhaft. Dann ist die REITER-Messe gelesen, eigentlich ertönt schon die Pausen-Musik im Lindenpark, die ersten Fans bewegen sich bereits weg von der Bühne. Doch erscheinen sie noch einmal, diese fünf galoppierenden Wahnsinnigen, und zocken 'Instinct' in einer Härte, dass auch der letzte Nackenmuskel kläglich aufgibt und sich überdehnt. Volk-Mans Kommentar zu der irren Show vor und auf der Bühne: "Ich war erstaunt, wie begeistert und tanzfreudig das Potsdamer Publikum ist - wir erleben die Preußen sonst eher gesittet und weniger euphorisch..." Woran das nur gelegen haben mag?
- Redakteur:
- Henri Kramer