Doom Shall Rise IV - Göppingen

26.04.2006 | 14:25

31.03.2006, The Chapel

Second Day Of Doom - Freitag, 31. März 2006

DOOMRAISER:

Nachdem das "DOOM SHALL RISE" ja am Samstag angenehmer Weise immer erst am frühen Nachmittag beginnt, kommen wir um drei Uhr gut ausgeschlafen und voller Vorfreude an der Chapel an, pünktlich zu den ersten Takten der italienischen Truppe DOOMRAISER, die sich beim ersten Song ein wenig Sludgecore-lastig präsentiert, sich aber schon bald in Richtung des klassischen Doom-Sounds bewegt. Der Rickenbacker von Power-Basser BJ kommt schön verzerrt und mit Wah-Wah aus der Deckung und auch sonst drängt sich hier und da eine kleine SAINT VITUS-Assoziation auf. Dabei präsentieren sich die Jungs zwar recht zäh, aber dennoch lebendig und mit sichtbarer und spürbarer Spielfreude. Im weiteren Verlauf des Gigs kommen auch noch diverse BLACK SABBATH-Gedächtnisriffs zum Zuge und manch einer dürfte sich beim vierten Stück der Setliste der DOOMRAISER ein wenig an CATHEDRAL zu "The Carnival Bizarre"-Zeiten erinnert fühlen. Das alles zeigt zwar, dass wir es bei DOOMRAISER nicht unbedingt mit einer extrem originellen Band zu tun haben, aber in jedem Fall mit einer sehr vielseitigen Band, die ihren Einflüssen mit viel Elan und Hingabe huldigt, ohne dabei zu sehr von ihren Vorbildern abzukupfern. Der Auftritt der Jungs hat auf jeden Fall mächtig Spaß gemacht und uns perfekt auf den zweiten doomigen Tag eingestimmt, der in Kürze eine extrem außergewöhnliche Fortsetzung finden sollte... Stimmt's, Rouven?
[Rüdiger Stehle]

BEEHOOVER:

Aber hallo! Das möchte ich am liebsten in kilometergroßen Lettern hier aufschreiben, damit es jeder mitbekommt. BEEHOOVER. Moment, Bienenstaubsauger? Welcher Gedanke auch immer bei der Namensgebung für die Band eine Rolle gespielt hat, er muss ungemein kreativ gewesen sein. Und vielleicht auch mutig. Denn das sind die ersten beiden Beschreibungen, die mir zum Bühnenauftritt des Duos (!) einfallen: Sänger und Basser, ja Hauptmusiker I. Petersen sitzt (!!) auf einem Hocker auf der Bühne, seine einzige Begleitung ist der ebenfalls mit einem Mikro ausgestatte und von einer Beckenpahalanx umgebene Drummer C.P. Hamisch - viel minimalistischer kann man Musik vermutlich nicht inszenieren.
Die ersten Klänge der BEEHOVER'schen Kompositionen versetzen mich dann in einen Freudentaumel, den ich in dieser Art und Weise länger nicht mehr erleben durfte. Petersens Stimme ist atemberaubend schön, und noch so viel mehr als das: leidend, traurig, hoffnungsvoll, wütend, vehement und ungemein erhaben intoniert er die zumeist überlangen Kompositionen, die stilistisch nicht so wirklich einzuordnen sind. Er selbst klingt wie eine Mischung aus Ed Kowalczyk (LIVE), PEARL JAMs Eddie Vedder und Mike Patton, die kreierten Soundlandschaften ein bisschen, als ob jemand bei den RED SPAROWES singen würde. Und gleichzeitig noch bei GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR, die man nebenbei mal ordentlich rocken lässt. Aber eigentlich ist es wirklich unbeschreiblich, was BEEHOVER dort nur zu zweit zaubern. Nochmal zum mitschreiben: Da ist lediglich ein Bass und ein Schlagzeug vorhanden, und doch hagelt es Melodiebögen, es rockt, es proggt, es schwebt. Petersen entlockt seinem viersaitigen Fünfsaiter Klänge, die Sehnsüchte nach einer Gitarrenbegleitung gar nicht erst aufkommen lassen. Das Paradies eines jeden Bassers? Vielleicht. Aber in jedem Fall das Paradies eines jeden Musikliebhabers, wenn treibende Powerchord-Rhythmen auf traurige Akkorde treffen, abkühlen und dann zusammen mit waghalsigen Melodieläufen neu Fahrt aufnehmen. Drummer Hamisch unterlegt das Ganze mit dezent vertracktem Spiel, lässt die Becken sprechen, ist der Motor der zerbrechlichen BEEHOVER-Dynamik.
Ich hoffe, dass die Band die Aufnahmen am Longplayer-Debüt bald abschließt, denn nach dieser Stimme und diesen Kompositionen ist man bereits nach vierzig Minuten absolut süchtig. Unbedingt anchecken!
[Rouven Dorn]

HEAVY LORD:

Und die zweite positive Überraschung folgt sogleich: Die blutjungen Holländer haben es mir spätestens nach zwei Minuten ihres gemeinsamen Musizierens mächtigst angetan. Zu Beginn bewegt sich das Quartett eher im Sludge-Bereich und lässt bei mir, ähnlich wie VERSUS THE STILLBORN-MINDED am Abend zuvor, selige Erinnerungen an Szenegrößen wie NEUROSIS oder ISIS wach werden. Aber das hier ist nicht nur die Moderne, sondern eine fast perfekte Symbiose dieser mit den klassischen, doomigen Sounds der Urväter von BLACK SABBATH. Aber auch CROWBAR (in Sachen Heavyness) oder DOWN (Rotzpotential beim Abrocken, einige Melodien) könnte man als Querverweise nennen. Sänger und Basser Steven ging mit seinen Shouts und Screams teilweise etwas im wirklich fetten Sound der Truppe verloren, und auch der cleane Gesang darf noch etwas geübt werden - was der Jüngling allerdings bereits vorzüglich drauf hat, ist das komplett bekiffte und fast orientierungslose Herumstaksen auf der Bühne. Herrlich! Nach einer Ansage, die man nur mit Mühe verstehen konnte, war klar, dass dies selbst Drogengroßmeister Ozzy himself nicht besser hätte hinbekommen können. Sehr amüsant. Ansonsten zolle ich der Truppe Respekt für ihre ausgewogene, mitreißende und kreative Mischung aus Tradition und Moderne, die von der ersten bis zur letzten Minute durchgehend beste Laune gemacht hat. Die Kollegen von DOOMRAISER sahen dies genauso, und feierten die Tulpenländer in der ersten Reihe gebührend ab. Jetzt fehlt mir nur noch die erste Langrille der Truppe, um selbst komplett in Jubelarien auszubrechen. Klasse!
[Rouven Dorn]

GLOW:

Die einzige spanische Band auf dem Billing hört auf den Namen GLOW und ist aus der inzwischen aufgelösten Truppe THE TEMPTER hervor gegangen. Dass die Bands und Fans beim "DOOM SHALL RISE IV" eine echt familiäre Gemeinschaft bilden, erkennt man daran, dass die GLOW-Jungs bisher immer als Zuschauer beim DSR waren und so die Veranstalter auf sich aufmerksam machten. Jetzt wurden sie letztendlich eingeladen, selbst auf der Bühne zu stehen, und ich kann ihnen definitiv bescheinigen, dass sie ihre Sache gut gemacht haben. Sie spielen keinen reinen Doom (was ist schon "rein"?), sondern garnieren ihren Sound durchaus mit etlichen Elementen aus dem Stoner Rock und sogar aus dem Alternative-Bereich, so dass man sicher das eine oder andere Stilelement von KYUSS oder gar SOUNDGARDEN im GLOW-Sound ausmachen kann. Das ist zwar normalerweise nicht ganz so meine Ecke, aber es demonstriert einmal mehr, dass Doom relativ frei von Scheuklappendenken auch andere Einflüsse aufnehmen kann. Jedenfalls haben GLOW gerockt, und überzeugen mit ihrer unbekümmerten und geradlinigen Art auch den einen oder anderen Skeptiker, der - wie ich - zwar wegen anderer Bands angereist ist, aber eben auch den Abwechslungsreichtum zu schätzen weiß.
[Rüdiger Stehle]

BUNKUR:

Ja, so kann man sich täuschen. Eigentlich war uns gestern Abend nach VERSUS THE STILLBORN-MINDED schon fast klar eben die langsamste und zäheste Band des Festivals gesehen zu haben. Pustekuchen. Gegenüber der niederländischen Zeitlupen-Walze BUNKUR wirken VTS-M geradezu flott. Außerdem... wer braucht schon Gitarren? BUNKUR sind demzufolge zwei bis zum Anschlag verzerrte Bässe, ein Schlagzeug im quälenden Schneckentempo von etwa 20 bpm und dazu die Schmerzensschreie und stimmlichen Abscheukundgebungen der beiden Bassmänner Mvii, der in seinen Backing Vocals klingt wie ein verwunderter Nazgûl und Kiii dessen infernalisches Gebrüll die Sonne zu verdunkeln im Stande scheint. BUNKUR sind Negativität, Hass und Verzweiflung pur und ihr locker über eine halbe Stunde gehendes Stück 'Bludgeon' sorgt in jedem Fall für beeindruckte Gesichter, auch wenn nicht jeder der Anwesenden das über die volle Spielzeit aushält. Das ist eben Doom/Drone in einer ziemlich extremen Form, die eben extrem schwer verdaulich ist. Man möchte mutmaßen, dass das Universum da draußen nur deswegen existiert, weil es sich fürchtet, mit einer Band wie BUNKUR auf dem selben Planeten zu hausen. Mir persönlich gefällt der Stil der Truppe zwar sehr gut, aber irgendwie waren mir die Lavaklänge an selbigem Tag nach einer halben Stunde dann doch etwas zu anstrengend, so dass mir leider das abschließende BURZUM-Cover 'Erblicket die Tochter des Firmaments' entgangen ist. Hätte ich gerne gehört. In jedem Fall eine beeindruckende Band, für die man aber in der richtigen Stimmung sein und nicht unter Stress stehen sollte.
[Rüdiger Stehle]

"Beeindruckend" ist auch mit die erste Assoziation, die mir zur musikalischen Darbietung von BUNKUR einfällt. Es folgen "anstrengend", "nervenzerfetzend" und "anstrengend". Dazu muss man defintiv in der richtigen Laune sein, und die umschreibt Kollegin Caroline passend mit "Das hör ich mir dann an, wenn ich mich umbringen wollte...". Nun gut, ganz so schlimm ist es dann auch nicht. Aber fast. Irgendwie ist man froh, dass das Trio sich nur auf Bässe und ein Drumkit beschränkt, denn ich wollte nicht wissen, welche widerlichen Töne die Jungs einer Klampfe entlocken würden. Obwohl man die Musik über große Strecken als "hässlich" bezeichnen kann (ist ja auch so gewollt), ertappe ich mich dabei, den Klängen von BUNKUR doch länger zu lauschen als eigentlich geplant. Man wollte halt wissen, ob sich im "Monotonie" neu definierenden Sound des Dreiers noch irgendwann etwas tun würde. Zu dumm, dass wir genau dann nicht anwesend waren, als dies der Fall war. Lustige Anekdote: Gerade die abgrundtief negativ eingestellte Band wird dann von der Sonne mit einigen wärmenden Strahlen direkt auf die Bühne bedacht. Hihi!
[Rouven Dorn]

JACK FROST:
Nachdem ich meine Mitstreiter so gar nicht für die wunderbarste Doom-Band aus meiner Heimat begeistern kann, muss ich den Auftritt eben alleine genießen, während sich die Herren am geheimen Wodka-Vorrat von Rockhard-Mönch Bruder Cle laben. Dabei treffen JACK FROST mit ihrer gelungenen Mischung aus Doom und Düsterrock den Nerv des Publikums und wie schon am Vortag sieht man viele Fans mit ihren Bandshirts rumrennen. Dementsprechend voll ist es, als die Jungs aus "Gloom-Rock-City" (sprich: Linz) die Bühne betreten. Dafür sind auch extra END OF GREEN angereist, um ihre alten Freunde zu unterstützen und danach ausgiebig zu feiern. JACK FROST konzentrieren sich vor allem auf die Songs der letzten beiden Alben und kommen mit dieser Auswahl bestens beim Publikum an. Sänger Phred Phinster (die haben genauso lustige Band-Pseudonyme wie END OF GREEN) sticht durch seinen eigenwilligen Gesang hervor und bringt mit seiner teilweise fast weinerlichen und finsteren Stimme eine ordentliche Portion Doom in die sonst sehr rockigen Songs. Seine Vocals sind zwar nicht Jedermanns Sache, doch wer sich mal dem Phänomen JACK FROST hingegeben hat, der wird so schnell nicht mehr von dieser Mischung aus dunklem Humor und Rock’n Roll losgelassen! Neben den neuen Songs gibts mit 'Queen' auch mal einen Rückblick auf ältere Werke, bevor uns die "Gloom-Rock-Bastards" mit dem Ohrwurm 'Me And Dark And You' veraschieden.
[Caroline Traitler]

Setlist:
Whore: The Downfall
Mother Mary Sleeps With Me
Psychodrome
Forever and Never
Leaving The Fields
The Night
Queen
Me And Dark And You

AGAINST NATURE:

Sänger und Gitarrist John Brenner, Basser Bert Hall und Schlagzeuger Steve Brannagan waren es, die 1990 in Baltimore gemeinsam das legendäre REVELATION-Debüt "Salvation's Answer" eingespielt haben. Und obwohl die Band noch eine Weile länger existierte, brach das Line-up langsam auseinander, bis sich John Brenner 1993 aus dem Musik-Business zurückzog und Steve Brannagan als letztes Gründungsmitglied die bereits 1986 gegründete Band am Leben erhielt. Dreizehn Jahre nach dem ersten Split fanden sich die drei Musiker 2004 wieder zusammen, um mit AGAINST NATURE einen neuen Versuch zu starten, ihre Doomvisionen zu verwirklichen, und nun, pünktlich zum 20-jährigen Jubiläum von REVELATION, stehen sie als neue Band auf der Bühne des "DOOM SHALL RISE IV". Zur Feier des Tages steigen sie mit einem intensiven REVELATION-Medley ein, das beim Publikum auch sehr gut ankommt. Weiter geht's mit dem noch etwas zäheren eigenen Material der Band, wie dem verschachtelten 'After The After' mit seinen dezenten "Southern-Rawk-Vibes" oder mit 'Pain By Numbers', das heftigste Wüstenrock-Referenzen verbrät und schon ein sehr psychedelisches Flair versprüht. Dazu passt auch Herrn Brenners muffiger Gitarrensound hervorragend. Ein Schwerpunkt der Setlist liegt offenbar auf dem vorigen Album "Panoply", das darüberhinaus mit dem hypnotischen '2 Years In Texas', dem etwas flotter rockenden und eindringlich gesungenen 'Mere Rebels' und dem bass-fixierten, sehr düsteren 'Children Cope With Boredom' vertreten ist. Dazu gibt's mit dem pumpenden 'Spectatorship' einen coolen Vorgeschmack auf das kommende Album "Safe Dissonance" und mit 'Neighborhood 8', 'Bland Hand Society' und 'Ensurpate' kommt auch das Debütalbum "Appease" nicht zu kurz, so dass im Prinzip alle Fans der Band auf ihre Kosten gekommen sein dürften. Dass man allenthalben kräftig von BLACK SABBATH beeinflusst ist, bekennt die Band auch freimütig mit dem 'Behind The Walls Of Sleep'-Cover im Zugabenblock, was bei diesem Festival natürlich blendend ankommt. Ich selbst war mit dem Material von AGAINST NATURE im Vorfeld nicht wirklich vertraut, so dass mir manches spontan etwas zu quälend und nölig vorgekommen ist. Das Gehörte hat mich aber in jedem Fall dazu gebracht, mir die Songs auf der Bandhomepage noch mal genauer zu Gemüte zu führen, was mich eben zu der Erkenntnis bringt, dass ich das wohl besser schon vor dem Festival hätte tun sollen. Dann wäre es mir sicher leichter gefallen, mich in die tiefgründigen und emotionalen Songs der Band hinein zu versetzen. Eine sehr starke Band, die beim Erstkontakt etwas spannungsarm und zu introvertiert wirken mag, aber immense verborgene Stärken hat.
[Rüdiger Stehle]

Setlist:
R20 Overture (feat. Unreal, Infinite Nothingness, Poets And Paupers, Waiting For The End & Long After Midnight)
Pain by Numbers
After The after
2 Years In Texas
Spectatorship
Alogos
Bland Hand Society
Organon
Neighborhood 8
Mere Rebels/Children Cope with Boredom
Blessed Realm
---
Behind The Wall Of Sleep/Ensurpate

VENI DOMINE:

Irgendwie schade, dass sogar AGAINST NATURE ein größeres Publikum hatten als die christlichen Schweden von VENI DOMINE. Von JACK FROST mal ganz zu schweigen. Wenn man dann noch bedenkt, dass die Jungs die gleiche Position im Billing hatten wie SOLITUDE AETURNUS, so ist diese Tatsache schon fast ein Armutszeugnis. Vor den Türen der Chapel versammelte sich das Doomvolk dann - ob es an der christlichen Ausrichtung der Band oder den teilweise deutlich vertrackten Songs lag, sei mal dahingestellt. Ich kann mir ein ausgiebiges Augenrollen nicht verkneifen, wenn man dann Sätze wie "...ist doch kein Doom" vernehmen muss. Meine Herren! Wenn alleine schon das Debüt der Ikealänder kein Doom ist, was denn bitte dann? Von eben jenem gab es auch einige Stücke, die bei der versammelten Audienz und auch bei meiner Wenigkeit mit am besten ankamen. Aber beispielsweise auch 'Dawn Of Time' vom famosen "Spiritual Wasteland"-Output konnte ordentlich punkten. Die neuren Stücke von den letzten beiden Alben, oder insbesondere von "23:59", fand ich beim ersten Hördurchgang auch nicht unbedingt einfach, was durch einige elektronische Einsprengsel noch verstärkt wurde. Aber wen interessiert das, wenn man dafür eingängige Mitsing-Hymnen wie etwa 'Valley Of The Visions' kredenzt bekommt? Eben, niemanden. Sollte zumindest so sein.
Deshalb würde ich den Auftritt von VENI DOMINE auch als sehr gelungen bezeichnen, und ich für meinen Teil hatte mit den Schweden viel Spaß. Dass man mit dem teils doch sehr hohen Gesang von Fredrik Ohlsson nicht unbedingt kann, das ist niemandem zu verübeln. Aber dass man einer talentierten und kreativen Band nur deshalb den Rücken kehrt, weil sie christliche Botschaften propagiert, etwas vertrackte Songs hat oder Loops in den Sound mit einbaut, das ist schon etwas traurig und muss nicht unbedingt sein. Oder?
[Rouven Dorn]

DEBRIS INC.:

Hatten sich bei den zuvor spielenden episch-progressiven Schweden die Reihen leider Gottes merklich gelichtet, fürchtete ich kurzzeitig schon, dass es auch DEBRIS INC. schwer haben könnten, das mittlerweile recht müde Publikum noch mal ordentlich zu mobilisieren. Doch weit gefehlt: Pünktlich als das amerikanische Trio die Bühne betritt, ist es in der Chapel wieder gerappelt voll. Wäre ja auch zu absurd, wenn sich ein Publikum, bei dem so ziemlich jeder Zweite entweder ein Hemd oder einen Aufnäher mit dem Schriftzug des heiligen Veit trägt, schlapp machen würde, wenn Herr D.C. Vitus höchstselbst sich und uns die Ehre gibt und sich zusammen mit seinem kaum minder legendären Kumpel Ron Holzner (ex-TROUBLE) anschickt, die Kapelle ins Nirwana zu rocken. Unterstützt werden die beiden Doom-Legenden von Henry Vasquez (SOURVEIN), der mit seinem tierischen Wumms für das inkorporierte Schrottkommando auf Tour die Trommeln vermöbelt.

Nun, wer weiß, wie sehr ich Herrn Chandlers Schaffen verehre, der wird mir vielleicht nachsehen, dass ich vor lauter Gebanntheit gleich mal verpeilt habe, die ersten beiden Songs zu notieren. Wenn ich mich nicht täusche, müsste es sich um den zähen Doomster 'The Old Man And His Bong' und das gruselig-eindringliche 'Sickening Thud' gehandelt haben, bei denen Dave gleich mal mit seiner ganz speziellen Art der Gitarrenhexerei für ungläubiges Staunen sorgt. Sein Stil mit den massiven Wah-Wah-Effekten bei den Soli ist einfach unerreicht und nicht zu kopieren. Da aber DEBRIS INC. eben nicht nur für den puren Doom steht, sondern auch für Punk in seiner rohsten und ursprünglichsten Form, wird uns mit den aggressiven und schnellen Stücken 'Fuckin' Mess' und 'Full Of Shit' gleich mal ordentlich den Hintern versohlt, was die ansonsten eher Gemächliches gewohnte Doomgemeinde erstaunlich dankbar aufnimmt. Auch 'Nightmare' ist noch mal halbwegs flott und mit einen sehr eingängigen Refrain ausgestattet, der auch entsprechend mitgesungen wird. Dass danach zum ersten Mal Daves Wah-Pedal den Dienst quittiert ist nicht weiter tragisch. "Batteries suck" schimpft der Kopftuchträger mit der grauen Lockenmähne, während Ron und Henry die Meute bei Laune halten.

Doch keine Sorge, trotz Punk und leeren Akkus haben DEBRIS INC. nicht vergessen, dass wir uns auf einem Doom-Festival befinden und so gibt's nach erfolgtem Batterienwechsel das marternde 'Pain', das dem Begriff "Schmerz" eine musikalische Dimension verleiht. Es ist schon ergreifend, wenn zig Kehlen mit Dave und Ron unisono "Pain!" brüllen, bis der Arzt kommt. Als wäre das nicht schon zäh genug gewesen, kündigt Dave an, dass sie es nun etwas langsamer angehen lassen wollen. Man hätte es ja schließlich mit Doom-Fans zu tun. Zustimmender Jubel, der in ein breites Grinsen umschlägt, als die Herrschaften mit dem 38-Sekunden-Punkinferno "Shut Up" ihren schnellsten Song überhaupt rausrotzen, was Chandler in seiner ihm eigenen, raubeinigen und sarkastischen Art mit einem kurzen "That was epic!" kommentiert. Weiter geht es schön im Wechsel zwischen dynamischem Ur-Doom der Marke "Junkbak" - mit seinen starken Soloeinlagen von Bass und Schlagzeug (von der Gitarre müssen wir gar nicht erst reden, oder?) und Punk nach Art von 'I Feel Like Shit Again' und 'Ballad Of Debris'. Die musikalischen Glanzlichter in den kompositorisch sehr einfach strukturierten Nummern setzt natürlich Dave mit seinen eigenwilligen Soli, klar, doch vor allem Ron zaubert öfter mal ein wenig auf dem Bass, so dass erneut der Beweis erbracht ist, dass auch mitunter einfachste Riffs und Songstrukturen nicht ohne Anspruch sein müssen. Dennoch ist es in erster Linie die Ausstrahlung der Protagonisten, welche diese Band ausmacht. Daves rabenschwarzer Humor und Rons lässige Art sind einfach Kult!

Doch dann ist der Zeitpunkt gekommen, auf den wohl fast alle Anwesenden das ganze Wochenende über sehnlichst gewartet hatten: SAINT VITUS TIME! Die Band lässt sich nicht lumpen und würdigt den Anlass des Tourauftaktes beim "DOOM SHALL RISE IV" mit einem fetten Klassiker-Block, der eigentlich keine Wünsche offen lässt. Der Geniestreich 'Dying Inside' als verzehrende Seelenpein in Musikform macht den Anfang und sorgt für eine mächtige Gänsehaut, bevor das Trio mit 'Living Backwards' und 'I Bleed Black' Genreklassiker zelebriert, die durchaus den einen oder anderen angedeuteten (oder gar vollzogenen?) Kniefall im Publikum auslösen. Als dann die VITUS-Überhymne schlechthin erklingt, brechen alle Dämme. 'Born Too Late' wird mitgesungen, Dave Chandler nach seinem Mit-den-Zähnen-Solo fast ins Publikum gezerrt und jeder ist happy. Auch wenn es keinen TROUBLE-Song gegeben hat, weil dies laut Ron mit nur einer Gitarre nicht gut klingen würde. Ist ja auch nicht ganz so schlimm, da TROUBLE selbst ja noch aktiv sind, während DEBRIS INC. die einzige habhafte Ersatzbefriedigung für VITUS-Jünger ist.

Danach gibt es noch minutenlang Zugaberufe, so dass sich DEBRIS INC. nicht lumpen lassen und das bissige 'You're The Reason I'm Medicated' raushauen. Dann spielt Ron auf seinem Bass kurz einige Metalklassiker an und zuletzt reicht Dave seine Gitarre an Thorsten Frahling alias "Reverend Odd" von TORTURED SPIRIT weiter, nimmt am Bühnerand platz und schmettert das FEAR-Cover 'I Love Living In The City', nach dem die Fans in der ersten Reihe Dave kaum mehr loslassen wollen und er es nur unter gehöriger Mithilfe der Bühnencrew schafft, sich loszueisen und wieder auf die Bühne zu klettern. Mit gekreuzten Klampfen beschließen DEBRIS INC. einen absoluten Triumphzug, der definitiv in die Annalen meiner Doomkopf-Karriere eingehen wird. Wenn es mir schon nicht vergönnt war SAINT VITUS jemals live zu sehen, so bin ich doch sehr dankbar für die beiden unvergesslichen DEBRIS INC.-Gigs, die ich bisher erleben durfte, und der beim DOOM SHALL RISE war eindeutig der bessere!
[Rüdiger Stehle]

Setlist:
Old Man And His Bong
Sickening Thud
Fuckin' Mess
Full Of Shit
Nightmare
Pain
Shut Up!
Junk Bak
Bass Solo
I Feel Like Shit Again
The Ballad Of Debris
Dying Inside
Living Backwards
I Bleed Black
Born Too Late
---
You're The Reason I'm Medicated
I Love Living In The City

Fazit:
Jawollja, das hat Spaß gemacht! Mein erstes "DOOM SHALL RISE" werde ich so schnell nicht vergessen: Entspannte, feierfreudige Atmosphäre, Doomfreaks so weit das Auge reicht (einige sogar aus dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden oder der Schweiz angereist!) und eine Location, die wohl Ihresgleichen sucht. Veranstalter Frank bewies auch anno 2006 ein sehr glückliches und erfahrenes Händchen hinsichtlich des Billings, so kann ich mir schwer vorstellen, dass man dieses Festival in Sachen stilistischer Bandbreite noch großartig übertreffen kann. Und doch war alles irgendwie doomig, passte in den Gesamtkontext. Allerdings stellt sich die Frage, ob vegetarische Ernährung kein Doom ist - zumindest am zweiten Tag hätte man als Grünzeug-Fan wohl so seine Probleme bekommen. Aber da dies nur Kleinigkeiten am Rande eines rundum großartigen Festivals waren, bleibt für uns nur noch folgende Drohung: Wir kommen wieder!
[Rouven Dorn]

Redakteur:
Rüdiger Stehle

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