EUROPE, BLACK TAPE LION - München
29.11.2017 | 18:0228.11.2017, Backstage
Zwei einzelne Konzerte in Deutschland sind die Ausbeute der aktuellen Tour der Schweden, weil sie eigentlich mit ALICE COOPER unterwegs sind und sich an den Tagen ohne Anheizen des Schockrockers mal eben zwei Gigs in München und fünf Tage später in Hamburg einplanen ließen.
Das gefällt mir gut, denn "Walk The Earth" ist wieder ein ganz feines, neues Scheibchen geworden, sodass ich mir diesen Auftritt nicht entgehen lassen möchte. Auch wenn ich erwarte, dass EUROPE im Laufe des kommenden Jahres noch einmal in unseren Landen auf spielen wird.
Beim Eintreffen wundere ich mich, dass es gar nicht so voll aussieht, und auch die große Hauptkasse ist nicht auf, stattdessen steht ein Tischchen am Eingang zum "Werk", der größten Veranstaltungslocation des Backstage. Na, was ist denn hier los? Tatsächlich wurden im Vorfeld nur etwa 500 Tickets abgesetzt, was ich mir kaum erklären kann. Die Jungs sind live eine Bank, und gerade die letzten Alben feinstes Hard-Rock-Futter. Liegt es vielleicht am Eintrittspreis, der mit 43 Euro an der Abendkasse relativ hoch ausgefallen ist?
Als Support wurde heute die Band BLACK TAPE LION verpflichtet, eine junge Truppe, die bisher nur wenige Auftritte absolviert hat. Das merkt man aber kaum, die Vier sind professionell und überzeugend zugange. Der schmissige Hard Rock, mal mit etwas mehr rohem Garagenflair, mal mit etwas Punkgefühl, immer aber mitreißend dargeboten und mit beachtlichen Hooklines verziert, schafft es, das Publikum im Laufe der vierzig Minuten immer mehr auf die Seite der Regensburger zu ziehen. Anfangs ist man noch etwas reserviert, aber gegen Ende klatscht gut die Hälfte der Halle mit. Für einen unbekannten Anheizer eine mehr als beachtliche Leistung. Clever ist der Trick, mit TOM PETTYs 'Free Fallin'' eine Coverversion zum Mitsingen zu bringen, dadurch steigt der Pegel der Begeisterung und sinkt auch nicht mehr bis zum Ende. Für eine junge Band sind die Buben auch noch ausgesprochen cool, weisen auf ihre aktuelle CD hin und sorgen dafür, dass das Publikum ihren Namen kennt, der aufgrund des zu groß geratenen Backdrops für die lesende Bevölkerung leider bei BLACK TAPE aufhört. Vor dem LION sitzt der Mann mit dem Rhythmus-Bumms. Sehr kurzweiliger, guter Auftritt, Wizard Promotion, die die Band kurzerhand ins Vorprogramm gebucht hat, bewies ein feines Händchen. Wenn ihr BLACK TAPE LION mal sehen könnt, sollte ihr die Gelegenheit beim Schopfe packen.
Aber nun ist es Zeit für EUROPE. Jedenfalls beinahe. Fast 40 Minuten gehen ins Land, bevor es endlich losgeht. Keiner weiß, warum, denn auf der Bühne scheint alles nach weniger als einer Viertelstunde erledigt zu sein. Aber als dann endlich John Norum als erster im Halbdunkel über die Bretter marschiert, ist alles vergeben. Ja, hier sind viele Fans anwesend, man sieht viele T-Shirt der Touren der letzten paar Jahre, und der Titelsong des neuen Albums gefolgt von 'The Siege' bedeuten einen guten Einstieg für diejenigen, die EUROPE im neuen Jahrtausend zu schätzen wissen. 'Walk The Earth' ist live genauso eine Granate wie auf der Scheibe, ich prophezeie, dass sie dieses Lied in naher wie ferner Zukunft werden spielen müssen. Auch wenn natürlich die Euphorie zunimmt, als mit 'Rock The Night' der erste Klassiker ausgepackt wird. Sänger Joey ist gut bei Stimme und Bassist John Leven hat augenscheinlich Freude am heutigen Abend. Gitarrist John Norum hat den üblichen Bierdeckelradius, aber die Show macht eh der sympathische Frontmann, der immer wieder ein paar deutsche Brocken in seine Ansagen integriert.
EUROPE ist keine Band, die in der Vergangenheit lebt. Mit sechs Alben nach der Wiederkehr im Vergleich zu fünf Alben davor können die Skandinavier es sich auch leisten, den acht Klassikern zehn Lieder neueren Datums entgegen zu stellen. Dabei ist die Setliste gegenüber dem letzten Einzelgig ohne Alice Cooper in Pratteln vor drei Tagen um fünf Lieder verändert worden. Ja, das hier ist eine Band, die Spaß an ihren Songs hat, die abwechseln kann und sicher keine alternden Rocker, die eine choreografierte Instant-Show abliefern.
Besondere Highlights sind meiner Ansicht nach 'Heart Of Stone' vom Erfolgsalbum "The Final Countdown", das eher selten zum Einsatz kommt, und 'Not Supposed To Sing The Blues', eines meiner Bandhighlights. Ansonsten wird gesungen und gerockt, heftige Songs wie 'The Siege', 'GTO' und 'Scream Of Anger' sorgen für den richtigen Punch, 'New Love In Town' und das tolle Instrumental 'Vasastan' für ruhigere Momente. EUROPE kommt dabei ohne besondere Showelemente aus, stattdessen sorgt Joey Tempest für vielstimmige Chöre, die die eingängigen Lieder lauthals mitschmettern. So muss das sein bei einer EUROPE-Show.
Zum Ende wird es dann natürlich vorhersehbar. Drei der großen Hymnen der Schweden machen den Abschluss, darunter selbstverständlich 'The Final Countdown', bevor nach etwa 100 Minuten der Vorhang fällt. Überall zufriedene Gesichter, aber natürlich auch das übliche "Mir fehlte 'Carrie'" oder "wo war denn 'Prisoner In Paradise'?". Dem setze ich entgegen: Mir fehlten 'The Beast', 'Riches To Rags', 'No Stone Unturned', 'Love Is Not The Enemy' und 'Start From The Dark'. Hilft wohl nichts, da werden wir uns wohl alle nächstes Mal wieder hier treffen müssen.
Setliste: Walk the Earth; The Siege; Rock the Night; Hole in my Pocket; Last Look At Eden; New Love in Town; Firebox; Heart of Stone; Vasastan; Girl From Lebanon; GTO; Sign of the Times; Not Supposed to Sing the Blues; Scream of Anger; War of Kings; Superstitious; Cherokee; Encore: The Final Countdown
- Redakteur:
- Frank Jaeger