Earthshaker Roadshock Tour - Berlin
15.05.2007 | 22:4301.05.2007, Postbahnhof
Nach der Wacken Roadshow nun also die Earthshaker Roadshock-Tour ... wer sich im immer härter umkämpften Festivaldschungel langfristig behaupten will, darf eben nicht nur ein Mal im Jahr auf sich aufmerksam machen. Im Gegensatz zu ihren norddeutschen Kollegen, deren Roadshows eher kleinere Bands in ebensolchen Clubs präsentieren, verfahren die Erdenschüttler ganz nach dem Motto "nicht kleckern, sondern klotzen". Schön, weil dadurch ein Haufen mehr oder weniger hochkarätiger Acts im Sechserpack größere Hallen unsicher macht. Schlecht, weil diese stilistisch derart unterschiedlich sind, dass nur wenige Fans die dreißig Euro für vielleicht zwei, drei individuell favorisierte Combos ausgeben wollen. Der Berliner Postbahnhof ist selbst beim Headliner maximal zur Hälfte gefüllt, und andernorts soll es bisher ähnlich mau ausgesehen haben.
Dass die Tour aus ganz anderen Gründen nur wenige Tage später vorzeitig beendet werden muss (siehe dazu unsere News vom 06.05.2007 ), steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt. Hier in Berlin scheint noch alles in bester Ordnung zu sein, jedenfalls äußert sich keiner der Musiker, die ich vor der Show treffe, besonders kritisch über die Organisation. Lediglich der FINNTROLL-Bassist murmelt was von "endlich hat jeder sein eigenes Bett".
Zunächst genieße ich an diesem frühlingshaften ersten Mai ein wenig vorzeitiges Festival-Feeling. Der Biergarten des Veranstaltungsortes lockt mit warmen Sonnenstrahlen, so dass es schwer fällt, sich zu den bereits dreißig Minuten vor dem offiziell verkündeten Beginn ertönenden Klängen von ALL ENDS in die finstere Konzerthalle zu begeben. Die Formation um die beiden Frontladies Tinna Karlsdotter und Emma Gelotte (richtig, die kleine Schwester von IN FLAMES-Gitarrist Björn) entschädigt mich auch nur bedingt für die entgangene Sommerbräune. Abgesehen von der Haarfarbe - die eine rot, die andere braun - unterscheiden sich die beiden Damen nämlich kaum voneinander, was den Reiz von zwei Stimmen deutlich schmälert. Das Songmaterial, welches überwiegend auf der erst am 11. Mai erscheinenden EP "Wasting Life" basiert, ist gefällig, jedoch zu sehr auf potentielle Hitsingles ausgerichtet und trotz Stromgitarrenuntermalung fast schon aufdringlich poppig. Im Fahrwasser von EVANESCENCE & Co. wird der Fünfer vermutlich auch ohne livehaftige Unterstützung der berühmten Songwriter (neben Emmas Bruder soll auch dessen Kollege Jesper Strömblad beteiligt gewesen sein) seine Anhänger finden - doch dürften eben gerade diese Vorschusslorbeeren der hierzulande noch völlig unbekannten Band einen Platz im Billing gesichert haben. Da zu dieser Zeit aber sowieso noch kaum jemand vor der Bühne steht, wird es ihnen wenig nutzen.
MACHINE MEN sind da schon eine ganz andere Baustelle. Genau wie ALL ENDS und AFTER FOREVER die Frauenquote nach oben treiben, halten die Finnen zusammen mit TAROT die Fahne des traditionellen Heavy Metals in den Wind. Bedingt durch die Tatsache, dass der Postbahnhof aufgrund der frühlingshaften Temperaturen auf die Garderobenöffnung verzichtet (wer den Wetterbericht verfolgt hat, stellt sich allerdings auf eine bitterkalte Nacht ein und darf seine Winterjacke sechs lange Stunden mit sich herumschleppen), verpasse ich wegen meines kleinen Ausflugs zum Alternativ-Depot "Auto" und zurück ein Drittel der 30-minütigen Spielzeit, die den ersten Acts zugestanden wird. Sehr schade, denn BRUCE DICKINSON-soundalike Antony fängt gerade erst an, mir Spaß zu machen, als die fünf Maschinenmänner die Bühne schon wieder räumen müssen. Soweit ich das nach dem kurzen Eindruck beurteilen kann ein überzeugender Auftritt einer bisher noch nicht über Insiderkreise hinausgekommenen Suomi-Kapelle, deren drei Alben die Power-Metal-Fans in unseren Redaktionsreihen nicht zu unrecht ordentlich abgefeiert haben.
Auf TAROT freue ich mich heute am meisten - und ein lauthals gebrülltes "Welcome Back!" meines Hintermannes lässt vermuten, dass ich nicht die einzige bin. Die seit Mitte der 80er existierende Formation um die beiden Hietala-Brüder, von denen der Jüngere den Meisten eher als Bassist von NIGHTWISH ein Begriff sein dürfte, hat mich auf ihrer kürzlichen Headliner-Tour - noch in Unkenntnis des tollen "Crows Fly Black"-Albums - schon begeistern können. Umso spannender sind die Wechselspiele zwischen Sänger/Bassist Marco und dem für Soundeffekte und Co-Gesang zuständigen Tommi Salmela, wenn man die dazugehörigen Songs erst mal verinnerlicht hat. Aber auch Marcos Bruder Zachary bekommt genug Raum, um seine songdienlichen Soli zu zocken. Mit dem hymnenhaften Titeltrack des Nuclear Blast-Debüts eröffnen die Finnen einen abwechslungsreichen Gig, in dem sich epische Stücke mit rasanten Power-Metal-Krachern gegenseitig die Klinke in die Hand geben. Das im Vergleich zur eindeutig zu früh absolvierten Headliner-Tour sehr viel zahlreichere Publikum geht zu den initiierten Mitklatsch- und Mitsingspielchen relativ gut ab, und auch die beiden Sänger präsentieren sich blendend gelaunt mit einer ordentlichen Portion Schalk im Nacken. Zu den Höhepunkten des knapp 40-minütigen Auftritts zählt das majestätische 'Veteran Of Psychic Wars', in dem Tastenmann Tommi seinen wohlverdienten Solo-Einsatz zelebriert (und dabei weiterhin "Luftkeyboard" spielt) sowie das von Marco als "very fast song" angekündigte Gänsehautepos 'Ashes To The Stars' (was für ein göttlicher Refrain!). Auf die lauthals geforderte Zugabe müssen die sympathischen Nordmänner leider verzichten - aber irgendwann legen die in Bälde reformierten NIGHTWISH sicher wieder eine kreative Pause ein, damit die auf der Earthshaker Roadshock Tour neu dazu gewonnen Fans zahlreich die hoffentlich nächste TAROT-Headliner-Tour stürmen können.
Setlist:
Crows Fly Black
Traitor
Pyre Of Gods
Veteran Of Psychic Wars
Before The Skies Come Down
Ashes To The Stars
Bleeding Dust
In der folgenden Umbaupause macht sich leichte Verwirrung breit: Die spaßige Pausenmusik - irgendwelche obskuren Cover-Versionen - lässt eigentlich auf DIE APOKALYPTISCHEN REITER hoffen, aber was will der fast kahlköpfige Fuchs bitte schön mit einem Ventilator? Ach ja, richtig, das ist ja das Markenzeichen von Floor Jansen ... ich bin mit dem AFTER FOREVER-Material ehrlich gesagt nicht wirklich vertraut, aber habe die Holländer stets als eine der angenehmereren Bombast-Metal-Gruppen mit Frauengesang registriert. Doch irgendwann nutzt sich der "hey, da steht ja 'ne Trällerelse, die auch ordentlich headbangen kann"-Bonus einfach ab. Zumal diese beiden Showelemente - ihr kräftiges Rotor-Banging und der allgegenwärtige Ventilator-Luftstrom, um ihre lange Mähne äußerst effektvoll durcheinander zu wirbeln - inzwischen auch von anderen Genrevertretern imitiert werden. Wie eingangs erwähnt, kann man bei sechs derart unterschiedlichen Bands nicht erwarten, dass sie jeden Besucher gleichermaßen ansprechen, und AFTER FOREVER sind definitiv nicht der Grund meiner Anwesenheit. Fairerweise muss ich zugeben, dass sie - den Ansagen zufolge - ein gut durchmischtes Set spielen, das beim Großteil des Publikums sehr gut ankommt. Ich gönne mir aber lieber noch eine kurze Pause im Garten, bevor es wirklich so frostig wird, wie die Wetterfrösche voraussagen.
Setlist:
Discord
Evoke
Transitory
Digital Deceit
Monolith Of Doubt
Who I am
Energize Me
Face Your Demons
Equally Destructive
Jetzt aber! Lustige Pausenmusik, zu der ein überdimensionaler Vogelkäfig aufgebaut wird - Vorhang auf für DIE APOKALYPTISCHEN REITER! Ich habe die Thüringer schon verdammt oft gesehen, und bis auf die leider wieder extrem auf die neueren Alben fokussierte Setliste - wenn 'Unter der Asche' schon als "was Altes" angekündigt wird, was ist dann mit den ersten beiden Scheiben? - zählt der heutige Gig zu den stärksten der jüngsten Vergangenheit. Im Prinzip ist alles beim Alten im Staate Thüringen: Dr. Pest bleibt die meiste Zeit im Käfig (und wird nach seinem obligatorischen kurzen Ausbruch von einem Roadie schnell wieder eingefangen), Fuchs rennt wie ein Derwisch barfuß über die volle Länge und Breite der Bühne, und Volk-Mans Haare wachsen weiterhin mit Lichtgeschwindigkeit dem Erdboden entgegen. Auch der Gag, eine Dame aus dem Publikum in den Käfig zu stecken, ist inzwischen bekannt, um nicht zu sagen reichlich überstrapaziert - selbst wenn der 'Seemann' noch ohne Braut auskommen muss und die holde Maid, die sich schließlich erbarmt, des Doktors 'Sehnsucht' zu befriedigen, während ihrer freiwilligen Gefangenschaft auch gar nicht negativ auffällt, sondern sich ganz unauffällig an den Gitterstäben entlang drückt. Gleichzeitig besinnen sich die Reitermaniacs jedoch wieder auf ihre größte Stärke: Spontanität. Zu 'Revolution' schwing Fuchs eine große Reiterfahne, vor dem anfangs akustisch interpretierten 'We Will Never Die' gibt es eine tolle, wenn auch nicht ganz unbekannte Percussion-Einlage, und ein Mensch namens Christian, der laut genug brüllt, dass er heute Geburtstag hat, darf sogar auf der Bühne von der versammelten Reiterzunft ein lauthals vom Publikum unterstütztes Ständchen entgegen nehmen. Am reitertypischsten ist aber die finale Luftmatratzeneinlage: Zwei mutige Fans schwimmen auf den Händen des Publikums auf eben solchen quietschroten Gummikissen ein Mal längs durch die Halle und zurück und dürfen sich als Dank dafür am Merchandise-Stand eines der mit 15 Euro ohnehin wohlfeilen T-Shirts aussuchen. Feine Aktion!
Setlist:
Friede sei mit dir
Riders On The Storm
Unter der Asche
Revolution
Seemann
Du kleiner Wicht
Sehnsucht
We Will Never Die
Wenn ich träume
Reitermania
Im Interview mit Deutschlands größter Metal-Postille beklagte sich FINNTROLL-Trommler Beast Dominator unlängst: "Dummerweise ertragen uns unsere Fans nur besoffen und fangen sofort an zu bechern, wenn sie uns hören." Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: So alkoholisiert kann ich gar nicht mehr sein, um die Humppa-Finnen noch über eine komplette Konzertlänge aushalten zu können. Sänger Vreth präsentiert sich zwar um Längen selbstbewusster als vor fast genau einem Jahr auf dem Rock Hard-Festival, ist aber gerade im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern - dem pelzigen Zwerg Katla und dem massigen Knuddelbären Wilska - einer dieser schmächtigen und uncharismatischen Schreihalse, wie sie das Land der tausend Seen zu Hunderten hervorzubringen scheint. Jede Pose, jeden pseudogrimmigen Blick hat man schon oft bei anderen Grunzkapellen gesehen, und den Troll in ihm kann ich auch heute nicht entdecken. Außerdem sucht man die Folk-Anteile, die den ersten Alben noch einen gewissen Charme verliehen haben, inzwischen fast vergeblich. Natürlich ziehen FINNTROLL ihre Fans, die - betrunken oder nicht - ihre Helden gebührend feiern, aber meine Begleiter und ich stimmen überein, dass DIE APOKALYPTISCHEN REITER die eigentlichen Gewinner des Abends darstellen.
- Redakteur:
- Elke Huber