Europe (Studio-Report) - Berlin

05.09.2006 | 23:39

22.08.2006, Planet Roc Studios

Das zweite Album der melodischen Überflieger aus Schweden nach deren Split 1992, die nicht zuletzt dank ihres Mega-Hits 'The Final Countdown' aus dem Jahr 1986 weit über die Szene-Grenzen bekannt wurden, knüpft an das Comeback "Start From The Dark" (2004) an, welches überraschend gekonnt zeitgemäßen Hardrock mit traditionellen Klängen verband. Anlässlich der Veröffentlichung des Albums "Secret Society" luden die Plattenfirma Sanctuary Records und die Band, letztere in Person von Sänger Joey Tempest und Drummer Ian Haughland, die Presse in die renommierten Berliner Planet Roc Studios ein. Besonders der Umstand, dass wir als einziges (!) Online-Mag die Möglichkeit bekamen, vorab den Klängen zu lauschen, sollte hier nicht unerwähnt bleiben. Besagte Studios befinden sich in den denkmalgeschützten Gebäuden des ehemaligen DDR-Rundfunks in Berlin-Oberschöneweide. In entspannter Atmosphäre und an wahrlich historischer Stätte gab es die elf Songs - unterbrochen nur von kurzen Erläuterungen seitens der Bandmitglieder - zu hören. "Wir haben insgesamt zweieinhalb Monate für das Album gebraucht", so Tempest, "wobei wir lediglich einen Monat für die reinen Aufnahmen benötigten. Doch lassen wir einfach die Musik sprechen." Letzterem schließe ich mich an und leite hiermit zu den exklusiven Eindrücken jenes Tages im August über:

Los geht es mit dem Titelsong 'Secret Society', einem recht modern arrangierten Rocker mit fetter Gitarre, bei dem Joeys Stimme leicht verzerrt daherkommt. Dieses Stück ist recht weit weg vom "alten" EUROPE-Sound. Weiter geht es mit dem sehr melodischen und sich thematisch um die Thematik "9/11" drehenden Song 'Always The Pretenders', welches meiner Meinung nach eine perfekte Single-Auskopplung ergeben würde, und dem eher düsteren 'Love Is Not The Enemy', das wiederum leicht verzerrte Vocals und treibenden Groove aufweist. Das etwas ruhigere 'Wish I Could Believe' mit einem herrlich entspannten und melodischen Gitarren-Solo sowie cooler Gesangs-Melodie leitet über zu 'Let The Children Play'. Dieser Track beinhaltet einen bombastischen Chorus, teils rechts moderne Wah-Wah-Sounds sowie einen Kinderchor und dezent im Hintergrund symphonische Keys. Das folgende 'Human After All', eine Tempest/Norum-Nummer, ist vermutlich bislang der Song, der den früheren EUROPE am nahesten kommt. Er verfügt über ein klassisches Gitarren-Solo, fetten Bass-Groove und saubere, nicht verzerrte Vocals. Weiter geht es mit 'The Getaway Plan', einer recht harten Nummer, bei der deutlich wird, dass sich durch "Secret Society" definitiv ein roter Faden zieht und EUROPE den auf "Start From The Dark" eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen. Es folgt eine Ballade Namens 'Mother's Son', die Joey stimmlich in Bestform zeigt und sehr emotional und persönlich klingt. Es handelt sich dabei auch um eine eher klassische Nummer, die mit viel Piano-Bombast ausgestattet ist. Dann folgt meiner Meinung nach mit 'Forever Travelling' - einer laut Joey Steve Perry (ex-JOURNEY) gewidmeten Nummer - eines der Highlights einer insgesamt sehr guten Scheibe. Die ebenfalls eher ruhigere Nummer besticht durch einen coolen Chorus, ein nettes Solo und einem fesselnden Groove. Die vorletzte Nummer 'Brave And Beautiful Soul' ist dann wiederum eine modernere Rock-Nummer, die eine an U2 erinnernde Gitarre (!), jedoch einen recht unspektakulären Refrain aufweist. Das eingangs von Streichern begleitete 'Devil Sings The Blues' beschließt "Secret Society" auf sehr beeindruckende Weise. Der Song handelt von der Geburt von John Norums (g.) zweitem Kind und kombiniert geschickt akustische und verstärkte Gitarren-Parts. Die im Mid-Tempo-Bereich angesiedelte und mit fünfeinhalb Minuten längste Nummer fasst das Album sehr gut zusammen und ist wie der Rest sehr fett und zeitgemäß produziert.

Nach einem kurzen Durchatmen steht also fest, dass das neue EUROPE-Album erneut gekonnt den Spagat zwischen den Erwartungen beider "Fan-Lager", nämlich der alten "Final Countdown"-Fraktion und den neueren Fans, die "Start From The Dark" eher als ein Album einer aktuellen Band aufgenommen haben, schafft, und somit viele Freunde finden dürfte. Mit 'Always The Pretenders', 'Human After All' und 'Forever Travelling' verweist die Band am ehesten in die glorreiche und sehr erfolgreiche Vergangenheit, während 'Secret Society', 'The Getaway Plan' oder 'Love Is Not The Enemy' klar nach vorne blicken und zeigen, dass EUROPE keinesfalls einen Aufguss alter Heldentaten im Visier haben. Vielleicht mag sich der eine oder andere ein oder zwei "klassische" Nummern mehr wünschen, aber alles in allem ist mit EUROPE auch in Zukunft stark zu rechnen.

Im Anschluss an diese sehr aufschlussreiche Listening Session bekamen wir noch die Gelegenheit mit Joey und Ian ein wenig zu plaudern, wobei sich schnell herausstellte, dass die beiden den Release kaum erwarten können. Das Sprachrohr der Band war und ist nach wie vor Joey Tempest: "Wir haben nach den erfolgreichen Tour-Aktivitäten zum so genannten Comeback-Album "Start From The Dark" vergleichsweise schnell mit dem Schreiben neuer Songs angefangen, und diesmal hat sich auch unser Keyboarder Mic Michaeli sehr stark eingebracht. Es war schon sehr eine Team-Arbeit, wobei wir von Anfang an darauf geachtet haben ein modern klingendes Album zu machen, ohne jedoch allzu weit vom bekannten Sound wegzukommen. Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis und sind der Meinung, dass "Secret Society" eines unser besten Alben überhaupt ist. Auch was die Texte angeht, sind wir ganz klar erwachsener geworden." Es wurden ursprünglich zwölf Songs für das Album vorproduziert, einer jedoch aus verschiedenen Gründen verworfen, so dass jene erwähnten elf Songs mit einer Gesamtspielzeit von einer guten Dreiviertelstunde zu Buche stehen. "Die Songs klingen sehr heavy und gleichzeitig sehr frisch, was das Album interessant macht." Diese Aussage der beiden kann der Autor dieser Zeilen nach Hören des Materials nur bestätigen. Ferner haben sich in der heutigen Zeit die Vorzeichen geändert, wenn es um musikalische Vorlieben geht, wie Ian bestätigt: "Früher musste man sich entscheiden, ob man Melodic Rock oder härtere Ausprägungen des Metals hörte. Heute kann man problemlos beides hören, was uns fraglos entgegenkommt. In den Achtzigern war die Szene weniger tolerant, als es glücklicherweise heute der Fall ist." Als mögliche Einflüsse auf das Songwriting zu "Secret Society" zur Sprache kamen, fielen seitens Joey aktuelle Namen wie AUDIOSLAVE und LOST PROPHETS ebenso wie Klassiker wie LED ZEPPELIN oder U2: "Ich wohne ja in London und komme da zwangsläufig mit einer Menge neuer Bands in Berührung. Gerade neue Bands wie FUNERAL FOR A FRIEND in Kombination mit Älteren wie U2, die mir, gerade was Texte angeht, helfen mehr Tiefgang zu erzeugen, gehen nicht spurlos an einem vorbei." Aber auch völlig andere Künstler wie FRANK ZAPPA erfüllen laut Ian, der zum Besten gab erst kürzlich zu Klängen Exzentrikers seine Bude gestrichen zu haben (!), eine wichtige Funktion beim Songwriting im Hause EUROPE. Bliebt noch die berechtigte Frage, ob die Herren denn alte Gassenhauer wie eben 'Final Countdown', 'Carrie' oder 'Superstitious' noch gerne spielen oder ob das einer Pflichtübung gleichkommt, was man natürlich ansatzweise vermuten kann, wenn man sich die Richtung der neuen Stücke vergegenwärtigt. "Die alten Songs sind wir unseren Fans schuldig, ob uns das gefällt oder nicht. Aber wenn wir beispielsweise 'Final Countdown' spielen, dann ist das immer wieder aufs neue Magie", so Joey, der dabei sehr glaubwürdig wirkt. Er fügt hinzu: "Bei der letzten Tour haben wir aber auch intensiv diskutiert, ob wir 'Carrie' zum Besten geben, welches wir dann schließlich in einer ungewohnten akustischen Version getan haben, was fantastisch funktioniert hat. Die Fans haben beinahe den ganzen Text gesungen, was uns zusätzlich entlastet hat..."(lacht).

Neue wie alte EUROPE-Fans dürfen also auf "Secret Society" gespannt sein und auch wenn es natürlich hier und da immer Nörgler geben wird, denen das eine oder andere Detail nicht passt, sind EUROPE doch stärker denn je als ernstzunehmende, erwachsene Hardrock-Band am Start.

Redakteur:
Martin Stark

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