FEAR FACTORY - Essen
24.07.2025 | 13:1018.07.2025, Turock
FEAR FACTORY in aller Pracht!
"Demanufacture" – ein Album, eine Machtdemonstration, die Blaupause des Industrial Metals – und für mich der Inbegriff des Metals Mitte der 1990er Jahre. Drei Dekaden hat das zweite Album FEAR FACTORYs zwar schon auf dem Buckel, doch wir sind uns wohl alle einig, dass es über all die Jahre nichts an Wucht, Ausdrucksstärke und Durchsetzungskraft verloren hat. Ein Klassiker also in jeglicher Hinsicht. Bereits vor zehn Jahren kehrten Dino und Co. – damals noch mit Burton an den Shouts – zurück, um "Demanufacture" in voller Länge zu würdigen. In der Kölner Essigfabrik war es ein durch und durch denkwürdiger Auftritt. Nun dürfen sich das Essener Turock und Neu-Sänger Milo Silvestro beweisen, diesem unbestreitbaren Meilenstein einen passenden Rahmen zu verleihen. Klappt das?
Wer freiwillig den Wochenendverkehr Richtung Ruhrgebiet auf sich nimmt, muss ganz wichtige Gründe haben. Unserer dürfte wichtiger nicht sein: FEAR FACTORY und "Demanufacture" in all seiner Pracht. Mitten im Juli könnte es in der heute ausrichtenden Location Turock knackig warm werden – und das ist es auch. Kaum angekommen weht uns ein warmes, dunstiges Lüftchen aus Schweiß, Bier und noch mehr Hitze entgegen. Richtig, es ist angerichtet für einen heißen Abend in der Angstfabrik.
Was aufgrund des Staus vor 21 Uhr in diesen heiligen Hallen der Essener Innenstadt passiert, kann ich derweil nicht sagen. Doch als wir uns in das Innere des Turocks kämpfen und schon mit den ersten, bitternötigen Getränken versorgen, sehen wir das große FEAR FACTORY-Banner über der Bühne und bemerken eine vor bedingungsloser Vorfreude angespannte Atmosphäre bei nahezu allen Anwesenden. Das Turock platzt aus allen Nähten! Vor der Bühne, vor der Location, vor den Theken, auf den Emporen – überall FEAR FACTORY-Jünger, die dieses Album genauso lieben und vergöttern wie ich. Natürlich hat ein Burton C. Bell FEAR FACTORY über so viele Jahre geprägt und diesem 1995er Album das gewisse Extra verliehen. Doch die ersten Videos der Band mit Milo zeigten, dass er es verstand, in mehr als große Fußstapfen treten und dennoch den Songs seinen eigenen Stempel aufdrücken zu können. So auch heute?
Und ehe ich mich versehe, geht es auch schon los! Die Lichter werden gedämmt, das unheilvolle Intro beginnt und wir fühlen uns wieder in die 1990er Jahre versetzt. Um es kurz vorweg zu nehmen: Eine größere Location wie die Turbinenhalle hätte ich wesentlich besser gefunden, denn ein Durchkommen nach vorne ist hier und heute schlichtweg nicht möglich. Doch auch relativ weit hinten beeindruckt ein klarer, wuchtiger Sound ab der ersten Sekunde: 'Demanufacture' wird angestimmt und mit reichlich Wind entern Dino, Milo, Tony und Pete die Bühne.
Selbstverständlich gibt es im ersten Teil keine allzu großen Songüberraschungen, dient die heutige Show doch einzig und allein der Würdigung eines Meisterwerks. Dies wird heute kongenial umgesetzt: Die Stakkato-Riffs sitzen wie eine Eins, die Drums pumpen das Blut durch die Adern und der wummernde Bass sorgt für Gänsehaut. Und was macht Milo? Er zeigt schon früh was in ihm steckt: Seine Vocals sind die von Burton nicht allzu fern und dennoch wecken sie "Demanufacture" erneut zum Leben. Ein toller Beginn, der logischerweise von 'Self Bias Resistor' und 'Zero Signal' weitergeführt wird. Keine große Reden, kein unnötiges Tamtam, hier wird Industrial-Macht in seiner Reinheit zelebriert.
Das Turock jubelt, im Inneren herrscht eine ausgelassene, nostalgische Stimmung und es ist weiter brechend voll. Doch wen wundert es bei solch einem würdigen Trip in die Vergangenheit, der mit 'Replica' und dem harschen, wütenden 'New Breed' seine ersten von vielen weiteren Höhepunkten erfährt. Dass das schwungvolle, einlullende HEAD OF DAVID-Cover 'Dog Day Sunrise' wie auch später 'Flashpoint', 'H-K (Hunter-Killer)' und 'A Therapy Of Pain' seit 2016 nicht mehr live gespielt wurden, merkt man der Angstfabrik nicht an, die diesen Raritäten ordentlich Biss verleiht. Dazwischen sorgen meine persönlichen "Demanufacture"-Highlights 'Body Hammer' und vor allem 'Pisschrist' für absolute Glücksmomente, jene Songs in solch hoher Qualität und mit dieser bedingungslosen Hingabe zu hören. Ein absolutes Freudenfest, doch nach knapp 55 Minuten ist auch das beste Album irgendwann am Ende angelangt. Während wir uns den Schweiß aus den Shirts wringen – absolut unnötige Aktion, es wird weiter geschwitzt! – und den Getränkevorrat auffüllen, ist es Zeit für eine halbminütige Verschnaufspause bei einer Band, die in der letzten Stunde alles gegeben hat, um ihrer Blaupause einen mehr als würdigen Rahmen zu verleihen. Einfach großartig, was FEAR FACTORY in diesem proppevollen, aus den Nähten platzenden Turock vollbracht hat.
Es wird Zeit für die Zugaben und die haben zum Ende hin ein so großes, mir einen enormen Freudenschrei entlockendes, lichterloh brennendes Highlight. Doch bevor ich darauf zu sprechen kommen, gibt es mit 'Edgecrusher', 'Shock' und 'Powershifter' wohl drei der besten Songs der Nicht-"Demanufacture"-Ära zu hören.
Logischerweise, dass sich das Turock einmal mehr in ein Tollhaus verwandelt. Dann – zu guter Letzt – wird es aber mehr als denkwürdig: Richtig, es gab auch in der Bandvergangenheit eine Zeit, in der Dino nicht mitwirkte. In dieser wurde u.a. "Archetype" 2004 veröffentlicht. Der gleichnamige Titeltrack ist mein persönlicher FEAR FACTORY-Lieblingssong mit einem hingebungsvollen Refrain, einer so grandiosen Mixtur aus Härte und Melodie und einem Kampfschrei Burtons, der seinesgleichen sucht. Ihr könnt euch die Überraschung vorstellen, dass ausgerechnet heute eben jener Dino, der mit "Archetype" vor 21 Jahren nichts zu tun hatte, zum Titeltrack ansetzt. Meine Begeisterung übersteigt mein Staunen und ich bin gefangen in nostalgischer Trance, purer Begeisterung und Verblüffung diesen Moment mitzuerleben.
Nach "nur" 80 Minuten kehrt FEAR FACTORY dann unter tosendem und mehr als verdientem Applaus von der Bühne und allmählich gehen die Lichter an. Zwar hören sich 80 Minuten für ein Konzert nicht nach viel "Value for Money" an. Doch in Anbetracht dessen, welches Feuerwerk hier entzündet wurde, welche Energieleistung die Band vom Stapel gelassen hat und wie wohl der Gang in die Frische des Ruhrgebietabends doch tut, waren 80 Minuten geballte Kraft seitens FEAR FACTORYs genau das Richtige, was ich in diesem Moment gebraucht habe!
- Redakteur:
- Marcel Rapp