FLYING CIRCUS und CHANDELIER - Jülich
28.03.2024 | 10:1223.03.2024, Kulturbahnhof
...und ein besonderer Gast.
Derzeit sind die beiden niederrheinischen Prog-Rock-Gruppen CHANDELIER und FLYING CIRCUS auf ihrer Doppeldecker-Tour. Das bedeutet, dass hier nicht eine Haupt- und eine Vorgruppe auftreten, sondern zwei Hauptgruppen, die jeweils ein etwa neunzigminütiges Set spielen. Am 23. März machen beide Bands Station am Kulturbahnhof in Jülich. Während ich FLYING CIRCUS schon eine Weile kenne, ist CHANDELIER Neuland für mich.
Die erste Show übernimmt die Neusser Band CHANDELIER, die in den 80ern gegründet wurde und nach einer längeren Pause seit 2019 wieder aktiv ist. Der Sound der Gruppe ist vom Neoprog des Jahrzehnts ihrer Entstehung geprägt. Sie fängt das Programm genau wie das aktuelle Studioalbum "We Can Fly" mit 'Space Collector' an. Die gegenseitige Verbundenheit, die beide Bands mehrfach betonen, kann man auch daran erkennen, dass das T-Shirt von Bassist Christoph Tiber das Artwork des Albums "1968" von FLYING CIRCUS ziert.
Schon bald wird die Band durch Toni Moff Mollo, einst eine der Stimmen von GROBSCHNITT, als zusätzlichem Sänger verstärkt. Er hat bereits auf CHANDELIERs aktuellem Album mitgewirkt und heute Abend führt man gemeinsam 'Help Me' und 'In Between' von dieser Scheibe auf. Welche großartige Musik die Gruppe auch schon früher gemacht hat, demonstrieren ältere Stücke wie 'Wash & Go' oder 'Start It'. Als Sänger Martin Eden die in der Musik und anderen Künsten schon zur Angewohnheit verkommene Gepflogenheit der Schwarzseherei beklagt, erhält er vom Jülicher Publikum spontanen Applaus. Konsequenterweise folgt mit 'Spring' eine Nummer mit optimistischem Text. Das Konzert endet zunächst mit 'Forever And A Day', wofür Toni Moff Mollo auf die Bühne zurückkehrt. Zur Belustigung des Publikums führen beide Sänger zu den Worten "Fly on" einen Pas de Deux auf, zu dem sie die Arme wie Schwingen bewegen. Natürlich gibt es eine Zugabe: In der Schlussphase wurde GROBSCHNITT poppiger und mainstreamiger und verlor an Originalität. Wenn die Band in dieser Zeit noch einen Volltreffer gelandet hat, dann war es 'Wie der Wind', den CHANDELIER nun mit dem Originalsänger Toni Moff Mollo darbringt. Mit dem großartigen 'Half Empty, Half Fool' endet ein beeindruckender Auftritt.
Bei der zweiten Gruppe des Abends, FLYING CIRCUS, sind im Vergleich etwas härtere Töne angesagt. Die Band steigt mit 'The World Is Mine' und 'Fire (I Wanna Go)' ein, das mit einem starken, stimmungsvollen Zwischenspiel von Gitarre und Keyboard hervorsticht. Der Sound ist von Anfang an sehr gut ausgesteuert, jeder Ton der Bassgitarre ist zu vernehmen ebenso wie die verschiedenen Perkussionsinstrumente, die Frontmann Michael Dorp neben dem Gesangsmikrophon spielt. Weiter geht es mit 'More Than One', das einen Block mit Stücken aus dem Konzeptalbum "Starlight Clearing" eröffnet. Bei den beiden anderen Nummern 'No Way Back' und 'Voices In The Rain' kommt erstmalig die elektrische Geige, das zweite Instrument des Tastenmanns Rüdiger Blömer, zum Einsatz. Besonders 'Voices In The Rain' ist bemerkenswert mit seinem einleitenden sinistren Bass-Thema von Roger Weitz und dem ausgiebigen Solo von Michael Rick auf der akustischen Gitarre. Wer immer noch glaubt, die stromlose Klampfe sei nur für dröge Folkmusik geeignet, kann sich als widerlegt betrachten.
Nachdem Schlagzeuger Ande Roderigo bei 'Follow The Empress' die Lead Vocals übernommen hat, starten Gitarre und Geige mit dem doppelbödigen Instrumental 'Derry', das seit der Studioaufnahme erweitert wurde, einen Block zum anderen Konzeptalbum "1968". Dieser geht weiter mit 'My Lai'. Vor allem dieses Stück macht deutlich, dass bei FLYING CIRCUS neben gefälligen Melodien hin und wieder schräge Töne aufkommen, wo es thematisch passt. In anderen Zeiten, mit geringerer Toleranz und höherer Allgemeinbildung, wäre wohl die eine oder andere Anspielung in dieser Nummer als provokativ empfunden worden. Mit 'The Hopes We Had (In 1968)' endet dieser Block. Nach dem rhythmisch originellen 'Living A Lie' kommen die beiden Konzeptscheiben mit 'Your Liege Forever' bzw. 'New York' noch mal zum Zuge. Die neueste Veröffentlichung von FLYING CIRCUS ist "Seasons 25", eine Neueinspielung des Debütalbums. Und so ist es kein Wunder, dass dessen Titelstück das umjubelte Finale des Auftritts markiert. Als Zugabe wird 'The Jewel City', ebenfalls vom ersten und vom letzten Album, gespielt, das Publikum im Kulturbahnhof ist auf alle Fälle begeistert.
Zwei Termine der Doppeldecker-Tour stehen noch bevor, nämlich Reichenbach am 6. April und Stuttgart am 20. April.
- Redakteur:
- Stefan Kayser