Fish - Stuttgart

13.06.2006 | 10:35

30.04.2006, Longhorn

MARILLION hatten mit "Misplaced Childhood" (1985) ihre musikalisch und auch finanziell erfolgreichste Phase Mitte der Achtziger. Das Album ist schnell zum Klassiker im Genre "Progressive Rock Musik" avanciert und auch beim Verfasser dieser Zeilen prangerte nahezu überall der kunstvolle MARILLION-Schriftzug. Die Hit-Singles 'Kayleigh' oder 'Lavender' kennt wohl jeder Musikbegeisterte und es bedarf sicherlich keiner näheren Beschreibung. Noch immer tauchen die Songs in den Playlisten zahlreicher Radiosender auf. Doch wie so oft findet der ganze Rummel um MARILLION ein jähes Ende, als sich Sänger Derek William Dick aka "Fish" im November 1988 - ein Jahr nach der Veröffentlichung von "Clutching At Straws" - dazu entschließt, künftig auf Solopfaden zu wandeln. Auch FISH gelingt es nur ansatzweise, an vergangenen Glanzzeiten anzuknüpfen. Immer wieder schaut der sympathische Schotte zu tief ins Glas, was sich letztendlich auch in der Qualität seiner Musik und Konzerte negativ niederschlägt.

Anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums verneigt sich FISH nochmals vor dem von ihm mit geschaffenem Meisterwerk und bringt erneut "Misplaced Childhood" in seinem vollen Glanze unter dem Banner "Return To Childhood" in die europäischen Hallen. Entsprechend groß ist die Vorfreude, und allen Unkenrufen zu Trotze pilgern zahlreiche MARILLION/FISH-Jünger nach Stuttgart, so dass das LKA schon vor Beginn der Show brechend voll ist.

Scheinbar hat der knapp zwei Meter große Hüne seinen Lebenswandel optimiert und präsentiert sich in einer guten körperlichen Verfassung, als er pünktlich um 20 Uhr die Bühne betritt. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich trotz meiner nahezu fünfunddreißig Jahren auf der Erde noch keinen Auftritt von FISH gesehen habe und daher erst einmal überrascht bin, welch imposante Erscheinung der ehemalige Holzfäller ist und über welch positive Ausstrahlung er verfügt. Völlig unspektakulär in Jeans und FISH-Tourshirt bekleidet sowie mit einem überdimensionalem Handtuch um den Hals behängt, eröffnet FISH mit 'Big Wedge' den Abend und weiß von Anbeginn die Massen hinter sich. Angestachelt vom frenetischen Jubel der Fanschar laufen alle Musizierenden zur Höchstform auf. Ähnlich wie bei MARILLION bestechen die Musiker mehr durch die Qualität ihrer Spielkunst als durch Rumgehampel und überschwängliches Posing. Das erste Set besteht nur aus FISH-Solokompositionen und enthält nahezu alle Hits der Nach-MARILLION-Phase wie 'Moving Targets', 'Goldfish And Clowns' oder 'Innocent Party'. FISH erweist sich zudem äußerst redselig und glänzt hier und da mit guten Deutschkenntnissen. Szenekenner wissen natürlich, dass FISH bis 2001 mit einer deutschen Frau verheiratet war und hieraus auch eine Tochter entstanden ist, so dass der Bezug zu Deutschland weiterhin gegeben sein wird.

Sehr unterhaltsam ist die Geschichte über den vor ein paar Tagen in Erfurt verloren gegangenen, eigens auf seine Größe angefertigten Mikroständer, der den Barden nahezu seine gesamte Musikkarriere lang begleitet hat und seit dem Auftritt in Thüringen urplötzlich verschwunden ist. Die Ansage "Wer meinen Mikroständer bei eBay sieht, soll mir Bescheid geben, damit ich den Typ töten kann" war sicherlich nicht ganz ernst gemeint und mit einem Augenzwinkern versehen. Aber auch mit dem neuen, als "Scheißding" bezeichneten Ständer überzeugt der Sympathikus und sorgt für beste Unterhaltung.

Nach einer kurzen Verschnaufpause erklingt das Keyboard-Intro zu 'Pseudo Silk Komono' was den Einstieg in "Misplaced Childhood" bedeutet und somit allen Anwesenden eine unvergessliche Dreiviertelstunde bringt. Ich komme mir vor, als ob ich mit einer Zeitmaschine zwanzig Jahre in die Vergangenheit zurückgereist wäre. Selbst hartgesottenen Fans bescheren die Kompositionen noch heute eine fette Gänsehaut und treiben die eine oder andere Freudenträne ins Auge. Hach ja, waren das noch Zeiten...
Dahinschwelgend in Nostalgie werden die folgenden Stücke fast wie in Trance wahrgenommen. Man hat nicht das Gefühl, das zwischen dem heutigen Abend und der Veröffentlichung von "Misplaced Childhood" schon zwanzig Jahre liegen. Nicht nur dass FISH die Stücke in einer unglaublichen Präzision intoniert, sondern auch das Können eines jeden Mitmusikers tragen zu einem unvergesslichem Ereignis bei. Ich habe selten eine so ausgelassene Freude in den Gesichtern der Fans gesehen, die am liebsten jede einzelne Textzeile selbst gesungen hätten. Nach 'Childhood's End' und dem Album-Rausschmeißer 'White Fever' endet der offizielle Set des Abends, doch dem Publikum ist noch lange nicht nach Feierabend, ja am liebsten würde man jetzt noch die Alben "Script For A Jester's Tear" oder "Fugazi" komplett hören. Doch wir wollen mal nicht unverschämt sein und begnügen uns mit den folgenden MARILLION-Klassikern 'Incommunicado', 'Market Square Heroes' und 'Fugazi' ehe FISH und seine Mannen in den wohlverdienten Feierabend entlassen werden.

Ein durchaus beeindruckendes Ereignis, was nicht unbedingt durch die Show, sondern viel mehr durch die musikalische Umsetzung besticht. Für mich bislang das Konzertereignis des Jahres, wenn nicht sogar der letzten Jahre! Danke!

Setliste:
Big Wedge
Moving Targets
Brother 52
Goldfish and Clowns
Raingods Dancing
Innocent Party
Long Cold Day
Credo
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Pseudo Silk Kimono
Kayleigh
Lavender
Bitter Suite
Heart of Lothian
Waterhole
Lords of the Backstage
Blind Curve
Childhoods End?
White Feather
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Incommunicado
Market Square Heroes
Fugazi

Redakteur:
Frank Hameister

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