Fuck The Commerce - Altes Lager (bei Jüterbog)
07.05.2008 | 14:4101.05.2008, Am Flugplatz
Die Zukunft des Fuck The Commerce ist offen. "Es muss noch einmal alles durchgerechnet werden - und dann werden wir überlegen, ob und wie wir weitermachen können mit dem FTC", sagt eine Sprecherin des Berliner K17 Tage nach dem Open Air auf Anfrage von POWERMETAL.de. Doch gibt sich die Mitorganisatorin dennoch zuversichtlich: "Wenn es irgendwie machbar ist, machen wir es sicherlich weiter. Es war ja auch für uns eine geile Party und eine schöne Zeit auf dem Festival - Bands, Crew und Gäste hatten super viel Spaß." Die Lebensfreude lässt sich noch einmal extra betonen. Denn auch mit nur anderthalb Tagen Aufenthalt lässt sich ein bizarr-fröhliches Treiben erleben.
Das Festival beginnt für den POWERMETAL.de-Schreiberling mit einem Headliner: HOUWITSER aus Holland ballern recht druckvoll. Doch hier lässt sich auch schon Problem des Open Airs sehen: Trotz der formidablen Berichterstattung über die 2007er-Festivalausgabe am neuen Standort nahe des brandenburgischen Jüterbog stehen nur ein paar hundert Fans vor der Bühne und feiern. Insgesamt sind etwa 600, 700 Leute gekommen waren - kaum mehr als im Jahr zuvor. Und damals war es offenbar schon knapp.
Doch lassen sich an dem Wochenende weder Bands noch Publikum von dem geringen Interesse entmutigen, gerade HOUWITSER werden von einem Teil der Zuschauer recht enthusiastisch beklatscht. Sie zeigen eine engagierten Gig, bei dem der Platz auf der Bühne kaum zu reichen scheint - denn die Grind-Deather nutzen mehr den breiten Fotograben davor, um von dort aus ihr aggressives Liedgut in die Menge zu schießen. Ob die wieder neu formierten Jungs aus Rotterdam allerdings musikalisch so grandios sind, dass sie schon als Hauptband für einen Abend bestehen? Darüber gehen die Meinungen dann doch auseinander - denn besonders Sänger Stan mit seiner Henkersmaske wird von so manchen FTC-Gängern doch eher als Lachnummer gewertet. Mehr Einigkeit herrscht da bei der Disko danach: Dort lässt sich bei billigen Bierpreisen, vielen harten Alkoholika und fetten Metalklassikern bis ganz tief in den Morgen feiern. Für nächtliche Lauschigkeit sorgt ein Riesen-Lagerfeuer in der Nähe. So genial können Aftershow-Partys sein ...
Der nächste Morgen wird umso schwieriger - und dennoch interessant, da sich das FTC von jeher auch als Forum für junge Bands versteht. So lassen sich INTERNAL DECAY aus Dresden erleben, die mit recht abwechslungsreichem Grindcore um sich ballern, der sogar melodische Momente in sich vereint. Weniger experimentell gehen da FLAYING aus Lettland zu Werke, hier wird einfach geknüppelt, was das Zeug hält. Logischerweise erhält das undifferenzierte Geprügel nur durchschnittliche Fanreaktionen. Womit noch ein Problem des FTC angesprochen werden kann: Wohl aus Kostengründen ist nicht jede Band der Reißer, im Billing tummelt sich auch Durchschnittskost. Zumindest können FLAYING am Ende versöhnen: Ein schickes NAPALM DEATH-Cover animiert zum fröhlichen Kopfschütteln. Standardmäßig bei beiden Bands dabei: Blut, um den eigenen Auftritt noch etwas martialischer zu gestalten.
PURGATORY haben solche Mätzchen nicht mehr nötig. Die Sachsen haben mit "Cultus Luciferi - The Splendour Of Chaos" gerade ein starkes neues Album am Start, welches sie ausgiebig vorstellen. Doch auch ältere Knaller der Marke 'Seeds Of Annihilation' fehlen nicht - und machen den Gig zu einem sehr kurzweiligen Erlebnis. Frontmann Dreier ist das gewohnte Brülltier am Mikro, sein Shirt samt Spruch "Gott ist heute nicht hier" hat immer noch Unterhaltungswert. Der Sound zu solchen Darbietungen ist bei fast allen Bands druckvoll und transparent, auch hier. Mit 'Enemy Within' von der neuen Scheibe beenden PURGATORY ihren von vielen Fans gefeierten Auftritt. Kleine Randnotiz, um die locker-gelöste Stimmung auf dem FTC zu beschreiben: Ein Typ versucht das Hinterteil eines süßen Rasta-Mädchens zu fotografieren. Die merkt das natürlich - aber statt Streit rennt sie einfach weg und lächelt. Witzig.
Als heimliche Hauptband des Abends erweisen sich im Anschluss die EXCREMENTORY GRINDFUCKERS mit einem grenzdebil-genialen Auftritt. "Wir sind die kommerziellste Band hier, wir haben nämlich ein Keyboard", plaudert Co-Frontmann Him in sein Mikro. Zusammen mit Schreihals Rufus führt er durchs Programm zwischen Schlager, Techno, Ska und viel Grindcore. So wird aus 'Looking For Freedom' von David Hasselhoff ein veritabler Hit, zudem sich eigene Kompositionen wie 'Staatsfeind Nr. 1' gesellen. Ein bisschen Grind muss eben sein, zumal sämtliche Zwischenansagen den Unterhaltungswert weiter in die Höhe treiben. "Ihr wart ein geschmeidiges Publikum - und wir eine beschissene Band", beendet Him die coole Show standesgemäß. Selbstironie fetzt. Und die Fans sind begeistert.
Dann hat Kam Lee seinen ersten Einsatz. Der Sänger von den erst vor zwei Jahren gegründeten DENIAL FIEND muss an diesem Abend auch noch einmal mit MASSACRE ran - das spart Spritkosten für die Veranstalter. Kam Lee selber lässt sich die Doppelbelastung bemerkenswerterweise nicht anmerken. Musikalisch wird richtig fetter Old School Death Metal geboten, unterstützt vom fantastischen Saitenzupfen der Basslegende Terry Butler (SIX FEET UNDER, Ex-DEATH), der wie Gitarrist Sam Williams und Drummer Curt Beeson später auch noch den Auftritt von MASSACRE veredelt. Florida hat an diesem Abend eben wirklich starke Vertreter in das brandenburgische Flachland gesandt. Deutlich derber geht allerdings die Abordnung aus Portugal vor: HOLOCAUSTO CANIBAL sind einfach nur ein gurgelnder Grindcore-Bastard für Lärmfetischisten. Und genau auch für diesen Personenkreis schwerer Kult, das ist an den begeisterten Fan-Reaktionen auf dieses akustische Gemetzel zu merken. Songtitel braucht es hier eigentlich nicht, gibt es aber trotzdem: 'Vulva Rasgada', 'Violada Pela Moto Serra' oder 'Embrio Progeria' heißen die bösartigen Geschosse aus dem Schaffenswerk der Südländer. Das schrammelnde Gore-Getöse funktioniert einfach wunderbar.
Und schließlich sind die Musiker von MASSACRE dran, der Oberheadliner schlechthin für dieses Jahr. Bei der vergangenen Ausgabe des FTC hatten hier noch VITAL REMAINS für wahre Begeisterungsstürme gesorgt: MASSACRE können es ihnen glücklicherweise fast gleich tun. Denn mit Hits wie 'From Beyond' und ihrer unvergleichlichen Mischung aus Death und Thrash Metal sind sie gleichzeitig ein Unikum auf einem so ruppigen Festival. "Ihr erlebt hier Geschichte", ruft Kam Lee in die tobende Menge. Die pathetischen Worte haben einen wahren Hintergrund: Nur noch zum diesjährigen Wacken Open Air werden MASSACRE in Deutschland zu erleben sein - womit Klassiker wie 'Biohazard' dann endgültig nie mehr live zu vernehmen sind. Doch damit werden ihre so unvergleichlichen Riffs, ihre fetzigen Hack-Melodien und der so unvergleichliche Drive, den diese Florida-Legende anno 2007 immer noch besitzt, in die Ruhmeshalle des Death Metals eingehen. Auch in diesem Wissen feiern die Fans an diesem Abend, am Ende steht sogar eine ansehnliche Menge im Fotograben und schüttelt ausgelassen mit den Köpfen.
So beschwingt klappt auch das weitere Feiern umso besser. Denn die unvermeidlichen MY FIRST BAND haben noch ihren Auftritt im Partyzelt, natürlich obligatorisch ausgerüstet mit ihren Miniatur-Instrumenten. Es sind viele solcher skurrilen Momente, die die diesjährigen Besucher des Fuck The Commerce in ihren Köpfen behalten dürften: Paule Speckmann von MASTER als Ansager, in den Pausen zwischen den Bands solche Schlager wie das Fischlied, ILLDISPOSED total besoffen bei ihrem Auftritt am Ende des ersten Abends - den Kommerz ficken macht Spaß!
- Redakteur:
- Henri Kramer