Fucking X-Mas-Festival - Berlin

30.12.2003 | 13:55

25.12.2003, Knaack

"Wir spielen das erste Mal seit fünf Jahren."

"Seid Ihr deswegen nervös?"

"Klar sind wir das!"

Sänger Ashmedi ist knapp fünf Stunden vor dem ersten Gig von MELECHESH in Europa ziemlich aufgeregt. Überall hat diese Band Fans wie Presse begeistert, besonders das jüngste Werk "Sphinx" wurde in den Rezensionen als völlig eigenständiges Stück Musik gehandelt, eine fulminante Mischung aus Black Metal und fesselnden Melodien aus dem Nahen Osten. Nochmal Ashmedi: "Es soll heute ein Versuch sein, wir haben lange dafür geprobt. Anstelle von Proscriptor ist heute YXul von LIAR OF GOLGATHA dabei. Und für Al'Hazred, der sich wegen Vaterfreuden entschuldigt, steht Kane am Bass. Änderungen in der Musik wird es aber keine geben." Doch bis zum Auftritt von MELECHESH ist heute noch Zeit im "Knaack" Berlin, viiiel Zeit beim "Fucking X-Mas"-Festival...

[Henri Kramer]

...zum Kaffee trinken und reden.

„Warum seid ihr eigentlich aus Israel weggezogen?"

Gitarrist Moloch beginnt vorsichtig zu erklären: „Wir hatten das Gefühl, dass uns Israel nicht mehr weiter bringt. Es gab keine sozialen Gründe, die uns veranlasst haben wegzuziehen. Es war eher eine Frage der Legalität. 1995 gab es Zeitungsartikel über unsere Konzerte und einen okkulten Kreis in Jerusalem. Daraufhin bekamen wir Probleme. Mit unseren Freunden hatte das nichts zu tun. Zu ihnen und unseren Familien haben wir immer noch Kontakt. Wir stammen aus einer assyrischen Gemeinschaft, haben einen christlichen Hintergrund. Da hat man es nicht einfach."

„Was bedeutet dann der Titel eures ersten Albums 'As Jerusalem Burns... Al Intisar', was arabisch Sieg heißt? Ein Sieg für wen?"

Ashmedi sagt: „Es ist nichts Politisches gemeint. Für uns war es ein Erfolg, dieses Album überhaupt herausbringen zu können."

„Gibt es denn in Jerusalem eine Black-Metal-Szene?"

Moloch:"Inzwischen ja, aber die muß man suchen! Weniger in Jerusalem, sondern eher in Tel Aviv. Als wir angefangen haben, gab es das nicht. Da waren wir die einzigen."

„Existieren denn SALEM noch?"

Ashmedi:„SALEM gibt es noch, aber sie haben viel positivere Lyrics. Unsere Texte sind mehr okkult und mystisch."

„Dazu gehört ja zum Beispiel auch die Theorie, dass die sumerische Kultur von Außerirdischen importiert wurde. Kennt ihr die Theorien von Erich von Daeneken?"

Sofort ergreift Ashmedi wieder das Wort: „Ja, aber noch viel spannender sind die Schriften von Zecharia Sitchin, zum Beispiel 'Der 12.Planet'. Aber wenn du mich nach so was fragst, hör ich nicht mehr auf zu erzählen!"

„Ok. Was habt ihr denn heute tagsüber getan?"

Ashmedi: „Wir waren im Pergamon-Museum."

„Was habt ihr euch angeschaut und was hat euch am besten gefallen?"

Ashmedi: „Natürlich die Sphinx. Und alte Siegel. Da kann man soviel hineininterpretieren. In ihrer Doppeldeutigkeit können sie auch die Theorien über Außerirdische belegen. Aber die Sphinx war echt das Tollste."

Von der großen Katze in Stein waren MELECHESH also begeistert. Kleine Katzen von Festival-Managern können allerdings zur Gefahr werden, zumindest wenn sich herausstellt, dass der Session-Basser eine Katzenhaarallergie hat. Solch irdische Probleme hätten fast den Auftritt gefährdet...welcher jetzt gegen 19 Uhr immer noch in weiter Ferne liegt.

[Wiebke Rost]

Bleibt Zeit für ein weiteres Interview mit der Band, die den Abend im "Knaack" eröffnen wird: I.N.R.I. Deren Sänger stellt sich als Henri mit „i" vor und erzählt bereitwillig, was man über die Band wissen muss: "Wir spielen Death Metal mit zum Teil thrashigen Riffs. Brutal und sehr schnell." Der Rest ist ebenso fix auf den Punkt gebracht: I.N.R.I. sind seit 2001 aktiv und damit ein Newcomer in der holländischen Death Metal-Szene. Mastermind Henri hatte allerdings schon vorher eine Band namens STIGMATHEIST. Außerdem ist Henri sauer: Denn eigentlich dachte er, dass seine Jungs MELECHESH supporten und nicht den Abend eröffnen müssen - da gab es wohl ein Missverständnis. Seinen Frust merkt man dem Frontgrunzer von I.N.R.I. und seinen Mannen auf der Bühne zum Teil auch an. Wie entfesselte Berserker preschen die fünf Musiziermonster los, legen den Club mit ihrem äußerst druckvollen und brutalen Sound hörbar in Schutt und Asche - aber nichts passiert. Entweder ist das Berliner Publikum zu müde, zu blöd oder zu verblüfft, das sich vor ihnen ausbreitende akustische Gemetzel in bester Tulpen-Tradition á la GOD DETHRONED ausreichend zu würdigen. Und dabei geben die Jungs während der gesamten Spielzeit alles. Sänger Henri hat seinen DESTROYER 666-Pulli im engen Backstage-Raum gelassen, nur eine Lederhose und ein fetter Gürtel mit großer Pentragrammschnalle sind noch am Mann. Meist hält er sich am Mikro fest, keift und grunzt, beide Beine stampfen abwechselnd auf den Boden, seine langen blonden Haare fliegen durch die Luft - echtes Steinzeit-Feeling im "Knaack" und nur drei Leute gehen vor der Bühne ab. Zurecht bemerkt der Sänger: "A Bit Tired!" um gleich wieder von vorn loszulegen... Seine vier Kollegen stehen ihm in nichts nach und lassen ebenfalls ihre Matten kreisen. Am Ende sind zumindest die "Bravo"-Rufe laut genug, ein herrlich zweideutiges "Henri was here" vom I.N.R.I.-Ober-Gröhler beendet den Abend ganz versöhnlich. Die Band freut sich nun auf den Gig am nächsten Tag im thüringischen Bad Salzungen. Ein letztes Mal Henri: "Wir kommen aus Holland, bei uns gibt es keine Berge. Das ist wie Urlaub!"

[Henri Kramer]

Die Thüringer ANAEL werden sich dort dagegen ganz heimisch fühlen. Und als solche mögen sie Vergleiche mit Schweizern gar nicht. "Kennt ihr eigentlich SAMAEL" Gelächter. "Nein, niiiie gehört." Welch Ironie, zu der ANAEL fähig sind ... Denn ihr Sound klingt fast wie SAMAEL zu "Worship Him" oder "Blood Ritual"-Zeiten. Am Anfang erscheint deswegen auch das Publikum fast andächtig, wie es da vor der Bühne steht. Was wohl in den Köpfen der Fans für Filme ablaufen? Wie sie damals zum ersten Mal HELLHAMMER hörten, oder CELTIC FROST, oder... "Lasst die Kraft der Schlange mit uns sein!", sagt ANAEL-Sänger und Gitarrist Seraphackh. Ok, Schwamm drüber.
ANAEL schaffen es recht gut, die alten Helden wieder zu reaktivieren. Was nicht so einfach ist, bietet doch gerade dieser mit unter sehr doomige und oft auch recht langatmige Stil seine Tücken für den spaßfixierten Konzertbesucher. Doch ANAEL lassen sich während ihrer Show in keiner Sekunde davon beirren und ziehen ihr Ding sehr konzentriert und mit aller Inbrunst durch. Respekt! Ein neues Stück gibt's auch, was sich am Anfang wie räudiger Black Metal der 80'er anhört, um dann wieder in doomigere Gefilde zu fallen. Schön dreckig ist leider auch der Sound. Höflich bittet Seraphackh: "Mehr Gitarre auf den Schlagzeugmonitor!". Und gleich noch mal: "Mehr Gitarre auf den Schlagzeugmonitor!". Und weil's so schön ist: "Mehr Gitarre auf den Schlagzeugmonitor!". Nur Geduld. Seraphackh nimmt solch menschliches Versagen locker und grinst dämonisch weiter. Des Sängers Säuerniss über die technischen Probleme fließt derweilen ins Mikro ab. Am Bass von ANAEL blickt Patrick W. Engel während des Gigs als personifizierter "Angel Of Doom" böse in die Masse, mit dicker Lederjacke und Aufklebern von TORMENTOR und anderen Kultbands an seiner Gitarre. Ob wegen ihm auch das SEPULTURA-Cover "Troops Of Doom" am Ende erdrischt, wird die Welt nie erfahren: Ein würdiger Abschluss für einen gelungenen Nostalgie-Trip...

[Henri Kramer]

Nostalgisch sind auch einige Ansichten des Herrn Engel. „Kommerz! Kommerz ist scheiße!", ruft er mir auf die Frage zu, warum denn eigentlich der für gestern geplante Auftritt des Tourtrosses im Hellraiser in Engelsdorf bei Leipzig abgesagt werden musste. Dort sei man ernsthaft der Meinung gewesen an einem Heiligen Abend würden nicht genug zahlkräftige Konzertgänger anwesend sein und mit der Gage wollte man auch geizen. Auch ein anderer geplanter Gig der Tour fiel solchen Lapalien zum Opfer. So wurden aus ursprünglich vier geplanten Konzerten zwei. Um so schöner für den, der das miterleben darf. So ein Glücksgefühl scheint auch ANAEL zu beschleichen. Trotz aller Bemühungen finster und weltverachtend dreinzuschauen, sehen sie dennoch ganz zufrieden aus. Seraphackh meint letztlich sogar: „Eigentlich sind wir sehr gesellige Menschen." „Wir mögen Gesellschaft", fügt Patrick W. Engel noch hinzu. Wie wird man nur zu so einem zynischen Menschen? „Meine Eltern haben schon Metal gehört. Mit acht Jahren besaß ich meine erste Platte, 'Highway To Hell' von AC/DC. Mit zwölf Jahren hatte ich meine erste Gitarre in der Hand. Seit fünfzehn Jahren mache ich Musik." Zehn Jahre davon stand er immerhin bei IMPENDING DOOM (R.I.P.) am Bass. Und jetzt eben bei ANAEL. Im Namen jenes alttestamentarischen Engels haben sie bisher zwei Alben rausgebracht, das Debut „Necromantic Rituals" und eine Split-EP mit den Kanadiern LUST. Und wie geht's weiter? Gibt's bald eine neue CD? „Platte! Vinyl ist besser!", raunt mir Patrick Engel entgegen. „Ja, Verzeihung, da hast du natürlich recht." Seraphackh lenkt ein:„Nächstes Jahr wird ein neues Album rauskommen. Darauf setzen wir uns mit thelemythischer Magie auseinander. Musik und Texte werden sehr mythologisch und okkultistisch." „Glaubt ihr denn auch an Außerirdische?" „Nicht direkt, aber ich denke doch, dass wir nicht die einzigen Lebewesen im Universum sind. Das wäre ja auch ein Reinfall!" Sogar Herr Engel muss jetzt lachen.
Bei aller Schwarzmagie und Todesmetzelei - auf dem musikalischen Schlachtfeld - kommt man nicht umhin, diesen noch jungen Abend als fröhlich zu bezeichnen. Da wird der Auftritt von ARS MORTIS erst recht nichts dran ändern.

[Wiebke Rost]

Denn die harte Berliner Schule á la HARMONY DIES oder SPAWN kommt jetzt mit ARS MORTIS auf die Bühne - it's time for Todesblei. Die Jungs aus der Hauptstadt spielen ihre Musik seit 1999 und haben mit ihrem Rhytmusgitarristen William etwas ganz Exotisches am Metzelstand: Einen Franzose, dazu noch Koch und eben Flitzefinger am Sechssaiter. Doch auch er kann nicht verhindern, dass der linke Bühnenmonitor muckt: "Bitte die Rote Gitarre lauter!" Hinter der roten Gitarre steht ex-NECROMORPH-Gitarrist Gregory, ein blonder Lead-Meister. Ihn berührt das Monitor-Problem wenig. Er strahlt weiter mit den Scheinwerfern um die Wette. Als das Problem behoben ist, herrscht Friede bei besinnlichem Moshen im immer größer werdenden Haarschüttel-Pulk vor der Bühne. Nach ihren zwei Alben „Eritis Sicut Mortes…" und "Tempus Mortis" besitzen ARS MORTIS einen sichtbar satten Lokalbonus. Herrlich 'old school' groovt ihr Death Metal in die Ohren. Obwohl Death Metal schon fast zu böse für den Auftritt der Berliner klingt, Gute-Laune-Metal trifft es ähnlich gut. Da ist zum Beispiel Drummer Uwe mit seinem irren Grinsen, dass außerdem einen leicht dienstbeflissenen Ausdruck beim Bearbeiten seiner Felle annimmt - da fehlt eigentlich nur noch eine blaue Arbeitslatzhose. Zudem hat heute irgendein armes Schwein Geburtstag. Weil dieser "Glückliche" immer alle Geschenke auf einmal und dann ein Jahr lang nix mehr bekommt, schenkt ihm ARS MORTIS-Sänger Tom einen großen Schluck Bier. Die "Kunst des Todes" (Ars Mortis) ist an diesem Tag vor allem große Unterhaltung.

[Henri Kramer]

Ein Uhr und fünf Minuten, MELECHESH beginnen - dieser Gig ist pure Magie. Gitarrenmelodien schlingen sich ineinander wie Schlangen in der Wüste, während die Stimme Ashemdis als Giftzahn des Skorpions im Sand lauert. Die ellenlangen Duelle der beiden Saiten-Hexer Ashmedi und Moloch sind wie Flüge mit dem fliegenden Teppich, mal' nach links, 'mal nach rechts, immer schnell und schwindelerregend durch die orientalische Nacht. Zunächst wirken die Jungs noch etwas angespannt, doch spätestens nach zwei Songs sind sie im Spielrausch. Dann lässt sich Ashmedi auch 'mal zu einem Witz vor dem atemlos staunend-fiebernden Publikum hinreißen: "By the way, Merry Christmas" Um danach gleich wieder einzusteigen. In seinem Gesicht hat sich die Konzentration festgesaugt wie ein Blutegel, die Arterien an den Schläfen seines glattrasierten Kopfes treten angeschwollen heraus. Die Bosheit und Finsternis des Sounds von MELECHESH wird so noch intensiver; hier definiert sich Evilness nicht über die Mimik und das Image des Musikers, sondern die Besessenheit, mit der er seine Musik spielt, wie er schwitzt, sich müht und endlich belohnt wird. Denn erst am Ende der Show trauen sich die Fans lautstark vor Begeisterung zu jubeln. Vorher lauschen sie fast sprachlos dem Spiel von MELECHESH. Ungläubiges Verharren nach Songs wie ‚Triangular Tattvic Fire', der sich live als Kronjuwel unter Diamanten entpuppt. Besonders in seinem mittleren Teil besitzt ‚Triangular Tattvic Fire' einen entsetzlich heftigen Drive, der kurz in einem Gitarrensolo verharrt, um sich dann wieder in einem fulminanten Gekrächze von Ashmedi voll zu entladen: "Here we go again!" Das ist Black Metal, in solchen Momenten sind kleine Allmachts-Phantasien erlaubt.

[Henri Kramer]

Da kreist das Haar, da stampft der Fuß. MELECHESH werden mit diesem Auftritt Spuren hinterlassen, für die Ewigkeit festgehalten von zwei Fans, schwarz auf weißem Papier, als Fußabdruck von allen, die hier gefeiert haben. Nach dem Auftritt halten die beiden stolz das dreckige Beweisstück in die Höhe. So wird jeder seine ganz persönliche Impression heut Nacht mit nach Hause nehmen, wenn er dann erschöpft und ordentlich durchgeblasen vom Wüstensturm, den MELECHESH mit ihren sechs Songs entfachen, gegen zwei Uhr das Knaack verlässt. Jerusalem hat gebrannt, der ‚Wardjin' ist durch die Menge getobt, ‚Apkallu Counsel' hat dem Gott Ea gedient und mit ‚Of Mercury And Mercury' eine Reise zum Mars und zurück zur Erde unternommen. Doch noch ist's nicht genug.

[Wiebke Rost]

Am Ende müssen MELECHESH nämlich noch mal auf die Bühne und erraten zum zweiten Mal die ‚Secrets Of Sumerian Sphynxology'. Hinterher ist der Andrang nach Autogrammen groß, die Erleichterung bei den Musikern zentnerschwer. Ashmedi: "Es war nur ein Versuch, aber wir sind sehr zufrieden!"

[Henri Kramer]

Redakteur:
Henri Kramer

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