Full Force - Gräfenhainichen
18.07.2022 | 22:1824.06.2022, Ferropolis
Vor malerischer Ferropolis-Kulisse bewegt sich das einstige Kultfestival in der "Stadt aus Eisen" einen deutlichen Schritt weg von urigem Metall.
Sonntagnachmittag kommen mein geschätzter Kollege und ich genau 15 Minuten vor dem angekündigten Auftritt von CROSSFAITH überpünktlich zu unserem ersten Besuch der Hardbowl-Tentstage an. Was ist hier los? Die Japaner stehen bereits auf der Bühne, nach kurzer Irritation klärt sich auf, dass dies nur ein übereuphorischer Soundcheck ist. Na wenn so der Soundcheck aussieht, dann kann man sich ja gleich auf etwas gefasst machen. Also wird die Zeit genutzt, um noch schnell die Kamera und zwei Bier zu holen. Danach bleibt sogar noch ausgiebig Zeit, um dem bereits sehr Trancecore-lastigen Intro zu lauschen. Jede Minute wird man von einer Computerstimme zum Tanzen aufgefordert, bis es endlich heißt: "Enjoy the show". Was nun passiert, ist schwer in Worte zu fassen: Die sechs Japaner betreten die Bühne und beginnen bereits zu dem allerersten Takt direkt mal mit einer gigantischen Wall of Death. Nach drei Songs kann man als Zwischenfazit festhalten, dass es bereits vier Wall of Death und fünf Circle Pits waren. Das nennt man wohl Hochleistungscore. Auf Platte ist das für mein sensibles Oldschool-Metal-Gehör etwas zu viel Elektro, doch live strotzt die Show nur so von Power und Performance, dass man einfach mitgerissen wird. Trotz einer zweifellos anstrengenden Anreise von mehr als 20 Stunden zeigt sich die Band keinesfalls ermüdet oder ausgelaugt. Auf der Bühne ist mindestens so viel Bewegung wie davor. Der Schlagzeuger spielt gefühlt die Hälfte des Gigs im Stehen und nutzt die Synthie-Einlagen für Besuche bei seinen Bandkollegen. Diese sind entweder kontinuierlich am Headbangen oder am wilden Gestikulieren mit dem Publikum.
Nebenbei: Eine bei der Zeltbühne auf dem Full Force typische Gepflogenheit ist das Erklettern der Zeltmasten. Dort hängen dann in schwindelerregender Höhe zahlreiche Personen und man hofft, dass sie einen festen Griff haben. Die Veranstalter haben diesem waghalsigen Spektakel, das am Freitag rege zelebriert wurde, inzwischen ein Ende bereitet und die Barrikaden erhöht. Trotzdem versuchen es einige und zum Glück reicht es aber auch bei ganz ambitionierten Kletterern nicht (das ändert sich erst bei ANTI FLAG am späten Abend). Zurück zu CROSSFAITH: Zu den harten Klängen von 'Gimme Danger' rotiert der Circle Pit sogar nochmal etwas schneller. Wem das alles etwas zu schnell ist oder wer nicht dabei sein konnte, kann einen – von der Band selbst gedrehten – 20-minütigen Mitschnitt im Internet nochmal anschauen. Man spielt eine schöne Mischung aus der inzwischen schon 15-jährigen Bandgeschichte, bringt alte Klassiker wie 'Monolith', heizt aber auch mit ganz neuen Werken wie 'Endorphin' ein. Zum Schluss lässt CROSSFAITH lediglich das von mir ersehnte PRODIGY-Coverstück 'Omen' vermissen, was aber den überragenden Gesamteindruck nicht schmälert.
[Oibert Ginnersen]
Zumindest einer Tradition bleibt das Force dann doch treu: Es spielt immer eine Folk-Band mit irischen Wurzeln. Dieses Jahr sind es die Aussie-Iren THE RUMJACKS, die auf der Medusa für typische Pub-Stimmung sorgen dürfen. Richtig voll ist es in den vorderen Reihen nicht, als die Jungs um den noch etwas neueren Sänger Mike Rivkees die Bühne stürmen. Umso mehr Platz für die Tanzwütigen, die tatsächlich jeden Song zur feuchtfröhlichen Party machen. "Thanks for taking time, we appreciate that", bedankt sich Mike artig, ehe er wieder zu einer seiner Flöten greift. Das punkige 'Light In My Shadow' wird der Freundschaft gewidmet und natürlich auch regelmäßig den Fans zugeprostet... "Let's keep this energy for last few songs", zeigt sich der Basser von der feiernden Meute beeindruckt. Irische Gigs machen gerade auf Festivals einfach immer wieder Spaß!
[Carsten Praeg]
Adam Darski (Künstlername Nergal und bestens bekannt als Bandkopf von BEHEMOTH) und seine Band ME AND THAT MEN passen perfekt in die Atmosphäre des frühen Sonntagabends. Eine staubige und dreckige Mischung aus Blues, Country und Folk schallt über die Weiten von Full Force-Island. Das passende Image echter Outlaws wird überzeugend dargeboten. So betritt man zu den Klängen von 'Under The Spell' die Bühne mit Hut, Sonnenbrille und einem gesichtsverhüllenden Halstuch. Ich realisiere, dass dies ein perfektes Festivaloutfit ist. Aufgrund der unfassbaren Trockenheit hätte ich so sicherlich verhindern können, allein heute gefühlt ein Kilogramm Staub zu inhalieren. [Viel denkwürdiger scheint mir allerdings der Umstand, dass Nergal das Tuch nach einem Song lüftet und man ihn mal ohne Corpsepaint zu sehen bekommt. – Anm. v. Carsten] Die Songauswahl bevorzugt heute durchaus etwas schnellere und rockigere Nummern, als erwartet. Das wird von der nun etwas überschaubaren Menge vor der Bühne auch dankend angenommen. Dieses musikalische Kontrastprogramm ist allerdings nicht unbedingt geeignet, um große Eskalationen auszulösen. So quittiert man 'Coming Home', 'Love And Death' und 'Burning Churches' mit artigem Applaus, nippt am Bier oder nimmt noch ein abkühlendes Bad im See. Von dem gediegenen Platz am Hang im VIP Bereich ist der Gig eine echte Freude und macht bei einem kühlen Bier richtig Spaß. Die mehrmaligen Aufforderungen zu mehr Support sind aus meiner Sicht allerdings nicht so ganz von Erfolg gekrönt. Eine übertrieben wilde Party würde aber auch einfach nicht zu der Musik passen und vielleicht ist nach drei Tagen eine kleine Verschnaufpause schlicht willkommen sowie notwendig. Passend dazu liefert ME AND THAT MAN mit dem Song 'Surrender' die einzige Ballade des Festivals. Man beendet einen unterhaltsamen und kurzweiligen Gig mit den Worten "do not fucking loose your blues". Dem ist nichts hinzuzufügen.
Endlich ist mit ANTI FLAG Punkrockzeit auf dem Full Force. Justin Sane, Pat Thetic, Chris Head und Chris2 sind zurück. Es wird gesprungen, gesungen, getanzt und zwischen den Songs findet Chris2 klare deutliche Worte zu den großen gesellschaftlichen Themen. Kurz zusammengefasst: Fuck Fascism, Love Full Force! Alles beim Alten und genau die erwartete und erhoffte Punkrock-Eskalation. Etwas unklar bleibt lediglich die Rolle des neuen Bandmitglieds, das im Hintergrund an einem Tisch zur Band dazugestoßen ist und einige Backgroundgesangseinlagen übernimmt. Als man nach dem gelungenen Auftakt die Hymne 'Die For The Government' anstimmt, ist wieder mal zu spüren mit welcher Leidenschaft die Band aus Pittsburgh ihre Songs lebt. Die melodische Midtempo-Nummer 'This Is the End (For You My Friend)' zündet danach beim Publikum genau so gut wie der schnelle Gassenhauer 'Fuck Police Brutality'. Mit irgendwelchen Superkräften (vermutlich dank entfernter Verwandtschaft zu Spiderman) schafft es nun tatsächlich eine Person, die irrsinnige Höhe eines Zeltmastes zu erklettern. Nach drei Songs wird von der Security gar eine Leiter herbeigebracht, um ihn da wieder herunter zu holen. Dieser Abgang wäre aber eines Besuchers des Full Force Festivals nicht würdig und so gibt es einen waghalsigen Sprung, der nach meinem Eindruck zum Glück ohne große Verletzungen geblieben ist. Derweil hat ANTI FLAG heute auch ein "Best of"-Punkrock-Medley im Programm, bei dem besonders der zeitlose RAMONES Klassiker 'Blitzkrieg Bop' die Schlagzahl nochmal etwas erhöht. Der abschließende Sing-along-Chorus von 'Cities Burn' begleitet mich lautstark gesungen auch nach dem Gig auf dem Weg zum letzten Headliner. Insgesamt ein mehr als herausragender Auftritt, der rundum glückliche Gesichter zurücklässt.
[Oibert Ginnersen]
Wenn auf einem Stromgitarren-Festival SCOOTER als Intro läuft, befürchte zumindest ich das Schlimmste. Die mitgrölenden ersten Reihen vor der Mainstage aber offensichtlich nicht. Und zumindest zeigt HEAVEN SHALL BURN anschließend, warum der Headliner von manchen eher dem Melodic Death Metal als dem Metalcore zugeordnet wird. Mit 'My Heart And The Ocean' und dem EDGE OF SANITY-Cover 'Black Tears' legen die Thüringer ordentlich los, um sich dann nach nur zwei Songs augenzwinkernd zu verabschieden. "Danke, wir waren HSB", flachst Sänger Marcus und muss dann schmunzelnd den "Zugabe!"-Konter aus der ersten Reihe hinnehmen. "Okay, 1:0 für dich." Beim folgenden 'Übermacht' nimmt die Zahl der Crowdsurfer schlagartig zu, doch die anschließenden "HSB"-Rufe sind Marcus noch längst nicht genug. "Wenn das so müde kommt, bleiben wir hier oben aus Mitleid stehen und lösen uns anschließend auf." Zu 'Behind The Wall Of Silence' wünscht sich der inzwischen oberkörperfreie Sänger einen Circle Pit über die gesamte Songlänge. Kaum ein Stück kommt ohne Pyros in allen Farben und Formen aus, beim zum apokalyptischen Ambiente passenden 'Endzeit' wird dann gefühlt alles gleichzeitig auf der Bühne abgeschossen. Allerdings ist das Crowdsurfen inzwischen dermaßen intensiv, dass mancher Surfwillige anschließend von den Sanis abtransportiert werden muss. Ernster wird es dann auch auf der Bühne, als einer der Gitarristen zum Mikro greift. "Als politische Band müssen wir in diesen Zeiten klar Stellung beziehen", ruft Maik zum Kampf gegen Autokraten auf. Erstmals in der Bandgeschichte folgt darauf live das schleppende 'Numbing The Pain'. Spätestens zur Zugabe kehrt aber der Spaß zurück. "Ganz einfaches Spiel", meldet sich wieder Marcus zu Wort, "HS…". Die Antwort lässt ebenso wenig auf sich warten wie das abschließende 'Hunters Will Be Hunted'. Ein intensiver Gig, der etwas versöhnlich stimmt zum Ende eines eher Metal-armen Festivals.
Mit offiziell 20.000 Besuchern sind diesmal ein paar tausend mehr als vor der Pandemie gekommen, was den Veranstaltern eigentlich recht geben müsste. Doch zum einen dürfte es unter den Besuchern auch einige geben, die nach den Corona-Lockerungen endlich mal wieder überhaupt auf irgendein Festival wollten. Zum anderen sind wir im Lauf des Wochenendes manchen Traditionsgängern über den Weg gelaufen mit dem Feedback: Das war definitiv ihr letztes Force. Das kommende Jahr könnte also ein ganz entscheidendes werden. Wir machen unseren nächsten Besuch jedenfalls von einem dann hoffentlich ausgewogeneren Billing abhängig. Und hoffen, dass Kritik auch etwas Positives bewirken kann.
[Carsten Praeg]
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- Redakteur:
- Carsten Praeg