Fury In The Slaughterhouse - Berlin

28.11.2006 | 08:02

26.11.2006, Kesselhaus

Es gibt in musikalischer Hinsicht zwei todsichere Möglichkeiten um festzustellen, dass man inzwischen ziemlich alt geworden ist. Nummer eins: Man besucht das Konzert einer furchtbar angesagten Trend-Combo, wo man unweigerlich das Gefühl bekommt, dass bereits ein einziger Thirtysomething (also man selbst) ausreicht, um den Altersdurchschnitt locker um ein bis zwei Jährchen zu heben. Nummer zwei: Man erinnert sich nostalgisch-verklärt an seine eigenen Anfänge als Konzertbesucher und beschließt, sich die Live-Helden seiner Jugend ca. ein Jahrzehnt später nochmals reinzuziehen - was sogar den angenehmen Nebeneffekt hat, dass man sich in zum Teil noch gesetzterer Gesellschaft befindet (und es so schlimm also doch nicht sein kann mit dem Alter). Okay, Nummer drei wäre, auf ein Festival zu fahren und nach drei Tagen am Stock zu gehen, aber das ist eine andere Geschichte.

Und so finde ich mich zum zweiten Mal innerhalb eines guten Jahres auf einem FURY IN THE SLAUGHTERHOUSE-Konzert wieder, deren Schaffen ich Mitte der 90er intensiv verfolgt habe und die ich damals ca. ein halbes Dutzend Mal als mitreißenden Live-Act kennen- und schätzen gelernt habe. Seitdem gab es zwar etliche Alben, die mich nicht mehr so begeistern konnten und letztendlich ausgelassen habe (das "früher war alles Besser"-Syndrom, dass man ebenfalls als Alterserscheinung bezeichnen könnte), und noch mehr Konzerte, die ohne meine Anwesenheit stattfanden. Aber schon der Akustik-Gig im September 2005 in Potsdam hat gezeigt, dass die Musik der Hannoveraner zwar ein klein wenig "erwachsener" geworden sein mag, dies ihren Bühnen-Qualitäten aber zum Glück nicht geschadet hat.

Als Anheizer fungiert der in Berlin lebende Brite BEN HAMILTON nebst Begleitcombo mit melodischem "Singer/Songwriter Pop der alten Schule". Die für meinen Geschmack (so alt bin ich dann doch noch nicht) etwas zu ruhige, jedoch durchaus zur FURY-Zielgruppe passende Musik driftet dank Bens leicht rauer Stimme, welche mich ein wenig an DEL AMITRI-Fronter Justin Currie (gibt's die eigentlich noch?) erinnert, aber nie in allzu flaches Gewässer. Der bei den ersten zwei Songs eingesetzte Kontrabass sowie der sich durch den kompletten Gig ziehende warme Hammond-Orgel-Sound verleihen dem ganzen außerdem eine dezente 70er-Note. Mit beachtlichen Deutschkenntnisse führt der sympathische Hüne durch die acht Songs seines selbstbetitelten Debüts umfassende Setlist. Allerdings habe ich noch nie jemanden, der sich so wenig bewegt, derart schwitzen sehen! Die Brühe rinnt dem Sänger in Strömen hinunter, und spätestens ab der Mitte des Auftritts ist sein edles schwarzes Hemd nur noch ein triefender nasser Lappen. Frau Schnittke, einmal aufwischen bitte!

Um nochmals zurück auf das Thema "Alter" zu kommen: So ganz taufrisch sehen die sechs Herren von FURY IN THE SLAUGHTERHOUSE auch nicht mehr aus. Der Großteil der Stammbesetzung - Kai und Thorsten Wingenfelder sowie Gero Drnek - hat im Laufe der fast 20-jährigen Karriere mächtig Haare gelassen. Während Gero barhäuptig dazu steht und verschmitzt lächelnd sein Keyboard bedient, sind die Wingenfelder-Brüder zu Mützen-Fetischisten mutiert und verstecken die Platte sportlich (Kai) oder elegant (Thorsten). Nur Gitarrist Christoph Stein-Schneider ist irgendwie noch ganz die alte zottelmähnige Kodder-Schnauze, die das Publikum auch heute wieder prächtig mit trockenen Kommentaren unterhält. Kai würzt den Auftritt zusätzlich mit den einen oder anderen Tour-Anekdötchen, und auch die restlichen Mitglieder schmeißen sich hier und da gekonnt verbale Bälle zu. Auf FURY ist eben Verlass, und ja, rocken können sie auch noch - Glatzenbildung hin oder her.

Bereits das Intro 'Bangkok' vom 88er-Debütalbum lässt erahnen, dass neben der Promotion für das aktuelle Werk "Every Heart Is A Relolutionay Cell" auch noch genügend altes Material zum Besten gegeben wird. Vom Erstling gibt es noch 'Time To Wonder' (immer wieder schön!), und von "Jau!" 'Drug Addicted In The Jailhouse' (garniert mit einer lustigen Anekdote von einem FURY-Konzert hinter schwedischen Gardinen) sowie das unvermeidliche 'Won't Forget These Days', das Kai zu ausgiebigen Mitsingspielchen nutzt. Zum Super-Hit 'Radio Orchid' (den ich auf dem Akustik-Konzert schmerzlich vermisst habe) absolviert der Sänger seinen typischen Spaziergang einmal quer durch die Menge, und mit 'When I'm Dead And Gone' (beides "Mono") sowie den zwei "The Hearing And The Sense Of Balance"-Tracks 'Hang The DJ' und 'Hello And Goodbye' ist der Nostalgiker in mir dann auch schon zufrieden gestellt.

Natürlich sind die neueren Werke nicht schlecht, aber mir nicht ganz so vertraut. Mit einer stimmungsvollen Lichtshow, u. a. bestehend aus farblich wechselnden Lichtsäulen und einem Sternenhimmel-Backdrop, werden jedoch auch diese toll in Szene gesetzt. Und die Mischung zwischen Balladen (sentimental: 'In Love With A Clown') und Rocksongs (mitreißend: 'Are You Real') stimmt immer noch und hält die Stimmung somit konsequent oben. Textlich wusste der Sechser schon immer durch hübsche kleine Geschichten für sich einzunehmen, und von den ganz neuen Sachen finde ich 'Tinkerbell' am gelungensten, das sich dem Handtaschen-Hündchen (und was die FURYs am liebsten mit ihm machen würden) von Hotel-Erbin und Partie-Maus Paris Hilton widmet.

Für den Höhepunkt des Konzerts sorgt jedoch das Publikum selbst: Nach der zweiten Zugabe erschallt im gut gefüllten Kesselhaus ein vielstimmiges "Happy Birthday" für Geburtstagskind Kai Wingenfelder, der sich artig mit dem finalen Akustik-Track 'Reality Sucks' dafür bedankt.

Über zwei Stunden wissen FURY IN THE SLAUGHTERHOUSE auch heute noch gut zu unterhalten. Und unterscheiden sich damit wesentlich von so manch angesagter Trend-Combo, der nach 60 Minuten schon die Puste ausgeht. Klar, wo ich mich künftig lieber "alt" fühlen werde, oder?

P.S.: Für nächstes Jahr hat uns Kai bereits eine Jubiläums-Tour zum 20-jährigen Bestehen versprochen. Mit noch mehr alten Hits und noch längerer Spielzeit. Ich freu mich drauf!

Setlist:
Bangkok
Believe In Me
Balm For The Soul
Hang The DJ
Radio Orchid
Here We Go
Are U Real
Calling Cuba
Candle In Your Window
Drug Addicted In The Jailhouse
Wasted
Homesick
Riding On A Dead Horse
In Love With A Clown
Tinkerbell
When I'm Dead And Gone
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Won't Forget These Days
Goodbye Solong
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Nothing To Go
Hello And Goodbye
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Reality Sucks

Redakteur:
Elke Huber

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