GLENN HUGHES und KING HERD - Hamburg

25.04.2024 | 14:47

19.04.2024, Fabrik

Brennend heiße Zeitreise in die glorreichen 70er.

Es ist ein grauer, verregneter Freitag. Grundsätzlich also alles wie immer, bzw. wie an gefühlt dreihundertzehn Tagen im Jahr in unserer schönen Hafenmetropole. Grau entsprechend auch das Gemüt, sehne vermutlich nicht nur ich mir doch langsam wirklich mal drei, vier sonnige Frühlingstage am Stück herbei. Aber nützt ja nix, wie wir hier oben an der Waterkant lapidar zu sagen pflegen. Und kommt die gute Laune nicht von selbst, geht man halt einfach den umgekehrten Weg. Heute heißt das konkret, dass ich mich zusammen mit (fast) meiner kompletten Heavy Metal-Gang und Festival-Reisegruppe auf den Weg in die altehrwürdige Fabrik mache. Ich weiß gar nicht mehr so genau, wann ich dort zuletzt konzerttechnisch aufgeschlagen bin, aber wozu sammle und archiviere ich all die Tickets in weiser Vorausahnung. Der Blick in die persönliche Konzerthistorie beweist: Mein letzter Besuch hier liegt tatsächlich schon ziemlich genau fünfeinhalb Jahre zurück. Der Name des seinerzeit auftretenden Künstlers: GLENN HUGHES. Was für ein schöner und passender Zufall. Die Fabrik ist dafür bekannt, größtenteils Bands und Künstler aus den Segmenten Blues und Jazz zu buchen. Aber eben auch altgediente Recken aus dem Prog- und Hard Rock geben sich hier in verlässlicher Regelmäßigkeit die Klinke in die Hand. VAN DER GRAAF GENERATOR, die nun wohl leider verblichenen MAGNUM und WISHBONE ASH (um nur mal ein paar wenige Beispiele zu nennen) waren bzw. sind hier immer wieder gern gesehene Acts. Unterm Strich also eher Bands für das kleinere und ausgesuchtere Liebhaber-Publikum, welche es leider oder glücklicherweise aus kommerzieller Hinsicht nie ganz nach oben geschafft haben, daher aber auch nicht in diesen furchtbar großen Hallen und charakterlosen Multiplex-Arenen aufspielen müssen. Entsprechend ist auch das Publikum vor Ort: Zu achtzig Prozent doch eher gesetzteres Ü50-Publikum, bei dem man sich aber ziemlich sicher sein kann, dass hier eine jede und ein jeder noch gewissenhaft die heimische Plattensammlung pflegt und spotify vermutlich nur dank des eigenen Nachwuchs kennen dürfte. Ich selbst zumindest fühle mich hier mit meinen vierzig und etwas Lenzen tatsächlich wie ein gerade frisch geschlüpfter Nachwuchs-Jungspund.

In guter Sichtweite, links von der Bühne stehend, finden wir uns an einem Stehtisch lehnend in der Venue ein und bewaffnen uns selbstredend zuvor erst noch mit ein paar sprudelnden Kaltgetränken. Ziemlich pünktlich um 20 Uhr eröffnet dann die in Birmingham beheimatete Band KING HERD den Konzertabend. Der Vierer wartet hierbei mit stampfenden und tight vorgetragenem Modern Rock auf, im Gepäck ihr 2023 erschienenes selbstbetiteltes Debütalbum. Handwerklich gibt es nichts zu meckern, die Jungs beherrschen ihre Instrumente durch die Bank aus dem FF, und Frontmann Dave Taylor verfügt gesanglich über eine wirklich erstaunliche Range. Musikalisch ist das Ganze im doch sehr auf Radio Airplay schielenden Mainstream Rock à la STONE SOUR zu verorten. Eine Prise Alternative hier, ein bisschen Grunge-Feeling da, und immer mit dem vermeintlich sicheren Gespür für sich schnell in die Hirnrinde einnistende Mitsing-Refrains. Einer meiner Kumpels will hier auch ein wenig KING'S X rausgehört haben. Mit ein bisschen Fantasie muss ich gestehen: damit hat er nicht so ganz unrecht. Ich für meinen Teil würde mir an der einen oder anderen Stelle zwar das eine oder andere Gitarrensolo mehr wünschen, aber die Band konzentriert sich eben lieber doch eher auf konservatives Schema F-Songwriting mit Fokus auf eingängigen Chorusse. Ich würde mich tatsächlich nicht wundern, die Combo schon bald im lokalen Rocksender zu hören, den auch ich, wenn auch eher selten, mal bei kürzeren Autofahrten laufen lasse. Kurzum lässt sich über den ca. fünfundvierzig Minuten andauernden, absolut professionell vorgetragenen Auftritt der vier sympathischen Burschen das sagen, was ich gemeinhin oftmals in solchen Fällen verlauten lasse: "Wehtun tut das alles beileibe nicht, aber im heimischen Tonträgerregal muss ich das dann aber wohl auch nicht zwingend stehen haben."

Setliste: Halo; Medicine; Another War; Save Me; Remedy; Bleeds Me; Close To The End; Like It Used To Be; The Same; Somebody Else

Nach guten zwanzig Minuten Umbaupause ist es dann soweit. Nach einem kurzen Medley-Intro betritt Mr. GLENN HUGHES himself, bekleidet mit einem standesgemäßen pailettenbestickten Hemd im 70er Jahre-Look, mitsamt seiner drei Mitstreiter die Bühne der sehr gut gefüllten, aber nicht ganz ausverkauften Fabrik  

"How are you Hamburg, I love you all!" klingt doch erst mal stark nach OZZY, ist aber auch bei genauerem Hinsehen tatsächlich der ob seiner 72 Jahre noch immer unfassbar körperlich fitte und einfach nur liebenswerte Brite, der aus einem kleinen Ort namens Cannock im Black Country in England stammt, aber mittlerweile schon seit über vierzig Jahren sein Domizil in L.A. aufgeschlagen hat. Die Entscheidung, Ende der 80er allen gängigen schlimmen Substanzen auf immer Lebewohl zu sagen, nachdem es ihn in den Jahren zuvor sprichwörtlich deswegen fast dahingerafft hätte, erweist sich letztendlich also als verdammt guter Move. In dieser schier unmöglichen körperlichen Top-Verfassung dürfte er vermutlich noch einmal weitere 72 Jahre Alben aufnehmen und sich auf Tour begeben.

'Stormbringer', vom gleichnamigen ebenfalls 1974 erschienenen Album mit der legendären MARK III-Besetzung um David Coverdale, ist hier heute der genau richtige und flockige Einstieg in den Abend, bevor das uns Purple-Jüngern noch allen gut geläufige Keyboard-Intro dann das lässige 'Might Just Take Your Life' als erste Nummer von dem heute zu ehrenden "Burn"-Album vom Stapel lässt und der versammelten Hörerschaft wohlige und zufriedene Minen auf die Visagen zaubert. Tastenmann Bob Fridzema fängt dabei den Jon Lord-Geist kongenial und nahezu 1:1 ein. Alles andere als den typischen Hammond-Orgelsound würde hier heute aber wohl auch keiner der Anwesenden wirklich akzeptieren. Der dänische Gitarrist Soren Andersen darf dann auch mal zeigen, dass er sich seinerzeit nicht umsonst für eine Karriere als Gitarrist entschieden hat. Er improvisiert erst eröffnend durchweg überaus wohlklingend ein wenig auf der Klampfe, bevor dann das groovy-bluesige 'Sail Away' zum Besten gegeben wird.

Nicht nur nach diesem Song platziert HUGHES die eine oder andere amüsante Anekdote zu der Entstehung der einzelnen Songs. Darüber hinaus ist es natürlich alles andere als eine Überraschung, aber die komplette Band hat noch so unfassbar viel jugendliche Spielfreude in den Arschbacken, dass das Zusehen dabei nichts weiter als eine wahre Wonne ist. Gerade Schlagzeuger Ash Sheehan entpuppt sich als kleiner Tausendsassa, der sich nun ebenfalls ein wenig austoben darf und wild um sich trommelnd das wunderbar jammige 'You Fool No One' auf den musikalischen Weg bringt. Dieses wird dann zunächst erst durch ein fulminantes Gitarrensolo unterbrochen, nur um einige schwindelerregende Gitarrenläufe später nach kurzem Anspielen des Songs 'High Ball Shooter' vom "Stormbringer"-Album wiederum in einem Schlagzeugsolo des unermüdlichen Ash Sheehan zu gipfeln. Trommeleinlagen waren ja noch nie so ganz mein Ding und sind grundsätzlich ja eher ein Liverelikt der 80er und 90er Jahre, wie ich finde. Zumindest kann ich mich nicht mehr wirklich daran erinnern, wann ich zuletzt einer solchen Darbietung beiwohnen durfte. Hier macht das Zuschauen aber auch als Nicht-Schlagzeuger und Laie mächtig Spaß. Einmal steckt der Drumstick im rechten Nasenloch, ein anderes mal wird die lässig zur Schau getragene Schiebermütze mit einer Hand um 360 Grad gedreht. Hier wäre eine nachträgliche Zeitlupe sicherlich sehr von Vorteil gewesen.

Es folgt der fantastisch-legendäre und einzigartige Blues Rocker 'Mistreated', seinerzeit bekanntlich gesungen von Glenns gesanglichem Mitstreiter aus der guten alten Zeit, David Coverdale. Apropos alte Mitstreiter: Der britische Gentleman in der Bühnenmitte spricht zwischen den Songs nur in den allerbesten Tönen und mit absolut ehrlichem Respekt über Bandkameraden aus den guten alten Tagen und wird nicht müde, über sie als Brüder und Freunde zu reden. Sei es über Coverdale oder aber auch über Tommy Bolin, der auf dem 1975 erschienenen Album "Come Taste The Band" Ritchie Blackmore an der Gitarre ersetzt hatte, nur um ein Jahr später einem viel zu frühen Drogentod zu erliegen. Selbst der alte Zausel und Egomane Ritchie Blackmore wird auf allerhöchstem Niveau lobgepreist. Dieses Privileg wird dem guten Mann bekanntlich nicht von allzu vielen seiner ehemaligen Musikerkollegen zuteil. Aber zurück zur Musik: Glenns außergewöhnliche 'Mistreated'-Interpretation kommt ein wenig dezenter und entspannter als das Original daher, wird dabei aber mitnichten weniger passioniert und leidenschaftlich von ihm dargeboten. Beachtlich, wieviel Gefühl er hier in der Song legt. Der Großteil der anwesenden Hörerschaft entpuppt sich dabei beim Refrain als durchaus nicht gänzlich untalentierte Background-Kapelle. Großartig! Mit 'Gettin' Tighter' wird nun auch dem bereits erwähnten "Come Taste The Band"-Album Tribut gezollt. Die leicht angefunkte Nummer wird durch allerhand instrumentale Improvisationen allerdings auf deutlich mehr Spielzeit als die im Original vorhandenen gut dreieinhalb Minuten ausgedehnt. So soll es sein bei einem Livekonzert! Da man auf einem Lied bekanntlich nicht stehen kann, folgt mit der bockstarken Powerballade 'You Keep On Moving' ein weiterer Song desselben Albums, bevor sich die Band fürs erste backstage den Rock'n'Roll-durchtränkten Schweiß von den nassen Gesichtern abtrocknen darf.

An dieser Stelle muss folgendes dann doch noch einmal explizit erwähnt werden: Gesanglich erreicht der Mann nach wie vor noch immer spielend und mit einer ihresgleichen suchenden Leichtigkeit die allerhöchsten Etagen, bei denen so manch anderer Kollege aus der Altersklasse doch schon arg ins Schleudern und Krächzen kommt. Wahnsinn! Als Zugabe folgt dann, wie sollte es auch anders sein, mit 'Burn' DER ultimative Rausschmeißer des Abends und der Meister entlässt einen Haufen überwiegend gut gealterter Rocknasen ins noch immer nasskalte Hamburger Wochenende, nicht ohne jedoch vorher noch anzukündigen, dass er schon nächstes Jahr wieder die Bühnen dieser Welt betreten will, dann aber mit überwiegend eigenem Solomaterial. Nach diesem unfassbar geilen und auch soundtechnisch in allen Belangen überzeugenden Abend weiß zumindest ich bereits: Ich bin definitiv wieder dabei! Danken möchte ich abschließend noch meinem guten Freund und Stahlstecher sowie BLEEDING-Sänger Haye fürs Schießen der großartigen Fotos.

Setliste: Stormbringer; Might Just Take Your Life; Sail Away; You Fool No One / Guitar Solo / High Ball Shooter / You Fool No One / Drum Solo; Mistreated; Gettin' Tighter; You Keep On Moving; Zugabe: Burn

Photo Credit: Haye Graf

Redakteur:
Stephan Lenze

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