Geoff Tate - München

04.01.2017 | 11:01

26.12.2016, Backstage

Der umstrittene, aber unumstritten großartige Sänger auf Akustik-Tour.

Nach mittlerweile mehreren Alben mit seiner neuen Band OPERATION: MINDCRIME und als Solokünstler ist es eigentlich Unfug, immer wieder auf seiner Historie und damit natürlich auch auf die Trennung von den anderen QUEENSRYCHE-Musikern rumzuhacken. Und doch vermag ich es nicht vollständig aus meinen Gedanken zu verbannen. Ein wenig ist Geoff auch selbst schuld, denn natürlich hat er den Namen für seine Band gewählt, um an seine ruhmreiche Vergangenheit zu erinnern, und auch die aktuelle Tour, auf der er Songs seiner ganzen Diskographie spielen will, muss dementsprechend ein Hauptaugenmerk auf QUEENSRYCHE legen. Aber natürlich wollen das die Fans auch hören, und da mache ich keine Ausnahme. Um ganz ehrlich zu sein, die Tate-Scheiben seit der Trennung fand ich höchstens durchwachsen, egal, wie sehr ich mich bemühte, sie zu mögen. Aber eines steht für mich zweifellos fest: Geoff Tate ist einer der besten Metalsänger aller Zeiten. Und er wird QUEENSRYCHE-Songs singen. Was kann also schief gehen?

Überraschenderweise spielt Tate im Club, der kleinsten der drei Locations im Backstage in München. Da hätte ich mehr erwartet. Das gilt aber auch für den Publikumszuspruch, der ausgesprochen überschaubar ist. Am Ende schätze ich, dass etwa 120 Zuschauer gekommen sind. Für Geoff Tate? Das ist schon fast lächerlich. Wo sind denn die QUEENSRYCHE-Fans geblieben?

Mit einer Verspätung von einer knappen halben Stunde, die ich der Band nicht vorwerfen kann, denn es wird tatsächlich während dieser Zeit noch voller, betritt dann Geoff Tate mit seiner Begleitmannschaft die Bühne. Akustische Gitarre, gespielt von seinem OPERATION: MINDCRIME-Gitarristen Scott Moughton, dazu Violine, Mandoline, Cello und Percussioninstrumente, das Ganze sieht doch vielversprechend aus. Und beginnt auch so, denn mit 'Walk In The Shadows' zieht Geoff gleich mal einen Trumpf aus dem Ärmel. Der Sänger geht zwar nicht mehr in so ungeahnte stimmliche Höhen wir noch vor dreißig Jahren, aber seine Vorstellung ist gut. Auch 'Another Rainy Night (Without You)' vermag zu überzeugen.

Doch nicht nur das Publikum hat Spaß an der Sache. Tate hat eine irische Band, deren Namen er zwar nennt, an den ich mich aber partout nicht erinnern kann, als Begleitband engagiert, und die Fünf sind mehr als freudig bei der Sache und rocken gewaltig, spielen sich die musikalischen Bälle zu und machen Späßchen. Das sieht mehr nach Band aus als nach Soloprojekt, und tatsächlich überlässt Tate den Jungs auch mal das Rampenlicht. So könnte der Frontmann jetzt einfach ein Best Of-QUEENSRYCHE-Programm abspulen, und niemand würde enttäuscht nach Hause gehen. Aber das ist nicht der Plan dieser Tour mit dem Namen "The Whole Story Acoustic Tour", zumal sicher nicht alle Lieder akustisch adäquat umsetzbar sind. Zwar gibt es nur einen einzigen Song im regulären Set, der nicht aus seiner QUEENSRYCHE-Zeit stammt, aber die Auswahl ist dann doch überraschend und anders. Anstatt der großen Smasher folgen eher weniger beachtete Lieder, teilweise sogar Bonustracks, die sicherlich nicht jeder kennt. Beispielsweise 'Until There Was You', das erst 2006 auf dem Re-Release von "Q2K" als Bonustrack erschienen ist, und das ich auch nicht kenne, denn ich finde "Q2K" schrecklich, also habe ich die Neuausgabe nicht gekauft. Zugegeben, das Lied ist unspektakulär, dafür ist aber 'Chasing Blue Sky', ebenfalls nur als Bonustrack der "Hear In The Now Frontier" erschienen, ein beachtlicher Song. Und so reiht Tate ungewöhnliche Lieder an Huts wie 'Silent Lucidity', 'The Lady Wore Black' und 'Take Hold Of The Flame', wobei erstaunlicherweise das Stück 'Blood' vom "Tribe"-Album zu meinem Highlight avanciert. Die Band und Geoff Tate haben so viel Spaß bei dem sich ekstatisch steigernden Stück, dass ich meine, es hätte den Schlusspunkt unter den Auftritt setzen sollen, statt inmitten des Sets zu stehen.

Erwähnenswert ist auch, dass sich das Stück 'The Fight' von Tates aktueller Band OPERATION: MINDCRIME, die er im Verlauf des Sets als Projekt bezeichnet, ausgezeichnet in den Abend einfügt. Wie überhaupt Band, Publikum und Atmosphäre entspannt und gelassen sind. Geoff Tate erzählt einige Geschichten und erwähnt auch seine ehemalige Band QUEENSRYCHE mehrfach, wobei ich nicht den Eindruck habe, dass er noch immer Animositäten hegt. Er stellt sich selbst in den Mittelpunkt, ist humorvoll und souverän und führt nach zwei Stunden den Abend professionell wir auch mit einem persönlichen Touch zu einem schönen Ende. Vorher wurde aber endlich, endlich dem Überflieger-Album "Operation Mindcrime" gehuldigt. Ein Fan im Publikum, der ein altes Tourshirt von 1988 oder 1989 trägt, wird entsprechend gewürdigt, und anschließend erzählt Tate, dass das Album sich anfangs gar nicht verkaufte, bis MTV sich seiner annahm und über das Video dem Album überhaupt erst aus den Startlöchern half. 'I Don't Believe In Love' und 'Eyes Of A Stranger' versetzen die QUEENSRYCHE-Fans in Verzücken. Die Zugabe mit dem DROPKICK MURPHYS-Cover 'I'm Shipping Up to Boston' reißt nochmal alle mit, bevor der Abend mit der seltsamen Wahl 'Around the World' von "Dedicated To Chaos" zu Ende geht.

Ich hatte viel erhofft und wenig erwartet, und die Realität lag irgendwo dazwischen. Natürlich fehlten zahlreiche Hits, und auch einige Tracks, die QUEENSRYCHE auf ihrer 2011er Aktustik-Tour gespielt hatten, fehlten heute. Dafür rückten ungewöhnliche Stücke in die Setlist, mit denen ich nicht gerechnet hatte und die den Abend weniger euphorisch, aber dafür viel spannender gestalteten. Diese unerwarteten Songs konnten zudem fast durchgehend glänzen, deutlich mehr als sie dies auf den jeweiligen Alben vermögen. Geoff Tate ist halt doch einer der besten Metalsänger der Welt. Selbst wenn er keinen Metal macht.
Setliste: Walk in the Shadows, Another Rainy Night (Without You), Some People Fly, Jet City Woman, Chasing Blue Sky, Bridge, Until There Was You, Out of Mind, Silent Lucidity, The Fight, Blood, Take Hold of the Flame, The Lady Wore Black, Hundred Mile Stare, I Don't Believe in Love, Eyes of a Stranger, Zugabe: I'm Shipping Up to Boston, Around the World

Redakteur:
Frank Jaeger

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