HEILUNG, ZEAL & ARDOR, MYRKUR - Gelsenkirchen

16.08.2023 | 16:30

30.07.2023, Amphitheater

Petrus, lass das!

HEILUNG kündigt sich an. Der Hype um die deutsch-dänisch-norwegische Nordic-Ritual-Band ging ein wenig an mir vorbei, offenbarte sich mir aber, als klar war, dass diese in ihrer Konzeption und Ausrichtung doch einzigartige Band die heiligen Bretter des Gelsenkirchener Amphitheaters komplett ausfüllen soll. Mit im Gepäck sind MYRKUR und ZEAL & ARDOR. Und wie noch nie zuvor bin ich so grünschnäblig zu einem doch sehr denkwürdigen Konzertabend gefahren.

Es hätte so schön sein können: terminlicher Hochsommer, Sonntagabend und ein Freiluftkonzert. Und wenn man am Folgetag erst später im Büro antanzen muss, wächst die Vorfreude doch allmählich, obwohl ich ehrlicherweise von den drei Bands, die heute im Amphitheater Gelsenkirchen auftreten sollen, noch nicht viel mitbekommen habe. HEILUNG ging komplett an mir vorbei, von MYRKUR selbst habe ich auch erst wenige Töne gehört und für ZEAL & ARDOR fehlte mir schlichtweg die Zeit – doch das, was ich bisher von Manuel Gagneux und Co. gehört habe, hat mich enorm gefesselt, sodass diese hochatmosphärische Mischung aus Gospel und Black Metal doch der ausschlaggebende Punkt war, mich heute ins Auto Richtung Gelsenkirchen zu setzen.

Doch dann kommt der kleine Mistkerl namens Petrus und reißt die Wolkendecke auf. Pünktlich bei der Ankunft tröpfelt es langsam, doch glücklicherweise haben wir einen Regenschirm parat. Und den sollten wir auch brauchen, denn die Schlange jener HEILUNG-Faszinierten und Anhänger stimmungsvoller Besonderheiten reicht bis zur Bushaltestelle vor dem Parkplatz. Puh. Schritt und für Schritt gehen wir zum zweiten Eingang und werden ob des Versuchs belohnt. Doch dann die Hiobsbotschaft: keine Regenschirme erlaubt! Diese dürfen dann quasi weggeworfen werden.

Angekommen im Innenfeld stellt sich ein fremdes und zeitgleich vertrautes Gefühl des Nach-Hause-Kommens ein, sorgt doch Jahr für Jahr das "Rock Hard"-Festival an genau diesem Standpunkt für unvergessliche Festivalerlebnisse. Zahlreiche Imbissbuden – für nahezu jeden Geschmack ist hier gesorgt – und ein Merch-Stand sind auch heute am Platze, sodass zumindest das Gefühl des Festivals hochkommt. Für einen Abend scheint hier heute jeder gut verpflegt zu werden. Es tröpfelt langsam weiter und allmählich ziehen dichte Wolkendecken an das Amphitheater. Nicht nur das drohende Unwetter beeindruckt, sondern auch die Masse an Menschen, die zum einen schon früh bei MYRKUR Platz nehmen und zum anderen außerhalb auf Einlass warten.

So freuen wir uns auch auf stimmungsvolle Töne von Amalie Bruun, die als MYRKUR schon seit rund zehn Jahren ihrer skandinavischen Folklore ein paar Black-Metal-Vibes untermischt. Das passt zum heutigen – drücken wir es noch vorsichtig aus – atmosphärischen Wolkenwetter doch gut: Die Dänin profitiert von einem guten Klang, schon sehr vollen Reihen und dank 'Ramund', 'Fager Som En Ros' und dem hingebungsvollen 'Leaves Of Yggdrasil' auch einem Auftakt nach Maß. Generell strahlt MYRKUR einerseits durch ihren Klargesang eine gewisse Ruhe aus, hat allerdings auch ob des integrierten Blackgazes einige ausbrechende Aha-Momente am Start, die das Amphitheater wenngleich auch nur kurz aus der Folklore-Trance aufwecken. Da passen 'Harpens Kraft' und das abschließende 'Ella', nach dem Amalie viel Applaus von den Rängen bekommt, auch wie die Faust aufs Auge. Und ehe sich der Folk-Ausflug dem Ende neigt und die Musikerin ihre Instrumente zusammenpackt, bahnt sich schon die nächste, bedrohliche Wolkenfront an. Und die bringt auch wesentlich mehr Regen mit.

Trotzdem wächst meine Vorfreude ob des kommenden Acts, bin ich leider zu spät auf dieses einzigartige, besondere Projekt aufmerksam geworden. Gegen 20:15 Uhr Primetime ertönt ein lautes Intro und mit Blick auf die trotz Regens proppenvollen Ränge, die gebannt und fasziniert Richtung Bühne starren, bin ich nicht der einzige, der sich wie ein Flitzebogen gespannt auf ZEAL & ARDOR freut. Selbstverständlich steht das äußerst starke, selbstbetitelte Drittwerk aus dem Vorjahr im Fokus der Setliste und garniert mit jeder Menge Power, die Manuel Gagneux und seine wilde Horde an den Tag legen, und der einen oder anderen "Devil Is Fine"- und "Stranger Fruit"-Perle, ist das wetterbedingte Ärgernis schnell in den Wind geblasen. Mehr noch: Die kräftigen Winde, die einsetzende Düsterkeit und diese graue Wolkenwand im Hintergrund der Bühne sorgen für eine spannende Aura, die wie gemalt für die kommende Stunde zu sein scheint.

Mit sympathisch kurzen Ansagen gibt Projektkopf Manuel ab der ersten Minute Vollgas und man merkt im Zuge der Songs, nicht nur wie viel Energie alle Beteiligten haben und welche Magie sie mit ihrer Musik auf das Amphitheater ausstrahlen, sondern auch wie gut sich das sehr stürmische "Zeal & Ardor" mit dem Material der ersten beiden Alben vermischen lässt, welch wunderbare und in höchstem Maße faszinierende Synergie entsteht. Mit 'Church Burns' und dem sehr naheliegenden 'Götterdämmerung' startet die Messe: Ein drückender Sound, eine Atmosphäre nicht von dieser Welt und ein Publikum, das sich auch von 'Blood In The River' und dem starken 'Don't You Dare' verzaubern lässt, ehe ZEAL & ARDOR den Bogen wieder zum aktuellen Album mit 'Run' und 'Death To The Holy' spannt.

Meine Bewunderung für die musikalischen Fähigkeiten Manuel Gagneux' und generell ZEAL & ARDORs wächst von Minute zu Minute, als hätte sich mir eine neue Welt aus Gospel, harschem Black Metal und stimmungsvollen Elektro-Sounds offenbart. Beim Debüt-Titeltrack singen die ersten Reihen mit, lassen sich wie ich in den Bann ziehen und bevor uns mit 'Baphomet' die Band in den Feierabend entlässt, sorgt das ebenfalls neuere 'Feed The Machine' für einen Atmosphärenknall, der mich persönlich dazu veranlasst, in den darauffolgenden Tagen nichts anderes als ZEAL & ARDOR zu hören. Na, wenn das mal keine perfekte Mischung aus Musik, Energie und Atmosphäre ist. Noch immer total geflasht von ZEAL & ARDOR hört es allerdings partout nicht auf zu regnen.

Das ist generell bei Konzerten nicht schlimm, wenn sie a) in einer Halle stattfinden, man b) Möglichkeiten des Unterschlupfs hat oder c) einen Regenschirm mit an der Hand hat. Da uns alle drei Punkte an diesem Abend leider nicht in die Karten spielen, müssen wir nach drei, vier Songs des eigentlichen Haupt-Acts HEILUNG heute das Weite suchen. Liebe Leser, das tut mir an dieser Stelle wirklich leid, doch irgendwann wird die wetterbedingte Ungemütlichkeit zu viel des Guten.

So haben sich im Vorfeld sehr viele Zuschauer auch optisch auf den HEILUNG-Gig vorbereitet, tragen Trachten, die an die Eisen- und Wikingerzeit erinnern, sind auffällig geschminkt und voller Vorfreude. Auch die fortgeschrittene Dunkelheit und eine aufwändige Bühnendekoration geben dem Gig anfangs einen stimmungsvollen Rahmen. Und ab dem startenden 'In Majdjan' entfachen Kai Uwe Faust, Maria Franz und Christopher Juul als HEILUNG auch eine Aura, die einen gewissen Teil des Publikums in Trance versetzt. Doch bevor das heutige Haupt-Spektakel richtig an Fahrt aufnehmen kann, treten wir schweren Herzens nach 'Alfadhirhaiti' und mit dem folgenden 'Kriegsgaldr' im Ohr den Heimweg an. Viele Fans hingegen lassen sich nichts anmerken und sind in einem HEILUNG-Zauber gefangen – euch gebührt mein Respekt, zumal man an einem 30. Juli im Jahre 2023 auch nicht solch einen wetterbedingten Strich durch die Rechnung einplant.

Trotzdem hat mich das, was ich gesehen habe, sehr beeindruckt – allen voran ZEAL & ARDOR, nach dem Act lecke ich mir auch noch Tage darauf die Finger: im höchsten Maße faszinierend, einnehmend und gefühlsecht. Und fernab vom "Rock Hard"-Festival muss ich sagen, dass sich das wunderbare Amphitheater auch für reguläre Konzerte hervorragend eignet. Nur ein kleiner Tipp beispielsweise für die nächstjährige "Klash Of The Ruhrpott"-Sause mit KREATOR, SODOM, DESTRUCTION und TANKARD: Lasst uns im Ausnahmefall zumindest die Regenschirme! Bitte!

Redakteur:
Marcel Rapp

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