HYPOCRISY - Berlin

27.01.2010 | 11:36

25.01.2010, Columbia-Club

Sie haben ihre Tour mit den Worten "Long Time, No Death" angekündigt. Doch jetzt ist der Tod wieder da. HYPOCRISY. Ein nicht immer befriedigender, aber auch seltsamer und nicht zuletzt bemerkenswerter Abend.

Minus elf Grad draußen. Und drinnen nur rund 400 Fans bei HYPOCRISY. Der mehr als 800 Menschen fassende Saal des Berliner Columbia-Clubs wirkt an manchen Stellen äußerst geräumig. Hat der Frost selbst Mosher mit Schweden-Faible lieber ihre Füße auf die Couch legen lassen? Egal. Hauptsache, der Peter Tägtgren schreit: "This is WAR!" Tusch! Der Armageddon-Sound von 'Killing Art' bläst in die Ohren - einer der Höhepunkte des Konzerts von HYPOCRISY an diesem Montag in Berlin.

Es ist ein nicht immer befriedigender, aber auch seltsamer und nicht zuletzt bemerkenswerter Abend. Das fängt bei HATESPHERE an, die als eigentlich angesagte Vorband schlicht nicht da sind. Nur ein Hinweis auf dem Plakat zeigt die Abstinenz der Dänen an. Wegen anhaltender Rückenschmerzen hat der Drummer der Band, Dennis Buhl, kurz vor der Tour das Reise-Handtuch ins Klo geschmissen. Shit. Dafür aber machen SURVIVORS ZERO aus Finnland klar, dass es auch heute noch Kapellen gibt, denen die Anbetung des Kreuzes fern und ein fetter Death-Metal-Sound sehr viel näher liegt. Coole Melodielinien verleihen ihrem Todesblei den nötigen Groove. Und dazu shoutet Ex-DEATHCHAIN-Frontmann Tommi Virranta wie eine - berlinerisch ausgedrückt - "janz fiese Type". Für Unterhaltung sorgt zudem das schicke KREATOR-Cover 'People Of The Lie'. Am Ende löst der als "a little bit melo" angekündigte Smasher 'Embrace The Inferno' weiteren Jubel im Publikum aus. Nachdem die Band etwa 19.00 Uhr angefangen hat, ist es nun eine Stunde später.

Und nach der Umbaupause spielen gleich HYPOCRISY. Sie haben ihre Tour mit den Worten "Long Time, No Death" angekündigt. In der Tat liegt ihre letzte Clubtour sechs Jahre zurück. Nun sind sie mit ihrem neuen Werk "A Taste Of Extreme Divinity" zurück, der Gig in Berlin ist der zweite ihrer Europatour. Die selbsternannte "legendäre Horde" verlässt sich nach den coolen Frischlingen 'Valley Of The Damned' und 'Hang Him High' auf Bewährtes. Ewige Ohrwürmer wie 'Fractured Millenium' oder 'Eraser' füllen den Raum. Solche Songs wollen die Fans hören, diese Mischung aus bombastischen Gitarren, abendfüllenden Keyboards und natürlich der immer noch geilen Gröhlkeif-Stimme von Peter Tägtgren. Der 41-Jährige wirkt allerdings - abgesehen davon, das seine Stimme immer noch ätzt wie Säure und beißt wie ein Löwe - schon in so einem frühen Stadium der Tour etwas erschöpft von den Untiefen des Metal-Lebens. Er wirkt einfach längst nicht mehr so agil wie noch vor Jahren, der Stress und der Alkohol haben sein Gesicht gezeichnet. Das ist besonders zu sehen, wenn er seine berüchtigten Grimassen macht. Und er macht viele. Sei es bei einem formidablen Schlagring-Medley mit 'Pleasure Osculum' und 'Penetralia' oder bei dem das Death-Metal-Herz betörenden Melo-Gemisch von 'Apocalypse' und 'The Fourth Dimension' gleich im Anschluss. Diese Melodien sind magisch. Genau wie es dieser ruppige Geniestreich 'Killing Art' oder das groovige Wunder 'A Coming Race' sind. Manchmal möchte einfach die Blutader in Richtung Gehör zerspringen, um nie wieder andere, so alltägliche Töne ertragen zu müssen.

Das Publikum kommt in Fahrt und Peter Tägtgren wird langsam, aber sicher redselig: 'Let The Knife Do The Talking' kündigt er als "Love Song" an. Und sagt brav "Danke" zu der Beifallswelle, die ihm entgegenschallt. Als letzte Asse im voluminösen HYPOCRISY-Ärmel erscheinen Songs wie 'Fire In The Sky', natürlich 'Roswell 47' und wie immer zum Schluss das alles überragende 'The Final Chapter'. Kritik an der Songauswahl ist also fehl am Platz: Denn wie lange schon waren HYPOCRISY nicht mehr live unterwegs?

So bleibt in Berlin neben dem Ärger, dass bereits gegen 22.30 Uhr Schluss ist, zugleich die Freude, dass HYPOCRISY noch immer eine der geilsten Death-Metal-Bands überhaupt sind - und die Sorge angesichts der Augenringe und Falten von Peter Tägtgren, ob sich der Kerl übernimmt. Aber diese Bedenken kennt der Schwede ja wohl schon seit Jahren.

Redakteur:
Henri Kramer

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