IGNITE, SLAPSHOT, THE DROWNES und THIS MEANS WAR - München

12.12.2024 | 12:16

08.12.2024, Backstage

Ein fulminanter Hardcore-Abend mit zwei Newcomern, einer Legende und den besten Melocorlern unserer Zeit!

Sonntag Abend, es regnet. Das hält uns, also mich und Fotograf Noah, natürlich nicht davon ab, nach München ins Backstage zu fahren, denn da spielt heute meine absolute Lieblings-Core-Kapelle auf. Dazu später mehr. Wie in der Coreszene üblich, reist man wieder mit mehreren Begleitern durch die Lande. Als wir eintreffen, ist es in der Halle noch recht leer, dabei ist es beinahe 19 Uhr. Die anderen kommen doch wohl noch, oder?

Den Anfang macht THIS MEANS WAR aus Belgien. Mir sind die Jungs bislang kein Begriff, aber das ist ja das Schöne an solchen Touren, man kann neue Bands entdecken. Schon das Aussehen der Vier deutet eher auf Punk hin als auf Hardcore und ich werde nicht enttäuscht, obwohl das Intro, eine Thekenchor-Version eines SAVAGE GARDEN-Hits, erst für hochgezogene Augenbrauen sorgt. Aber eigentlich ist das nur passend für eine Band, die in direkter Tradition der alten Punk- und Oi-Bands direkt in die Füße musiziert. Wobei ich zugeben muss, dass ich mir anfangs etwas mehr Drive wünsche, aber ich werde erhört und nach zwei, drei Liedern nimmt das Ganze deutlich an Fahrt auf. Die Musiker sind keine Jungspunde mehr, sie haben wohl schon in der einen oder anderen Kapelle gelärmt, sodass sie eine gute Anheizer-Show abliefern, inklusive eines Liedes mit irgendwas über Maradona. Egal, mitgrölen und Spaß haben. Für 30 Minuten ein guter Opener, dann muss ich aber zugeben, dass ich am Ende auch genug habe.

Die nächste Truppe wartet schon, 15 Minuten später ist es Zeit für THE DROWNS aus Seattle. Aber Entwarnung, natürlich kein Grunge, selbst Seattle ist über dieses Thema hinweg, stattdessen eine wilde Mischung aus Punk und Rockabilly. Musikalisch witzig, mit einem Saitenschrubbenden Frontmann Aaron Rev, versprüht man noch mehr Energie als die vorherige Band. Die Working-Class-Punkrocker sind gekommen, um zu unterhalten, was Aaron auch mit seinen Kommentaren tut, so nennt er das reservierte Münchner Publikum die verschlafendste Menge, die sie bisher auf Tour hatten, und bekommt so etwas Bewegung ins Geschehen. Auch schön: "We are great. If you don't like us, you can kiss my ass!" Jau, die Attitüde stimmt, während man im Einheitstempo mit dem Bleifuß am Blech durch Hymnen wie 'Ketamin & Cola' oder 'Live Like Yer Dyin'' rast. Dazu eine ordentliche Attitüde der Marke "wir werden immer Rassisten und Faschisten hassen", womit man bei der Crowd eine offene Drehtür einrennt. Klar, alle vier Bands haben etwas zu sagen und agieren auf ähnlichen Wellenlängen, das Aufkommen der Rechten in den verschiedenen Ländern lässt sie keinesfalls kalt. Nach der halben Stunde THE DROWNS ist die Crowd angewärmt. Gut gemacht, Jungs.

Eine veritable Hardcore-Legende steht nun auf dem Programm: SLAPSHOT. Wir feiern nämlich mehrere Jubiläen, darunter vierzig Jahre SLAPSHOT. Die Band um das letzte verbliebenene Gründungsmitglied Jack Kelly hat aber auch eine schlechte Nachricht dabei, denn man wird im nächsten Jahr den Hardcore-Hammer an den Nagel hängen. Kelly berichtet, er sei jetzt 62 Jahre alt, es wäre Zeit, die SLAPSHOT-Ära zu beenden. Zu diesem Zeitpunkt ist es tatsächlich recht voll geworden, zwar ist genug Platz vorhanden, um einen schönen Pit zu formen, aber ansonsten geht man schon dezent auf Tuchfühlung im Publikum. Das Durchkommen zur Theke ist nicht ganz einfach, genauso rein oder raus aus dem Pit.

SLAPSHOT hat in der Bandgeschichte acht Studioalben abgeliefert und eine noch größere Anzahl an EPs, wobei ich mit den meisten der Rundlinge nicht vertraut bin. Aber seien wir ehrlich, das ist auch gar nicht nötig, denn die Bostoner kennen nur ein Ziel, nach vorne, und nur eine Geschwindigkeit, um dorthin zu kommen. Dabei wird tatsächlich kein einziges Stück des letzten Albums aus dem Jahr 2018 mit dem schönen Titel "Make America Hate Again"gespielt. Warum nur? Stattdessen gibt es eine Riege Bandklassiker, die von 'Watch Me Bleed' bis zum abschließenden 'Step On It' reicht. Die Fans weren komplett bedient, inklusive zweier Coverversionen von THE SMITHS und NEGATIVE FX. Viele T-Shirts der Band im Publikum und eine beachtliche Anzahl an textsicheren Besuchern zeugen von dem Status, den die Burschen in der Szene haben. Aber 16 Stücke und 45 Minuten Spielzeit, zumeist im Vollgas, fordern dann auch Tribut, denn wie Kelly sagt, spielen sie Hardcore, keine Breaks, kein Scheiß, einfach durch. Und danach einfach: "Tschüss". So geht eine HC-Legende.

Setliste: Watch Me Bleed; I Told You So; No Friend Of Mine; I've Had Enough; Bigmouth Strikes Again (The Smiths cover); Old Tyme Hardcore; No Time Left; In Your Face; Might Makes Right (Negative FX cover); 16 Valve Hate; What's At Stake; 108; Hang Up Your Boots; Back On The Map ; Chip On My Shoulder; Step On It

Jetzt ist es warm. Kaum zwanzig Minuten später geht es aber bereits weiter mit dem Headliner, mit meinen Lieblings-Corlern IGNITE. Die Westküsten-Hardcore-Helden sind das Gegenteil von SLAPSHOT, die Gitarre ist promintenter, die Melodien stehen im Vordergrund, nicht nur die Energie. Diese bringt IGNITE aber ebenso auf die Bühne. Unter Applaus kommen zuerst Gründer und Bassist Brett Rasmussen und Gitarrist Nik Hill auf die berühmten Bretter und spielen ein paar Sekunden auf ihren Instrumenten herum, bis der seit dem letzten Album das Mikrophon schwingende neue Sänger Eli Santana dazustößt. Dann geht es mit 'Bleeding', 'Are You Listening' und 'Let It Burn' zur Sache. Zweimal Speed, einmal etwas mehr Reife, aber dreimal ganz große Melodien, denn dafür hat die Band einfach ein unnachahmliches Händchen.

Wie auch schon die Band zuvor hat IGNITE etwas mitzuteilen. Hier gibt es keine Liebeslieder, sondern politische Statements, Meinungen und Finger-in-die-Wunde-Legen, in Form von 'Anti-Complicity Anthem' und 'Poverty For All'. Letzteres richtet sich gegen die kommunistische Unterdrückung Ungarns durch die UDSSR, was dem vorherigen Sänger Zoli Teglas aus Ungarn geschuldet ist - und ist dabei eine absolute Überhymne! Die Stücke sind zumeist unter drei Minuten lang, dabei aber reif und mit tollen Gitarrenriffs versehen, sodass IGNITE die Brücke spannen kann zwischen Hardcore und klassischem Hardrock und Metal.

Zwischen den Stücken spielen Brett und Nik immer mal wieder auf ihren Instrumenten herum, Ansagen werden kurz gehalten, bis auf eine größere Rede des Gitarristen, die aber leider in einer Rückkoppelung erstickt wird. Aber die Vier sind ja auch nicht zum Reden hier! Im Galopp geht es durch die vier Alben und zwei EPs umfassende Diskographie, ein Strauß bunter Melodien, die jeden Schlagerfuzzi zum sofortigen Berufswechsel bringen. Dazu kommen heute zwei Coverversionen, einmal das UNIFORM CHOICE-Lied 'Screaming For Change', die ein großer Einfluss für die Band IGNITE gewesen ist, und das ungewöhnliche 'Sunday Bloody Sunday' von U2 in der hardcorigen Version.

Wie schon die Band zuvor bedankt man sich auch bei den mitfahrenden Genossen und gegen Ende, beim abschließenden Hammer 'Fear Is Our Tradition', kommen Musiker von SLAPSHOT und THE DROWNS mit auf die Bühne und Sänger Santana lässt sich vom Publikum durch die Halle tragen. Dann ist Schluss, doch die Musiker kommen noch einmal zurück. Zwei Stücke haben sie noch. Für das erste wechselt Sänger Eli an die Gitarre und Nik übernimmt das Mikrophon. Es handelt sich um 'Banned in D.C.' von den BAD BRAINS, die in Europa eher unbekannt sind, aber in den US-Hardcore-Kreisen einen großartigen Ruf genießen. Eli stelt sich als schwermetallischer Saitenshredder heraus, der tatsächlich ein ausgedehntes Gitarrensolo zum Besten gibt! Zum Schluss fungiert dann der Akustiksong 'Live For Better Days' als Rausschmeißer.

Nach siebzig Minuten ist wirklich Schluss. Interessant ist die heutige Setliste, auf der vom neuen Album nur drei Stücke erscheinen, darunter nicht der Hit 'State Of Wisconsin', und von Album Nummer drei, "A War Against You", tatsächlich überhaupt kein Lied erwählt wird! Ja, zugegeben, da ist man weniger rasant unterwegs, aber IGNITE ist auch nicht mehr nur eine Hardcore-Band, sondern schielt auch in den Alternative Rock, was ihnen gut zu Gesicht steht.

Setliste: Bleeding; Are You Listening?; Let It Burn; Anti-Complicity Anthem; Poverty For All; Aggression; The Butcher In Me; Know Your History; In My Time; Veteran; This Day; Sunday Bloody Sunday; A Place Called Home; Screaming For Change; Embrace; Run; Fear Is Our Tradition; Zugaben: Banned in D.C.; Live For Better Days

Diese Tour feiert auch, dass SLAPSHOT die unbekannte Band IGNITE vor dreißig Jahren mitgenommen hat nach Europa! Dementsprechend ist wohl auch die Songauswahl entstanden, wobei auch vor zwei Jahren auf dem SUMMER BREEZE eine ähnliche Setliste gespielt wurde. Seltsam, aber mal sehen, wohin die Reise gehen wird, wenn man noch weiter reift als Musiker und als Komponist. So endet ein schweißtreibender Abend, von dem ich noch eine weitere Erkenntnis mitnehme: Auch ein Hardcore-Konzert kann eine ordentliche Länge haben, siebzig Minuten ist ein echter Headliner-Auftritt, ohne dass die Qualität leidet.

Fotocredit: Noah-Manuel Heim

Redakteur:
Frank Jaeger

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