INFERNO METAL FESTIVAL - Oslo (NO)
14.04.2005 | 07:4424.03.2005, Rockefeller Music Hall
Die erste Band am Inferno-Samstag erspare ich mir: GOATLOARD können mich ein anderes Mal überzeugen. So richtig los geht es eh erst mit NATTEFROST und einer weiteren unvergesslichen Bühnenshow: zwei in knappe schwarze Lacklederoutfits gehüllte, mit Kunstblut besudelte und extrem gut figurierte schwarzhaarige Schönheiten peitschen abwechselnd auf den Sänger und den nackten Vrangsinn an der Gitarre ein. Bizarrer geht es kaum: der fette Gitarrist, welcher lediglich einen Slip trägt, wird von der unwahrscheinlich gut aussehenden Tänzerin unentwegt umgarnt. Mal simuliert sie Analsex mit ihm, indem sie die Rolle des Mannes übernimmt, mal räkelt sie sich einfach nur auf seinem breiten mit Farbe beschmierten Rücken. Auf der anderen Bühnenseite wird Høst, dessen Gesicht einige als Sänger der Bergen-Band TAAKE kennen, ähnlich bearbeitet. In der Mitte steht NATTEFROST in Stringtanga, Lackstiefeln und Netzstrumpfhosen, die Brust von einem schwarzen Lackleder-BH bedeckt. Das ganze Szenario ist dazu in blutrotes Licht getaucht, der Rest der Bühne bleibt schwarz. Nur Nebelschwaden ziehen immer wieder darüber hinweg. Musikalisch beschränkt sich der extrovertierte Frontmann dieses Mal auf den Gesang und eine solide Leistung an der Gitarre. Es gibt Songs von "Blood And Vomit" und auch neues Material, welches sich viel mehr punkig-rockend als schwarzmetallisch anhört. NATTEFROST goes 80ies? Dem Mann ist vermutlich alles zuzutrauen. Irgendwie kann man ihm auch nicht böse sein, wenn er die Schnauze voll hat immerzu dasselbe zu machen. Er kann ja seine Kariere nicht ausschließlich auf Pissen und Kotzen ausrichten. Evil bleibt er dennoch.
Die nächste Black-Metal-Formation erlebt man treppabwärts im John Dee: die Griechen NAER MATARON spielen Schwarzmetall der alten Schule. Übersät mit Spikes, Nietengurten, Patronengürteln und Kettenhemden erfüllen sie alle denkbaren Klischees. Auch musikalisch treten sie keine Revolution an. Dennoch lässt sich ich ihr Live-Set genießen, denn man merkt ihnen an, dass sie es zumindest ehrlich meinen.
Heraus stechen wieder einmal GREEN CARNATION, und zwar nicht durch eine kunterbunte Bühnenshow, sondern durch eine überragende musikalische Leistung. Mit den neuen Songs zeigen sie, dass das kompositorische Repertoire von Multitalent Tchort (CARPATHIAN FOREST, BLOOD RED THRONE, Ex-EMPEROR) noch lange nicht erschöpft ist. Die Band macht Rockmusik der Spitzenklasse und ist immer wieder ein echtes Live-Erlebnis.
Setlist GREEN CARNATION:
Crushed To Dust
The Everlasting Moment
Writings On The Wall
The Quiet Offspring
Rain
Dead But Dreaming
Light Of Day, Day Of Darkness (5 min.)
Myron & Cole
Just When You Think It's Safe
Danach sind TSJUDER an der Reihe. Da ich sie schon mal zusammen mit CARPATHIAN FOREST auf Tour gesehen und für ausnahmslos gut befunden habe, verzichte ich nur schweren Herzens darauf mir ihren Auftritt im John Dee anzuschauen.
Doch die Neugier auf eine andere norwegische Black Metal-Band ist größer: Lange ersehnt und mit hohen Erwartungen bedacht ist die Rückkehr von GEHENNA nach vierjähriger Bandpause. In der Zwischenzeit war Gitarrist Sanraab mit FORLORN aktiv. Nun gibt es mit "WW" ein neues GEHENNA-Album, wovon sie heute einige Songs spielen. An Geschwindigkeit und Aggression hat die Band seit dem letzten Album "Murder" nichts verloren. Allerdings sind die neuen Sachen etwas zugänglicher, roher und einfacher. Auch kehrt man zum traditionellen Corpsepaint zurück, welches die Band in der "Murder"-Periode ablehnte. Verdammt düster gestaltet sich die Show, es wird fast nur mit weißen Lichtkegeln oder Strobos gearbeitet. Es entsteht eine Atmosphäre wie auf dem Schlachtfeld, wo der Suchscheinwerfer zum tödlichen letzten Licht werden kann. Um die Angst ums Überleben und die extremen Gefühle, welche der Mensch im Krieg entwickelt, geht es auf dem neuen Album. Der Song 'Werwolf' handelt zum Beispiel davon wie es ist als einziger Überlebender im Schützengraben zu liegen, erdrückt von toten Körpern, die aber zugleich Schutz vor dem Kugelfeuer sind. Sanraab und Sänger Dolgar versetzen sich voll und ganz in die Rolle des Soldaten zwischen Leben und Tod hinein, wenn sie Musik schreiben. Genauso ernst geht die Band auch live heran. Während dem knapp einstündigen Gig entgleitet ihnen kein Lächeln. Die aggressive und klaustrophobe Stimmung der Musik wird lebendig und von so manchem Fan in der ersten Reihe headbangend miterlebt.
Nach GEHENNA unterliegt man bereits einer sehr dunklen Stimmung, doch der vorletzte Act beim Inferno schafft es noch mehr Düsternis durch schier Magen verdrehende Frequenzexperimente zu kreieren. SUNNO))) versetzen im Keller vom John Dee mit ihren tief gestimmten Gitarren die Gedärme des Publikums in Bewegung. Sie schöpfen den gesamten Resonanzraum auf der kleinen Bühne aus, indem sie die Gitarren elende lang ausvibrieren lassen. Am Mischpult treibt der berüchtigte Ohrenbetäuber Stephen O'Malley sein sinistres Unwerk. Er ist wie der Rest der Band in eine Mönchskutte gehüllt. Mit abwesendem Gesichtsausdruck dreht er an den Knöpfen, die schon einmal Frequenzen erzeugt haben, von denen Fans Nasenbluten bekommen haben. Heute bleiben die Töne am Boden; Attila Csihar am Mikro brummt mit. Er trägt eine dunkelrot umrahmt Kutte. Sein kreideweiß geschminktes Gesicht mit dem großen roten Punkt mitten auf der Stirn verschwindet fast unter der riesigen Kapuze auf seinem Kopf. Seine Stimme ist kaum zu hören unter dem wahnsinnig lauten Gitarrenspiel der SUNNO)))-Typen. Lange kann man das nicht aushalten. Entweder man dreht völlig weg und verlässt die Festivalrealität während des Auftritts der fünf Sonderlinge zumindest mental durch totale Hingabe an die sonderbaren Tonfolgen, oder man geht einfach. In jedem Fall ist ihr Gig beinahe das Finsterste, was es beim Inferno zu erleben gibt. Im John Dee bekommt man auf einmal das Gefühl in einer alten modrigen Kirche zu stehen. Die wahren Herren der Finsternis aber kommen erst noch.
Alle Lichter sind erloschen: Es ist stockfinster im Rockefeller. Das Publikum ist mucksmäuschenstill. Gespannt wartet alles auf die Rückkehr einer Legende: DISSECTION. Wilder Applaus bricht erst aus, als Jon Nödtveidt, Gitarrist Set Teitan und drei norwegische Mitglieder der MLO (Misantropic Luciferian Order) auf die Bühne kommen. Mit dem Rücken zum Saal gewandt postieren sie sich in der Bühnenmitte vor einem Altartisch, welcher von schwarzem Tuch bedeckt ist. Währendessen dröhnt aus den Lautsprechern ein für Nicht-Eingeweihte kaum zu verstehendes " Zazas, zazas, nasatanada, zazas…", dem tiefe Bassfrequenzen unterlegt sind, sodass allmählich der gesamte Boden des Rockefellers anfängt zu vibrieren. Das scharfe "Z" und die elf "a" in der schwarzmagischen Formel fressen sich ins Ohr. Die Silben sollen den Abyss öffnen und die dunklen Mächte des Chaos freilassen. Auf dem Altar werden unterdessen von Jon und Set elf schwarze Kerzen und Räucherwerk angezündet. Angeleuchtet von den aufflammenden Kerzen taucht mit einem Mal das große Backdrop mit der "Anti-cosmic Metal Of Death"-Aufschrift und dem überdimensionalen Reaper im Bühnenhintergrund auf. Im Schein der Flammen züngeln Rauchschwaden herauf, welche einen stechenden Patchouli-Geruch verbreiten. Die Spannung wächst. Keiner weiß so recht, was die fünf dunklen Gestalten auf der Bühne vorhaben.
Letztlich verlassen sie wieder die Stage. Eine Weile bleibt es still. Dann endlich ertönt das Intro von 'At The Fathomless Depths'. Als die Band auf die Bühne kommt, bricht wildes Klatschen aus. Noch einmal tief durchatmen und dann heißt es sich in den 'Black Horizons' verlieren. DISSECTION spielen beinahe ihr komplettes Set von der "The Rebirth"-Tour, das bedeutet es gibt alle Songs von "Storm Of The Light's Bane" und daneben die Klassiker vom Album "The Somberlain" zu hören. Bei 'Where Dead Angles Lie' singt das Publikum frenetisch mit. Die aktuelle Single 'Maha Kali' wird ebenfalls sehr gut aufgenommen. Live gespielt hat dieser Song doch viel mehr Power als die CD-Version. Im Prinzip kann man jeden Song der Band herauspicken und ins Schwärmen geraten. DISSECTION geben sich nicht mit halben Sachen zufrieden. In jedes Stück steckt die Band gleich viel Energie, sodass es während dem Konzert keine Schwachstelle gibt. Währenddessen brennen die ganze Zeit die elf Kerzen und werfen hinter vorüber ziehenden Nebelschwaden ein sinistres Licht auf die dunkle Bühne. Chaospowers unleashed!
Erstaunlich ist es zu sehen wie verschieden das Publikum den Auftritt der schwedischen Formation miterlebt. In der ersten Reihe scheint ein Fan komplett auszurasten: mit verdrehten Pupillen, die manchmal ganz unter den Lidern verschwinden, so dass er wie ein Zombie aussieht, bangt er ohne Unterbrechung die ganze Show hindurch. Oben auf der Galerie feuern Fans und Musiker die Schweden kräftig an. Andere stehen dagegen einfach fassungslos oder leicht benommen vor der Bühne und scheinen angesichts der musikalischen Wucht nicht so recht zu wissen wie sie darauf reagieren sollen. DISSECTION spielen wirklich extrem laut und holen noch den letzten Rest aus der Soundanlage. Dazu wirbelt Jon Nödtveidt wie ein Orkan über die Bühne und feuert vom Rand aus die Fans immer wieder zum Mitbrüllen auf. Er bündelt seine ganze Wut und Aggression in den Gesang und das Gitarrenspiel.
Stichwort Gitarre beziehungsweise Instrument: jeder in der Band scheint sein Instrument wie einen kleinen Schatz zu behandeln. Zum Beispiel sitzt Drummer Thomas fast anbeterisch hinter dem Schlagzeug. Mit meist geschlossenen Augen lässt er die Drumssticks auf magische Weise über die Felle wandern. Set Teitan spielt ebenfalls oft mit geschlossenen Augen auf seiner "Black-V". Sein Gitarrenspiel ist perfekt auf das von Jon abgestimmt. Mit Brice haben DISSECTION endlich auch einen würdigen Bassisten gefunden. Nun ist unter den Gitarren auch ein tiefer fünfsaitiger Bass zu hören. Irgendwie lässt sich die Atmosphäre zwischen den einzelnen Bandmitgliedern nur schwer beschreiben. Jeder scheint für sich eine eigene Erscheinung zu sein, jedoch klingen die Songs zusammengespielt besser als jemals zuvor. DISSECTION sind endlich eine echte Band. Was für ein Line-Up!! Davor muss man sich schon fast fürchten, wie es den Gesichtern einiger Musiker im Saal auch abzulesen ist.
Diese Band ist nicht zu stoppen – erst recht nicht, wenn die Bedingungen schlechter werden: nach 'The Somberlain' ist eigentlich noch ein weiterer Song geplant, nämlich der TORMENTOR-Klassiker 'Elizabeth Bathory', gemeinsam mit Attila Csihar. Doch plötzlich gehen im Saal die Lichter an und die PA wird abgeschaltet. Ein besorgter Soundtechniker vom Haus versucht Jon Nödtveidt klar zu machen, dass jetzt Schluss sei. Völlig unbeeindruckt ignoriert der Sänger jedoch jeglichen Versuch die Band vom Weiterspielen abzuhalten und legt los – ohne Mikro. Der PA-Mann muss frustriert die Bühne verlassen. DISSECTION spielen ihre Zugabe in voller Beleuchtung und ohne Soundanlage, sodass 'Elizabeth Bathory' "nur" im rauen Gitarrengewand erscheint. Das Publikum rastet nun endgültig aus und singt lautstark zusammen mit Attila und Jon den gesamten Song mit. Zum Teil übertönt der Gesang sogar den reinen Gitarrensound. Was für ein Moment! Hier wird Heavy-Metal-Geschichte geschrieben. Entgegen aller Vernunft setzt die Band ihren Kopf durch und die Fans erleben am Ende des Inferno 2005 mit DISSECTION ein absolut unvergessliches Konzert. Einen schöneren Abschluss für ein Festival kann man sich gar nicht wünschen!
Setlist DISSECTION:
At The Fathomless Depths
Black Horizons
Frozen
Night's Blood
Maha Kali
Soulreaper
No Dreems Breed In Breathless Sleep
Where Dead Angels Lie
Retribution - Storm Of The Light's Bane
Unhallowed
Thorns Of Crimson Death
Heaven's Damnation
In The Cold Winds Of Nowhere
The Somberlain
Elizabeth Bathory
- Redakteur:
- Wiebke Rost