In Extremo und Fiddler's Green - Koblenz
11.09.2024 | 12:0807.09.2024, Festung Ehrenbreitstein
Sechs Spielleute aus Berlin erobern die Festung.
"Jämmerlich." Ein Wort, das IN EXTREMOs Sänger Micha alias "Das letzte Einhorn" noch oft an diesem Abend sagen sollte. Rein aus Scherz natürlich - ein kleiner Running Gag, wenn die Reaktion des Publikums nicht so ausfällt wie erhofft. Das spielt das Spielchen natürlich hervorragend mit. "Jämmerlich" ist das eigentlich als Abschluss der "Carpe Noctem" Burgentour gedachte Konzert vor der historischen Kulisse der gewaltigen Festung Ehrenbreitstein aus dem 19. Jahrhundert aber ganz und gar nicht, trotz gesundheitlicher Probleme. Aber von vorne.
Die von IN EXTREMO veranstaltete Burgentour hat sich mittlerweile in der alljährlichen deutschen Festivallandschaft etabliert, die Band zieht dabei von einer historischen Lokalität zur nächsten. Die Festung Ehrenbreitstein ist zwar nicht mittelalterlich, sondern aus dem 19. Jahrhundert, wirkt aber durch den Baustil wesentlich älter. Sie wurde nach dem Wirrwarr der napoleonischen Kriege auf Befehl von König Friedrich Wilhelm III. zwischen 1817 und 1828 als Zitadelle in sogenannter neupreußischer Manier auf einem Hochplateau über der Stadt Coblenz (so die offizielle Schreibweise bis 1926) errichtet, überblickt Stadt, Rhein und Mosel und ist Nachfolger der kurtrierischen und 1801 durch die Franzosen gesprengten barocken Festungsanlage, die auf eine Burg um das Jahr 1000 zurückging. Es hat schon ein wenig was von einem Labyrinth - von der Seilbahn über den Rhein kommend muss man sich seinen Weg durch ein System aus Gräben und Tunneln zwischen Geschütztürmen, Mauern, Ravelins und Contregarden suchen, bis man irgendwann vor der Bühne neben der Landbastion steht. Zahlreiche Fans sind vor Ort, sie sind aus ganz Deutschland und auch aus den Nachbarländern angereist. Die vorwiegende Farbe der Kleidung: natürlich schwarz. Viele Kinder sind dabei, was die Band freut - die nächste Generation Fans sei gesichert, meint Micha. Nicht ganz ernst gemeinte, aber doch etwas mahnende Schelte durften sich dann die Kinder, die keinen Gehörschutz aufhatten, oder vielmehr deren Eltern abholen.
FIDDLER'S GREEN ist bei diesem Konzert zu Gast, eröffnet den noch hellen, sonnigen Abend um Punkt halb acht und wird vom Publikum überwiegend wohlwollend empfangen. Die Erlanger Irish-Speedfolk-Band um Sänger Ralf "Albi" Albers darf heute sogar ein etwas verlängertes Set spielen - aus Gründen, die erst im späteren Verlauf des Abends bekannt werden.
Danach folgt eine kurze Umbauphase. Während es langsam dunkel und auf der Bühne alles für den Headliner bereitgemacht wird, holt sich jeder an den gefühlt kilometerlangen Schlangen der Stände nochmal etwas zu trinken, kämpft sich zurück nach vorne, bis - BÄNG - IN EXTREMO mit einem lauten Knall auf der Bühne loslegt. Schon zu Beginn erwähnt Micha, dass sie heute leider nur ein verkürztes Set spielen werden und deshalb FIDDLER'S GREEN länger durfte. Der Grund: Schlagzeuger Specki T.D. geht es echt nicht gut (oder um es mit den Worten der Band zu sagen: beschissen), das Konzert wollten sie aber dennoch nicht absagen. Specki schleppt sich tapfer durch den Abend, die etwas in die Länge gezogenen Pausen zwischen den einzelnen Liedern helfen da sicherlich auch. Die Lutter am Bass, Das letzte Einhorn mit markanter Reibeisenstimme und ab und zu mit Sackpfeife oder Cister, Dr. Pymonte an Harfe und anderen Instrumenten, Gitarrist Van Lange und Flex der Biegsame an Sackpfeife und den Uilleann Pipes geben alles und haben, wie die Fans auch, sichtlich Spaß. Trotz allem fehlt irgendwie hin und wieder die Bühnenpräsenz eines Yellow Pfeiffer mit seiner Nyckelharpa.
Micha wird indes nicht müde, zwischen den Liedern immer und immer wieder das kommenden Freitag erscheinende neue Album "Wolkenschieber" ("das erste seit VIER JAHREN!") anzupreisen - natürlich mit "jämmerlicher" Publikumsreaktion. Von hinterm Schlagzeug schallt sogar ein "Erbärmlich!" hervor - nana, Specki, möchte man da sagen... aber das Publikum lacht. Die Songauswahl des Abends stellt die gesamte Bandbreite der Band dar, vom mit 29 Jahren ältesten Song 'Ai Vis Lo Lop', der überhaupt erst den Anstoß dazu gab, Mittelaltermusik mit Rock zu kombinieren ("Da muss 'ne Gitarre drunter"), bis hin zu den aktuellen Titeln 'Weckt die Toten' und 'Wolkenschieber'. Dazwischen viele Klassiker wie 'Villeman Og Magnhild', 'Liam', 'Sternhagelvoll'. der 'Spielmannsfluch', 'Rotes Haar', oder 'Frei zu sein', um nur ein paar zu nennen. Pyrotechnik gibts natürlich zuhauf, vor allem Flammenwerfer, deswegen gibt es auch keine Fotografen im Graben, die wären bei Konzertende mindestens medium rare gewesen. Eine Ankündigung hatte die Band noch im Gepäck: Im nächsten Jahr wird IN EXTREMO das dreißigjährige Bestehen mit einem großen dreitägigen Festival auf der Loreley feiern.
- Redakteur:
- Michael Vogt