Jethro Tull - Augsburg
24.05.2012 | 20:0219.05.2012, Schwabenhalle
Ein Konzeptalbum - vierzig Jahre - und eine grandiose Show!
In Zeiten, in denen jede drittklassige Band irgendeines ihrer am besten vergessenen Alben komplett vor zwanzig Nasen in einem Club in Schkeuditz aufführt, erregt es offensichtlich nicht mehr die ganz große Aufmerksamkeit, wenn ein Urgestein der Rockszene ein wegweisendes Album wie "Thick As A Brick" aufführt. Anders ist es nämlich nicht zu erklären, dass ich obwohl ich wirklich spät dran bin, problemlos eine Parkplatz an der Schwabenhalle in Augsburg ergattere. "Na, so etwa 1200 Leute" raunt man mir auf Nachfrage zu. Tja, da haben wohl einige Hundert einen großen Fehler gemacht. Doch der Reihe nach.
Kaum habe ich mir noch ein Bier geholt, erklingen auch schon die ersten Töne. Acht Minuten nach acht, perfektes Timing. Ian Anderson in Jeans, der Rest der Band in Trenchcoats. Und noch dazu eine Menge Musiker, Gitarre, Bass, Keyboards, Drums und ein weiterer Sänger, wo sonst drei Leute Krach machen, hat sich der Brite mit der Querflöte gehörig Verstärkung geholt. "Really don't mind if you sit this one out..." Ha, nix gibt's. Auch wenn der Altersdurchschnitt jenseits der Vierzig zu sein scheint und ein bestuhltes Konzert ungefähr soviel Rock 'n' Roll ist wie Käse aus der Tube, es liegt eine angenehme, freudige Spannung in der Luft. Hie und heute sind nur Tull-Fans, denen es nichts ausmacht, kein 'Locomotive Breath' zu hören zu kriegen. Denn heute gibt es "Thick As A Brick". CD 1, Teil eins und zwei, und die aktuelle Fortsetzung desselben. Sonst nichts. Sonst nichts? Mehr ist überhaupt nicht nötig.
Bevor ich ins Schwärmen gerate, muss ich für den Einen oder Anderen vielleicht vorausschicken, dass "Thick As A Brick" im Prinzip das Monty Python-Album von JETHRO TULL ist. Die Idee, dass alle Texte von einem Achtjährigen verfasst wurden, zusammen mit dem aufwendigen Cover, war eigentlich eine Reaktion auf die Annahme, dass der Vorgänger "Aqualung" ein Konzeptalbum gewesen wäre. Dabei ist die Entstehungsgeschichte des Albums auch ein interessantes Kapitel Musikgeschichte, aber das würde den Rahmen hier sprengen. Wen es interessiert, der Möge sich das Interview auf dem Re-Release anhören. Es lohnt sich.
Doch zurück zum Konzert. Noch in den ersten Minuten legen die Musiker die Trenchcoats ab. Was man sonst trägt, ist zwar auch obskur, aber irgendwie schon normaler. Wenn man vom zweiten Sänger absieht, der klingt wie eine junge, kraftvollere Ausgabe von Ian himself, der im Laufe des Gigs in verschiedene Outfits schlüpft, Rollen verkörpert und vor allem außergewöhnlich großartig singt. Und auch mal die Bühne fegt. Und während die Band meisterlich den ersten Teil intoniert, klingelt mit einem Mal das Telefon. Ians Telefon. Die Musik stoppt, er geht ran. es ist Phoebe, seine Lieblings-Geigerin. Und keine zwei Minuten später ist Phoebe "per Skype" zugeschaltet und geigt uns einen, während im Hintergrund der Mann im Taucheranzug seinen Gastauftritt hat. Surreal? Aber so etwas von.
Mittlerweile ist das Publikum fest in Ians Hand. Eine Mischung aus Rockkonzert und Theateraufführung folgt, mit Interludien, absurden Einlagen, einer Pause und natürlich viel großartiger Musik, vorgetragen mit Verve und Virtuosität. Der zweite, neuere Teil zeigt auch die ernstere Seite des Band, ohne jemals die Leichtigkeit des Grenzganges zwischen Albernheit und Anspruch abzulegen, was sich auch visuell in den Videoeinspielern abwechselt. Ja, wer mit überhaupt TULL etwas anfangen kann, sollte sich die aktuelle Tour nicht entgehen lassen. Er wir dfeststellen, es geht auch völlig ohne 'Locomotive Breath'. Sogar besser.
(Anmerkung: Es gibt leider keine Fotos dieses Konzerts, da es Fotopässe nur für Tagespresse gab - eventuell, um das Konzert nicht zu stören; trotzdem schade).
- Redakteur:
- Frank Jaeger