KARNIVOOL und THE INTERSPHERE - München
12.12.2010 | 17:4512.12.2010, 59:1
Mitgröhlhits im 13/8tel Takt: Die Progentdeckung des Jahres 2010 - KARNIVOOL - auf Tour.
München hat einige sehr schöne Konzertlocations für "kleine" Bands. Zum Beispiel die Glockenbachwerkstatt mit der Cafeteria, in der man auch billiges und gutes Essen bekommt oder das mit einer coolen Bar ausgestattete Feierwerk. Heute ging es in meinen persönlichen Liebling, nämlich das 59:1. Hier ist die Bar gleich im Konzertraum und mit etwas Glück kann man Shows gemütlich vom Barhocker aus betrachten. Aber nicht heute! Ein Vöglein hat mir gezwitschert, dass ich unbedingt pünktlich da sein sollte, weil die Vorband richtig gut sei. Also schlürfe ich schnell meine Suppe aus und latsche ins 59:1 rüber, da erwarten mich aber schon zwei faustdicke Überraschungen. Erstens war es VOLL und zweites haben THE INTERSPHERE schon angefangen. Ich möchte meine Jacke abgeben und von der Warteschlange hat man einen guten Seitenblick auf die Bühne. Das dauert aber ewig und weil mein Vöglein recht zu haben scheint, trolle ich mich eben mit dicker Winterjacke vor die Bühne. Es ist eng, es ist heiß, aber die Musik ist gut. Harter Progressive Alternative Indie Rock mit ein bisschen DREDG, einer Prise THRICE, ein Hauch A PERFECT CIRCLE, also schwer zu kategorisieren und daher ziemlich interessant. Instrumental agieren THE INTERSPHERE immer mit einer progressiven Note, rhythmisch vertrackt, aber nie in Gefrickel ausartend. Nach zwei Post-Rock Abenden schätze ich aber besonders den guten Gesang, der mich an Ted Leonard (ENCHANT) erinnert - sehr emotional vorgetragen und mitreißend – und der Band den letzten Kick gibt! Der lange Einkaufszettel wird also um eine Band erweitert.
Leider ist "Sound Awake", das aktuelle Album der Aussie-Band KARNIVOOL, noch nicht sehr oft in meinem CD-Schacht rotiert, obwohl es Album des Monats im Eclipsed war. Das liegt natürlich auch daran, dass ihm der superbe Vorgänger "Themata" bislang die Show gestohlen hat. Der Großteil des Publikums scheint sich aber sehr gut mit dem Material auszukennen. Ich bin schon etwas baff, als die "Refrains", wenn es so was bei KARNIVOOL überhaupt gibt, lauthals mitgesungen wurden. Die Fanbasis von KARNIVOOL ist sowieso erstaunlich. Sehr bunt. Viele gestylte, kurzhaarige Studenten, ein paar Alternative, erstaunlich viele Frauen, aber auch Senioren in KARNIVOOL T-Shirts. Dafür aber kaum Schwarz-T-Shirt-Träger. KARNIVOOLs Musik zu beschreiben ist schwierig, denn sie ist genauso bunt die ihre Fans. Die Rhythmik ist extrem vertrackt, erinnert an TOOL oder gar MESHUGGAH. Dann der hohe, kraftvolle Gesang von Ian Kenny, der immer wieder geniale Melodien über das rhythmische Gewusel zaubert und so die Musik gut ins Ohr gehen lässt. Überhaupt Ian Kenny: Der Typ hat eine gewaltige Ausstrahlung, er lebt seine Musik und seine Texte, er dirigiert das Publikum und bringt der Band durch seine lockere Art sicher viele, viele Sympathiepunkte. So sind eigentlich dem Spaß keine Grenzen gesetzt, außer dass es unerträglich heiß und eng ist und vor mir einer eine Stinkewolke losgelassen hat. Ich stelle mich zwischen zwei Mädels, was deutlich besser riecht, und wundere mich einmal mehr, wie die Leute zu den polyrhythmischen 15/16-3/8-Taktwechseln mitgehen und meine Nachbarin jede Zeile mitzirpt. Dann kommt mein Lieblingstrack 'Themata', ich verlasse die Parfümwolke und verschaffe mir etwas mehr Freiheit, denn dieser Gänsehautsong VERLANGT nach Bewegung. Perfekt gesungen übrigens. Nun ist leider auch schon Ende. Fast. Als Zugabe spielen KARNIVOOL einen sehr sperrigen Longtrack, der zwar auch seine Qualität hat, aber das Volk war in Partylaune und mit zwei kurzen Knallern hätte man hier die Bude zum Überkochen gebracht. So entkomme ich aber schnell den Andrang in Richtung Ausgang und freue mich auf der Heimfahrt wieder einmal über einen sehr gelungenen Konzertabend.
Thomas Becker
- Redakteur:
- Thomas Becker