KARNIVOOL und THE INTERSPHERE - Wiesbaden
10.11.2013 | 20:2103.11.2013, Schlachthof
Wirrer Abend, klare Erkenntnis.
Es gibt gute Konzertabende. Es gibt schlechte Konzertabende. Es gibt überragende Konzertabende. Es gibt horizonterweiternde Konzertabende sowie solche, die nicht schlecht waren, man sich jedoch hätte sparen können. Und dann gibt es Konzertabende, die einen zum Ausrasten bringen, die einem den Schlaf rauben und innerlich zerreißen, weil sie so ambivalent sind wie nur eben möglich. KARNIVOOL hat es geschafft, mir eine dieser seltenen Nächte der letzten Kategorie zu bescheren. Wie die Herren das hinbekommen haben? Ich werde versuchen, diesen mir endlos vorkommenden Strom an Gedanken halbwegs geordnet zu präsentieren, entschuldige mich jedoch bereits an dieser Stelle dafür, falls dies nicht gelingen sollte - und schiebe die Schuld nach Australien ab.
Doch bevor ich zur Aufarbeitung dieses Erlebnisses komme, sollen ein paar Takte zu THE INTERSPHERE verloren werden. Die Mannheimer Rock-Band supportet KARNIVOOL hierzulande und nutzt somit die Chance, sich erneut zu präsentieren, um vielleicht endlich den ganz großen Durchbruch zu schaffen. Aus meiner Sicht ist es nämlich nur noch eine Frage der Zeit, bis THE INTERSPHERE Locations wie den Schlachthof alleine füllen kann. Denn dieser stilistische Mix aus (Alternative) Rock, Post-Rock-Elementen sowie Metal-Vibe wird zu einer homogenen Masse an Klang verbunden, die man so kein zweites Mal findet. Da begeistern die teils poppigen Refrains genau so wie das Double-Bass-Geballer, ohne dass man hier zu irgendeiner Sekunde das Gefühl hat, es mit einer Art Patchwork zu tun zu haben. Da fliegen Köpfe, da schließen sich Augen, da fühlt sich das Ohr wohl. Der sympathische und vor allem natürliche Auftritt von THE INTERSPHERE tut da sein übriges, um klarzustellen: "Wir können mehr sein als eine Vorband!". Ein Extralob bekommt an dieser Stelle Moritz Müller, der sein Schlagzeug einfach faszinierend bearbeitet. Gefühlvoll, total in der und für die Musik und dennoch brutaler als so mancher Extreme-Metal-Drummer, weshalb sich auch geschätzte 60% der Blicke durchgehend auf ihn richten. Zu hören gibt es neben bekanntem Material der letzten Alben auch zwei neue Songs, von denen der erste mehr, der zweite etwas weniger überzeugen kann. Unabhängig von der Songwahl macht die Band hier jedoch vieles; nein, alles richtig. Einzig der Sound sorgt in der ersten Hälfte für einen leicht erschwerten Zugang, weil hier und da Details verschluckt werden, die man für essentiell halten könnte. Dafür kann die Band jedoch nichts und das Publikum scheint es auch nicht weiter zu stören, weshalb beide Daumen stark nach oben gehen. Das nächste Frühjahr mit neuem Album und anschließender Tour darf somit gerne kommen!
Ich kann mich jedoch nicht länger vor dem drücken, was nun kommt. KARNIVOOL hat mit "Asymmetry" ein Album veröffentlicht, das spaltet. Das liegt vor allem an Leuten wie mir, die den alten Sound der Band lieben, jedoch in dieses so destruktiv eigenartig komponierte neue Werk nicht hineinfinden. Meine Hoffnung: Kommt Live-Erfahrung, kommt Zugang. Die Vergangenheit hat schon häufiger gezeigt, dass eine im ersten Augenblick enttäuschende Platte noch richtig wachsen kann, wenn man einzelne Songs mal zwischen anderen Band-Klassikern gehört hat und der Gedanke "So schlecht ist das ja nun doch nicht..." nicht nur einmal die Stirn kreuzt. So stehe ich gespannt sowie äußerst skeptisch vor der Bühne; und das nicht allein. Denn was heute vollkommen kurios, beinahe absurd erscheint, ist der offensichtliche Erfolg der Band eben trotz (oder vielleicht wirklich wegen) dieses Albums: Vor ein paar Jahren hatten die Australier Mühe und Not, die kleinen Locations in die Deutschland zu füllen, und nun rennen ihnen die Leute die Hütte ein, obwohl das Album nun wirklich nicht überall so positiv aufgenommen wurde und ich auch Gesprächen im Vorfeld entnehmen konnte, dass vor allem alte Songs gewünscht sind. Eigenartig, aber nun gut.
Man könnte vieles über dieses Konzert schreiben, letztlich läuft es jedoch immer auf einen Aspekt hinaus: neue versus alte Songs. Erstere wabern eigenwillig durch die Gegend, haben zwar einen tollen Klang, geben einem jedoch nahezu keine Möglichkeit, in sie hineinzufinden. Das ist wie Autofahren bei starkem Nebel: Funktioniert irgendwie, ist aber keine Freude. Sind das wirklich die gleichen KARNIVOOL, die mich vor nicht allzu langer Zeit noch so begeistert haben? Ja, das sind die. Daran lassen 'Themata', 'Goliath' und vor allem 'Simple Boy' nach einigen "Asymmetry"-Nummern keinen Zweifel. Und sofort ist all das, was ich mit dieser Band verbinde, wieder da: Großartige Spannungsbögen, interessante Gesangslinien, spannende Klänge. Böswillig könnte man behaupten, die Stimmung wäre an diesem Punkt zu gut gewesen, denn mit einem neuen Song wird eben jene direkt wieder eingerissen. Bevor ein alter Track das Feuer wieder entfacht. Und so weiter. Und so fort. Niemals zuvor habe ich so unmittelbar wahrgenommen, aus welcher Phase ein Song stammt. Heute kann man dies sogar ohne Diskographie-Wissen anhand der Qualität, Stimmungslage und Reaktionen beurteilen.
Es wäre vermessen zu sagen, dass kein roter Faden existiert. Ich suche diesen wohl nur einfach an der gleichen Stelle wie früher, und da darf ich mich nicht wundern, wenn ich anno 2013 nicht mehr fündig werde. Meinem Eindruck nach geht es den anderen Zuschauern nicht anders, denn die Resonanz auf "Sound Awake"-Songs übersteigt die zu Songs des aktuellen Outputs bei weitem. Dabei ist KARNIVOOL zu keinem Zeitpunkt vorzuwerfen, sie hätten ein Seelenloses und Mainstreamaffines auf den Markt geworfen. Im Gegenteil: Man spürt zu jeder Zeit, dass die Band ihre Musik liebt und lebt, präsentiert diese auch sehr leidenschaftlich und bei gutem Sound, das ändert nur leider nichts daran, dass sie sich mir verschließt. Ihre Musikalität führt einmal zu Begeisterungssprüngen, die mich an die (verdammt hohe!) Decke des Schlachthofs befördert, und einmal zu einem Blick auf das Handy, um die Uhrzeit zu checken. Und so betrachte ich Ian Kenny und seine Mannschaft mal aus diesen Blickwinkel, mal aus jenem. Der Gastauftritt von Moritz Müller (THE INTERSPHERE) ist nur eine Randnotiz, der die wahre Debatte dieses Konzertes ebenfalls für nicht länger als 20 Sekunden aus dem Gedächtnis verdrängen kann. Das überragende 'New Day' beschließt ein Konzert, dass ich kaum verwirrter verlassen könnte.
Am Ende bin ich zufrieden, ratlos, enttäuscht. Zufrieden ob der magischen Wirkung der alten Songs. Ratlos über die Entwicklung KARNIVOOLs und diese gewaltige Differenz, die man heute erlebt hat. Und enttäuscht darüber, dass das mit mir und "Asymmetry" wohl wirklich nichts wird. Ich gönne dieser sympathischen Band jeden Erfolg, vermutlich muss (und kann) sie in Zukunft allerdings ohne mich auskommen, wenn der eingeschlagene Weg beibehalten wird.
(Vieles von dem, was Oliver hier schreibt, gilt auch für den Gig in Berlin. Gerade der sehr sperrige Anfang lässt einige Zuhörer extrem ratlos zurück. Doch mit fortlaufender Spielzeit werden zumindest in der Hauptstadt Songs wie 'Sky Machine' oder 'Alpha Omega' kaum weniger euphorisch aufgenommen als die Songs der beiden ersten Alben. Das ist allerdings alles nichts gegen den Moment, in dem die gesamte Halle 'New Day' singt. Gänsehaut pur und bislang der Konzertmoment des Jahres. - PK)
Fazit: THE INTERSPHERE war die bessere Band, KARNIVOOL jedoch nicht schlechter. Klingt komisch? Das war es auch.
Setlist: Amusia, The Last Few, A.M. War, Themata, Goliath, Simple Boy, Eidolon, All I Know, Sky Machine, We Are, Refusal, Set Fire to the Hive, Aeons. Zugabe: Alpha Omega, New Day.
- Redakteur:
- Oliver Paßgang