KORN: "Monumental"-Streamingkonzert - Los Angeles
02.05.2021 | 09:4024.04.2021, "Stranger Things: The Drive-Into Experience"
Ein Livestream ohne wirkliches Livestream-Erlebnis.
Lange hatte ich im Vorfeld überlegt, ob ich mir je ein Konzert als Livestream antue oder nicht. Bis ich das Angebot für das KORN-"Monumental"-Streamingkonzert bekam. Dass es nicht mit einem normalen Konzert vergleichbar ist, dessen war ich mir bewusst. Aber was ist gerade schon normal? Von anderen Kollegen ermutigt, die sich durchaus mit der neuen Konzertform anfreunden konnten, wagte ich den Versuch.
2019 veröffentlichte KORN das Album "The Nothing", doch die Tour dazu konnte die Band nicht mehr antreten. So entschied sich die Gruppe ein Konzert in Los Angeles zu spielen. Das "Monumental"-Streaming-Event versprach im Vorfeld selten gespielte Songs und diverse Klassiker. Doch kann der Gig aus dem "Stranger Things: The Drive-Into Experience" dem auch gerecht werden? Um es vorweg zu nehmen: In allen Belangen kann es das nicht.
Doch der Reihe nach. Die Registrierung und das Einloggen klappen schon mal recht gut und unproblematisch. Neben dem Trailer zur Veranstaltung gibt es im Vorfeld einen Einblick zur Entstehung der Veranstaltung und es kommen die Musiker zu Wort. Danach zählt der Countdown die Sekunden bis zum Beginn herunter.
Zum Intro genießt der Zuschauer erst einen Blick über die Stadt und das Autokino ehe die Musiker auf die Bühne kommen. Und mit den ersten Sequenzen wird klar, dass hier wird ganz großes Kino! Mit dem Live-Debüt von 'Victimized' startet KORN den Gig und die Bild- und Soundqualität sind astrein. Während der Songs wird mit den Kameras immer mal wieder über das Gelände geschwenkt und der Zuschauer sieht die nächtliche Skyline der Metropole. Auch der Sound ist tadellos. Doch ein großes Manko zieht sich von Anfang an durch das Konzert. Es wirkt nicht wie ein Live-Konzert. Es gibt zwischen den Songs keine wirklichen Pausen, die werden quasi überblendet. Eine Interaktion seitens der Bandmitglieder mit dem Publikum daheim findet überhaupt nicht statt. In diesem Punkt ist es wie ein Geisterkonzert, was eher an einen Film als an einen Live-Gig erinnert. KORN präsentiert die Songs als gäbe es die Fans daheim überhaupt nicht. Zudem sind auf der Bühne auch keine Bildschirme oder ähnliches zu erkennen, wo die Musiker die Reaktionen verfolgen könnten.
Wer das für sich ausblenden kann, der erlebt eine bestens gelaunte Band und einen Jonathan Davis, der stimmlich in Topform ist. Im schwarzen, schweren Ledermantel rockt er die Bühne. Auch die Lichtshow kann sich sehen lassen! Bei den schnellen Kamerawechseln wird einem durchaus etwas schwindlig. Dafür liefern sie stets ein gestochen scharfes Bild und der Zuschauer ist ganz nah am jeweiligen Musiker dran. Musikalisch geht es vom aktuellen 'Cold' über 'Insane' zum älteren Song 'Falling Away From Me'. Letzerer stammt vom 1999 erschienen Album "Issues". Blendet man den Fakt aus, dass der Track mit über zwanzig Jahren quasi ein Oldie ist und wir auch nicht jünger werden, dann rockt er immer noch ungemein. Die Band beweist damit, dass sie jedenfalls noch lange nicht genug hat. Stimmlich gesehen ist der Frontmann bei der Songauswahl heute stark gefordert, denn zwischen den tiefen Growls und ruhigeren Passagen ist alles vertreten. Ob es da noch älter geht? Diese Frage beantwortet die Gruppe gegen Ende mit 'Ball Tongue'. Wie genial ist das denn bitte? Damit hat es tatsächlich ein Stück vom Debütalbum 'Korn' auf die Setliste und die Kehle des Musikers geschafft. Dass wir da von 1994 reden, vergessen wir mal ganz schnell wieder. Im dazugehörigen Chat überstürzen sich derweil die Meldungen und Begeisterungsstürme. Das passiert übrigens auch, als der Sänger den Mantel nicht mehr trägt und sein Leder-Kilt zu sehen ist. Wem das zu viel Konversation ist, der kann es zum Glück ausblenden und das Konzert im Vollbild genießen.
Doch auch auf dem Weg zu 'Ball Tongue' lässt sich KORN nicht lumpen und knallt mit 'Justin' oder 'Black Is The Soul' zwei Leckerbissen heraus. Leider nicht dem Publikum um die Ohren, denn da ist ja niemand. Mit 'Freak On A Leash' erklingt einer meiner Favoriten und kann trotz der Widrigkeiten für ein wenig Gänsehautfeeling sorgen. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich mir den Song einmal in einem Streaming-Konzert ansehen würde, ich hätte ihm einen Vogel gezeigt. So ändern sich die Zeiten. Die Musik zum Glück nicht, denn auf dem Weg zum Finale erklingt das lange nicht mehr gespielte 'Dirty'. Zündet aber genau noch so wie 1999. Für das Finale hat sich die Band 'Here To Stay' herausgepickt.
Etwas trostlos geht der Gig zu Ende. Beifall in dem Sinne gibt es ja nicht, aber dennoch gehen die Musiker zügig von der Bühne. Keiner von ihnen verweilt noch einen Moment und lässt das Ganze auf sich wirken. Die Reaktionen der Beteiligten verlaufen ins Leere. Eine Zugabe gibt es ebenfalls nicht. Diese Tatsache lässt vermuten, dass das Konzert nicht wirklich Live war, sondern aufgezeichnet worden ist. Sonst hätte man ja die Reaktionen in das Geschehen einfließen lassen können. Von daher bleibt ein fader Beigeschmack hängen. Und genau diese Atmosphäre hätte es gebraucht, um das Live-Feeling einigermaßen in die Wohnzimmer der Fans zu bekommen.
Im Vorfeld hatte Jonathan Davis ja gesagt: "Wir hoffen, dass ihr mit uns an diesem Erlebnis teilhabt. Auch wenn es das echte Live-Erlebnis nicht ersetzen kann, wollen wir euch trotzdem großartige Musik und eine unterhaltsame Show bieten."
Damit hat er nicht zu viel versprochen, denn es war wirklich eine tolle Songauswahl und eine gute Unterhaltung. Die technische Qualität jedenfalls ist hervorragend gewesen. Von ganz alt über ganz neu und bis dato noch nicht auf der Bühne gespielt, ist an Tracks an diesem Abend alles vertreten gewesen. Dass das Event wohl zu Übertragungszeit stattfinden soll, hat er nicht gesagt. Aber sicher hatten das viele der Fans gehofft beziehungsweise erwartet. Zugegeben, die Enttäuschung darüber ist verschmerzbar, aber dennoch ist sie nicht vom Tisch zu wischen.
Setliste: Victimized; Cold; Insane; Falling Away From Me; You’ll Never Find Me; Thoughtless; Coming Undone; Throw Me Away; Justin; Black Is the Soul; Freak On A Leash; Alone I Break; Dirty; Can You Hear Me; Ball Tongue; Narcissistic Cannibal; Here To Stay
- Redakteur:
- Swen Reuter