Kiss - Stuttgart
09.07.2008 | 15:3218.06.2008, Schleyerhalle
Dass die Bandköpfe von KISS, Paul Stanley und Gene Simmons, sehr clevere Geschäftsleute sind, ist weithin bekannt. Und so verwundert es nicht, dass KISS wieder einmal auf Abschieds(?)tournee gehen. Dieses Mal gilt es, das 35-jährige Dienstjubiläum einer der erfolgreichsten Hard-Rock-Bands aller Zeiten zu feiern. Und obwohl KISS bisher entgegen aller Pressemeldungen und Gerüchte immer wieder nach Europa kamen: das Konzert am 18.06.08 in der Stuttgarter Schleyerhalle war möglicherweise eines der letzten in Germany - wenn nicht wieder der Dollar ruft . Ein kleiner Teil des POWERMETAL.de-Stabes war für euch in Stuttgart vor Ort, um über die (vielleicht) zweitletzte (?) Tour einer Hard-Rock-Legende in Wort (Martin Loga) und Bild (Frank Hameister) Bericht zu erstatten. Viel Spaß!
Der Konzertabend in der prall gefüllten Schleyerhalle in Stuttgart beginnt um kurz nach 20:00 Uhr reichlich dröge und einschläfernd. Grund: eine leicht pomadig agierende, junge Rockband namens CINDER ROAD versucht, das Publikum im Alter von 14 bis etwa 55 Jahren zum Mitklatschen und Abrocken zu animieren. Klingt der Eröffnungstitel am Anfang noch ganz nett, so flacht das Stück auch schnell wieder ab und wandelt sich zu einem aalglatten Pop-Rock-Song mit relativ wenig Substanz. Die übrigen Stücke des halbstündigen CINDER ROAD-Sets wirken gar noch zahmer. Da nützt es auch wenig, das Sänger Mike Ruocco Rockstar-Posen en masse am Start hat und zeitweise vom Stageacting her gar an den jungen Robert Plant von LED ZEPPELIN erinnert. Mit derart glattgebügelten Schmalznummern kann man bei einem KISS-Publikum natürlich nicht viel reißen. Im Vorprogramm von BON JOVI wäre eine Band wie CINDER ROAD zweifelsohne wesentlich besser aufgehoben. Und so erhalten CINDER ROAD vereinzelt gerade einmal ein Zehntel des Applauses, den KISS bei Nummern wie 'Cold Gin' erhalten. Immerhin kassieren CINDER ROAD keine Buh-Rufe, was angesichts des übermächtigen Hauptacts schon als Kompliment zu werten ist.
Nun beginnt das Warten auf KISS. Etwa zwölf bis fünfzehn Roadies fegen über die Bühne und werkeln emsig hinter den Kulissen, die recht schnell von einem riesigen schwarzen Vorhang mit einem großen silbernen KISS-Logo verdeckt werden - im Originalschriftzug, versteht sich. Um 21:05 erschallt wie gewohnt ein enthusiastisches "You wanted the best, you got the best. The hottest band in the world: KISS!" und die Stimmung steigt binnen Sekunden von Null auf Einhundert. Große Lautsprecher-Atrappen säumen beide Seiten der Bühne und zwei große Videoleinwände sorgen dafür, dass die etwa 11.500 Zuschauer in der Schleyerhalle das Geschehen bestens verfolgen können. 'Deuce' und 'Strutter', das allerdings heute Abend etwas zahmer wirkt, werden vom Publikum dankbar aufgenommen. "Starchild" Paul Stanley animiert die Massen, indem er alle Bereiche des Publikums einem Lautstärketest unterzieht. Wer ist lauter? Die Mitte, das Publikum links oder das auf der rechten Seite? Gestern, in Paris, da sei das Publikum viel lauter gewesen, neckt Paul. Gene Simmons führt nun seine Feuerspucknummer vor, ehe 'Hotter Than Hell' gezockt wird, das durch große Flammensäulen (die selbst fünfzehn Meter von der Bühne entfernt noch für mächtig Hitze sogen) flankiert wird. "Demon" Gene Simmons markiert wie immer das wohl am lässigsten wirkende Bandmitglied. Er stakst über die Bühne und zeigt bei jeder nur erdenklichen Möglichkeit dem Publikum seine ellenlange Schlabberzunge. Das kultige 'Firehouse', das wenige Tage zuvor in Oberhausen noch gespielt wurde, fällt heute leider flach.
Schon in der Anfangsphase des Konzerts merkt man, dass es ein überfälliger Schritt war, den physisch nicht mehr sonderlich agilen Ace Frehley vor einigen Jahren durch jüngeres Blut zu ersetzen. Denn Tommy Thayer ist nicht nur körperlich fitter, sondern auch spielerisch lässt er "Space Ace" deutlich hinter sich. Selbiges gilt für die Qualitäten des Schlagzeugers. Der relaxt spielende Eric Singer, der beim Trommeln Kaugummi kaut, bekommt dem Sound der Hard-Rock-Legende sehr gut. Bei der Ansage von 'Nothin' To Lose' ist schlimmes zu erahnen, krächzt Paul hier doch bei der Ansage und zeigt sich stimmlich angeschlagen. Im Laufe des Konzerts ist jedoch Entwarnung zu vermelden. Trotz einiger nicht sauber getroffener Töne agiert Paul wie gewohnt auf professionellem Niveau, was allerdings nicht verwundert: immerhin hat der Mann mittlerweile auch schon die Hauptrolle von "Phantom der Oper" in Toronto gesungen. Bei 'Nothin' To Lose' gelingt es Eric Singer, das rauhe Timbre von Peter Criss sehr gut nachzuempfinden. Das Publikum singt kräftig mit und es ist verdammt laut in der Schleyerhalle, wenn fast 12.000 Rock-Fans KISS zujubeln. Paul Stanley ist absolut nichts von seiner Hüftoperation vor einiger Zeit anzumerken. Er gibt sich bewegungsfreudig und post, was das Zeug hält. Das ungeheim knallige 'Parasite', das durch Genes wuchtige Bassarbeit vorangetrieben wird, brettert verdammt heavy von der überdimensional großen Bühne und ist sicherlich zu den großen Highlights in der Setlist der US-Amerikaner zu zählen. Die Ankündigung von Paul Stanley, dass KISS im Jahr 2009 wieder nach Deutschland kommen, möchten quittiert das Publikum mit ordentlich Applaus. 'She' geht in ein Gitarrensolo von Tommy Thayer über, welches eine 1:1-Kopie der Solonummer von Ace Frehley ist, inklusive aller bekannten Pyro-Mätzchen. Schade ist allerdings, dass Paul und Gene Gitarrist Tommy Thayer keinen Raum einräumen, eine eigene Note einzubringen. Das Schlagzeugsolo von Eric Singer, bei dem ein Drumriser das Schlagzeug-Kit etliche Meter in die Höhe hievt, kostet zwar einen Song Spielzeit, ist aber sehr kurzweilig.
'Cold Gin' ("...the next song is about alcohol") avanciert zu einem der vielen Highlights der Show, ehe Paul Stanley ein wenig solo an der Sechssaitigen unterwegs ist. Er spielt kurz den Introteil von 'Stairway To Heaven' an, erhält kurzen Applaus und winkt dann ab: "No, not today!", meint der charismatische Frontmann. Mit dem triumphalen 'Black Diamond', das bei mir jedenfalls für Gänsehaut sorgt und klasse von allen Beteiligen gesungen wird, endet der reguläre Teil der Setlist. Gene, Paul und Tommy werden auf Podesten in die Höhe gefahren und das Publikum ist schon vor dem Zugabenteil mächtig aus dem Häuschen. Einige Minuten lässt man das Publikum rufen und schreien, ehe KISS wieder auf der Bühne lautstark in Empfang genommen werden.
Bei 'Rock 'n' Roll All Nite' gibt es Pyro-Detonationen im Sekundentakt. Das Konfetti rieselt nonstop tonnenweise von der Hallendecke. Und die Stimmung? Oh Mann: intensiver kann ein Rockkonzert kaum sein! Jede Liedzeile wird von tausenden Fans aus vollem Herzen mitgesungen, die Luftgitarren kreisen und man kann wirklich nur selten so viele strahlende Gesichter auf einem Konzert sichten. Dann folgt das krachige 'Shout It Out Loud' und das frenetisch mitgesungene 'Lick It Up'. Anschließend verdunkelt sich die Schleyerhalle und Gene steht allein auf der Bühne. Der fast 59-jährige lässt sich mit lauten Rufen feiern und schraddelt auf seinem axtförmigen Bass herum, während er in gewohnt gruseliger Art und Weise Kunstblut speit. An der Seilwinde tritt er seinen Flug nach oben an, wo er auf dem Podest den Ton für die stampfende Mitsingnummer 'I Love It Loud' angibt. Bei 'Love Gun' landet Paul Stanley auf einer kleinen Bühne in der Hallenmitte, wo er sich auf das Posen konzentiert und die Blicke des Publikums auf sich zieht. Der Million-Seller 'I Was Made For Loving You' wird durch sehr viel Rumms durch Pyro-Effekte begleitet und ganz ohne Ohrenstöpsel würde sicher nicht nur mich Onkel Tinnitus besuchen. Letzte Kraftreserven gilt es bei 'Detroit Rock City' zu aktivieren, bei dem auch die KISS-Protagonisten noch einen Gang zulegen. Ein letztes Mal knallen die Pyros und Paul Stanley zerdeppert seine schicke Klampfe, wobei es etlicher Versuche bedarf, um das Ding kleinzukriegen (deutsche Eiche?). Simmons, Stanley, Thayer und Singer verabschieden sich vom Publikum mit lang anhaltendem Applaus. Ein toller, fast zwei Stunden langer Auftritt geht zu Ende. Klasse war's!
Alles in allem klingen KISS für meine Begriffe frischer und mitreißender als noch auf der 1999er-Tour, was sicherlich auch ein Verdienst von Eric Singer und Tommy Thayer ist. Und was die Veteranen an diesem Abend in der Schleyerhalle abgebrannt haben, das war ein Hard-Rock-Feuerwerk mit nostalgischem, aber in keinster Weise angestaubtem Feeling. KISS und alte Säcke? Altersmäßig vielleicht. In Sachen Show und Performance begeistern KISS auch im Jahre 2008 noch.
Setlist:
Deuce
Strutter
Got To Choose
Hotter Than Hell
Nothin' To Lose
C'mon And Love Me
Parasite
She
Gitarrensolo Tommy Thayer/Schlagzeugsolo Eric Singer
100.000 Years
Cold Gin
Let Me Know
Black Diamond
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Rock 'n' Roll All Nite
Shout It Out Loud
Lick It Up
Love Gun
I Was Made For Loving You
Detroit Rock City
- Redakteur:
- Martin Loga