Lilith - Memmingen

30.07.2003 | 04:30

24.06.2003, Landestheater Schwaben

Begonnen hatte die Tradition der Rockopern am Landestheater Schwaben in Memmingen in der Spielzeit 1998/99: Intendant Walter Weyers und der New Yorker Musiker David DeFeis (VIRGIN STEELE) erregten mit der ersten Uraufführung "Klytaimnestra - Der Fluch der Atriden" bundesweit Aufmerksamkeit. In Anlehnung an die "Orestie" von Aischylos wurden antike Mythen aufgegriffen, die den Kampf zwischen matriarchalen und patriarchalen Kräften ins thematische Zentrum setzten. Klytaimnestra bringt ihren Mann Agamemnon um, der die Tochter Iphigenie geopfert hat.

Darauf folgt in der Spielzeit 2000/2001 in der Regie von Markus Beck "Hel - Die Rebellen", wobei nordische Göttersagen diesmal die Quellen für die Geschichte waren. Die Mythen aus der Edda rund um den Himmelsgott Odin und Hel, die Göttin der Unterwelt, trafen auf den von David DeFeis komponierten sinfonischen Heavy Metal. Im Zentrum stand die Liebe zwischen der Unterweltgöttin Hel und dem weißen Gott Baldur. Die beiden Liebenden rebellieren gegen die vom Göttervater verursachte Trennung der Welt in zwei Reiche.

Mit "Lilith" fand die Trilogie der Rockopern am Landestheater Schwaben ihren Abschluss. Wiederum stand eine starke Frauenfigur im Zentrum des Abends, und wiederum haben David DeFeis und Walter Weyers zusammengearbeitet. Der Stoff stammte diesmal aus der jüdischen Mythologie...

Nachdem Gott Lilith erschaffen hatte, formte er Adam in der gleichen Art wie sie aus Staub. Lilith und Adam nähern sich einander an. Als Adam sich beim Geschlechtsakt auf sie legen möchte, fühlt sie sich aber unterdrückt und verweigert sich ihm, was die beiden endgültig entzweit. Adam fleht Gott um eine zweite, gefügigere Frau an und Gott erschafft aus Adams Rippe Eva. Von dem Augenblick an, als Eva die Augen aufschlägt, erkennt sie Adam als ihren Gebieter an. Sie will für ihn sorgen, ihm Kinder schenken und von ihm geleitet sowie beschützt werden. Lilith ist ob der Idylle des Paares außer sich vor Wut, was Adam mit Genugtuung zur Kenntnis nimmt. Adam und Eva lassen die grollende Lilith allein zurück. Die Engel schildern ihre Beobachtungen: Lilith wachsen Flügel, sie 'stürzt in die Höhe' und zieht sich auf eine einsame Insel im Roten Meer zurück. Die Engel erhalten von Gott den Auftrag, Lilith ins Paradies zurück zu holen und folgen ihr auf die Insel. Als sie sich diesem göttlichen Befehl widersetzt und daraufhin mit Kinderlosigkeit geschlagen wird, ruft sie den Krieg zwischen sich und allen Kindern aus.

Lilith ruft im Traum nach Samael, dem 'gefallenen Engel'. Die beiden werden ein Liebespaar, und Samael fordert Lilith zu höllischen Taten auf und verbannt sie in Adams Träume, wo sie geflügelt über ihn kommt. Eva, inzwischen Mutter eines gemeinsamen Kindes, fühlt, dass sich Adam immer mehr von ihr entfernt, ein Fremder für sie wird. Einsam flüchtet er sich in seine Träume, in denen er von Lilith verführt wird. Adam nun schließlich doch zu besitzen, ist Liliths Triumph, den sie mit dem Mord am Kind der beiden krönt. Gott beobachtet sie verzweifelte Eva, die um ihr Kind trauert, den schwachen Adam und hinterfragt seine Schöpfung Lilith, die nun zu seiner Feindin geworden ist, indem sie Adams Nachfahren ermordet. - Eva, betrogen um Mann und Kind, kommt zu Lilith auf die Insel. Inmitten von Angst und Wut kommt es zu einer Annäherung der beiden Frauen, geheimnisvolles Verstehen und die Suche nach gegenseitigem Trost leiten ihr Verhalten. Auf Samaels Anregung hin erteilt Gott seinen Gesandten den Befehl, die Insel mit Eva und Lilith in Brand zu setzen. Lilith steht bereits in Flammen, als Samael seine Maske abnimmt und sich als Adam zu erkennen gibt...

Soviel zum Inhalt (in aller Ausführlichkeit) - kommen wir nun zur Umsetzung, und die war - zumindest musikalisch - wieder einmal sehr gelungen... Nachdem bei der letzten Rockoper "Hel - Die Rebellen" alte bzw. ältere VIRGIN STEELE-Songs verwendet wurden, hat David DeFeis für "Lilith" erneut komplett neue Songs geschrieben. Dabei hat er - soviel lässt sich auf alle Fälle sagen - wieder einmal ganze Arbeit geleistet, und jeder VIRGIN STEELE-Fan kann sich schon auf das nächste Jahr freuen, wenn diese Songs in Form eines neuen Albums veröffentlicht werden. Als einziger Kritikpunkt könnte man höchstens anbringen, dass die Unterschiede zwischen den neuen Songs und denen der letzten VIRGIN STEELE-Alben nur marginal sind und David DeFeis inzwischen bei sich selbst abschaut. Ansonsten sind Songs wie 'Adorned With The Rising Cobra', 'Angel Of Death', 'The Hidden God', 'Childslayer' und vor allem 'Immortal I Stand (The Birth Of Adam)' aber wieder großartige Kompositionen geworden. - Wie schon bei "Klytaimnestra - Der Fluch der Atriden" und "Hel - Die Rebellen" kam die eigentliche Musik auch bei "Lilith" wieder vom Band - eingespielt von David DeFeis und seinen VIRGIN STEELE-Kollegen Edward Pursino und Josh Block - und nur der Gesang wurde live dargeboten. Dabei haben sich eigentlich sämtliche Darsteller gute Noten verdient, allen voran die Protagonisten Joséphine Weyers (Lilith), Eva Rodekirchen (Eva) und Patrick Stamme (Adam / Samael). Dass sie natürlich durch die Bank nicht ganz an den Gesang von David DeFeis herankamen, versteht sich zwar (fast) von selbst, aber das war auch nicht anders zu erwarten...

Neben der Musik sind es natürlich die gesprochenen Texte, die eine Weyers/DeFeis-Rockoper ausmachen. Und gerade diese waren dieses Mal nicht wirklich gelungen (zumindest meiner Meinung nach). Vor allem im ersten Akt war es sehr anstrengend, den zum Teil sehr langen Mono-/Dialogen, auch aufgrund ihrer abgehobenen Sprache, zu folgen. Der zweite Akt gestaltete sich dann zwar weitaus flüssiger, aber im direkten Vergleich zu "Klytaimnestra - Der Fluch der Atriden" und "Hel - Die Rebellen" zieht "Lilith" diesbezüglich klar den Kürzeren. Das mag wohl auch daran gelegen haben, dass bei "Lilith" sehr viel weniger Handlung auf der Bühne stattfand und das hauptsächliche Geschehen in die Dialoge verlagert wurde.

Insgesamt hinterließ "Lilith" bei mir deshalb einen eher zwiespältigen Eindruck, und mit dieser Einschätzung scheine ich nicht ganz allein dazustehen. Im Vergleich zu den anderen beiden Rockopern im Landestheater Schwaben waren die Reaktionen des erneut sehr gemischten Publikums - neben einer Vielzahl von Heavy-Metal-Fans war auch typisches Theater-Klientel zu sehen - dieses Mal eher verhalten. Selbstverständlich wurden die Darsteller und auch David DeFeis, der sich die Premiere nicht entgehen ließ, mit reichlich Applaus bedacht, aber zu Standing Ovations oder ähnlichen überschwenglichen Reaktionen ließ sich niemand hinreißen. - Wer sich dennoch selbst ein Bild von "Lilith" machen möchte, der kann dies an den folgenden Terminen in der Spielzeit 2003/2004 tun: 31.12.2003, 16.04.2004, 18.04.2004, 19.04.2004, 20.04.2004, 23.06.2004, 24.06.2004, 03.07.2004, 04.07.2004.

Redakteur:
Martin Schaich

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