Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst - Berlin

20.02.2006 | 22:56

17.02.2000, Neue Nationalgalerie

Die wichtigen Kulturkritiker des Landes sind begeistert: Einen "Sinnenrausch, den man mit keiner Katerstimmung büßen muss", diagnostiziert die Süddeutsche Zeitung. Und selbst die von herzlosen Aktienkursen dominierte Financial Times Deutschland lobt ein "ein groß angelegtes Plädoyer für ein Gefühl, das im Zeitalter von Beschleunigung, Spaß und Prozac aus der Mode gekommen ist." Seit dem 17. Februar hat in der Neuen Nationalgalerie in Berlin die Ausstellung: "Melancholie - Genie und Wahnsinn in der Kunst" geöffnet - eine liebevolle Hommage an düstere Stimmungen und die daraus erwachsende Kreativität. Und eine Kunstschau, während der bis zum 7. Mai ein außergewöhnliches Kulturprogramm geboten wird.

In der Ausstellung ist jene schon seit Jahrhunderten inspirierende Melancholie gemeint, über die der französische Romantiker Victor Hugo sagte, sie sei "das Vergnügen, traurig zu sein." Jene Melancholie, die Bands wie ANATHEMA, OPETH oder TYPE O NEGATIVE in ihre Songs packten. Oder EMPYRIUM in ihre todtraurige 'Ode To Melancholy': "Melancholy - still my desire, O let my heart by thee inspire..." In der Ausstellung steht allerdings die Auseinandersetzung der bildenden Kunst mit dem süß-traurigem Gefühl im Mittelpunkt. So sind Werke aus allen Kunstepochen in Berlin zu finden, das Ziel ist "nicht weniger als die Lüftung des spirituellen Geheimnisses der Entstehung von Kunst", wie es im einführenden Text der Nationalgalerie heißt. Dazu wurden zahlreiche Meisterstücke aus verschiedenen großen Museen und Sammlungen aus aller Welt zusammengestellt, etwa Albrecht Dürers "Melencolia" von 1514, Caspar David Friedrichs "Mönch am Meer" vom Anfang des 19. Jahrhunderts oder Salvador Dalis "Bildnis Isabel Styler-Tas" von 1945. Insgesamt verspricht "Melancholie - Genie und Wahnsinn in der Kunst" den Gang durch zwei Jahrtausende der Kunstgeschichte, von der Antike bis zur Moderne. Für den Überblick zur künstlerischen Auseinandersetzung über das "Bewusstsein von der Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis in einer als unendlich empfundenen Welt" - so der bereits zitiert Einleitungstext - ist parallel zur Ausstellung ein Katalog mit 512 Seiten und 407 Bildern erschienen, der durch Essays von internationalen Wissenschaftlern aller Fachrichtungen weiter aufgewertet wird. Der Preis des Standardwerks zur inspirierenden Wirkung der Melancholie beträgt 45 Euro.

Neben Malerei, Graphiken, Skulpturen, alchemistischen und naturwissenschaftlichen Instrumenten sowie alten Dokumenten wollen die Ausstellungsmacher in Berlin die Melancholie nicht nur mit dem Auge, sondern auch mit den anderen Sinnen fühlbar werden lassen. So öffnet jeden Abend der so genannte "Salon Noir" seine Türen und bietet Kultur aller Richtungen: Vorträge, Filme, Lesungen, Tanzperformance, Konzerte... Am 24. Februar etwa ist eine Musikinszenierung mit Alexander Hacke von den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN geplant. Titel: "Berge des Wahnsinns" - also eine Lesung samt Livemusik und Videoinstallation über H.P. Lovecraft, den Altmeister des Horrors mit seinem Cthulu-Mythos. Tags darauf, am 25. Februar, wird der bekannte Schauspieler Ben Becker die kranken Texte von Klaus Kinski lesen, das "Fieber-Tagebuch eines Aussätzigen". Dazu wird die Zero Tolerance Band schauspielern, die Musik übernimmt wiederum Alexander Hacke. Und bei einer Party am 2. März stellen CORVUS CORAX ihre DVD "Cantus Buranus" vor. Ganz anders soll dagegen der 4. März ablaufen: Dann trete zur Liebesshow unter dem Titel "Melancholie und ErosPerformance" der Konzeptkünstler Peter Kees mit seinen speziellen Gästen Dr. Motte, dem Gründer der Loveparade, und Miss Brandenburg Wlada Schüler auf. Ebenso abgefahren klingt ein Vortragsthema am 21. März:
"Der Tod steht heute vor mir wie der Duft der Lotusblüte - Vom Zweifel am Leben im alten Ägypten", gehalten von Prof. Dr. Dietrich Wildung vom Berliner Ägyptischen Museum. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang auch der Vortrag am 11. April von Prof. Dr. Volker Hess von der Berliner Charité. Sein Thema: "Die Pathologisierung der Melancholie. Zur psychiatrischen Rekonstruktion eines Lebensgefühls um 1900".

Einen weiteren Höhepunkt erlebt der "Salon Noir" kurz vor Ende der Ausstellung: Fans von DEINE LAKAIEN können am 29. April ein ganz besonderes Konzert der Zwei-Mann-Band erwarten. Der charismatische Sänger Alexander Veljanov und der klassisch geschulte Komponist, Pianist und Schlagzeuger Ernst Horn werden eines ihrer seltenen Akustik-Konzerte spielen. Horn ist dabei am "Prepared Piano" zu erleben: Die Saiten und der Resonanzraum eines Konzert-Flügels werden dabei auf verschiedene Weise "präpariert" - zwischen die Saiten geklemmte Radiergummis oder Wäscheklammern wie auch auf die Saiten gelegte Papiere verändern den Klavierklang dabei grundlegend, der eigentliche Klavierklang wird um viele neue Töne ergänzt. Schließen wird der "Salon Noir" rund eine Woche später, mit dem Themenabend "Freud und Leid" zum 150. Geburtstag des wohl berühmtesten Psychoanalytikers Sigmund Freud. Er wusste eher Negatives über die Melancholie zu berichten, grenzte sie zum Beispiel bewusst von der Trauer ab. Denn nach Freud ist die Melancholie vor allem selbstzerstörerisch und dadurch gekennzeichnet, dass die Herabsetzung des Selbstgefühls nicht durch die positive Trauerarbeit behoben wird. "Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch eine tief schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt, durch den Verlust der Liebesfähigkeit, durch die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbstgefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfungen äußert und bis zur wahnhaften Erwartung der Strafe steigert."

ADRESSE

Neue Nationalgalerie
Potsdamer Strasse 50
10785 Berlin

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E-Mail: info@melancholieinberlin.org
www.melancholieinberlin.org

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Di., Mi. u. So. 10 - 18 Uhr
Do. 10 - 22 Uhr
Fr. u. Sbd. 10 - 20 Uhr

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10 Euro, ermäßigt 6 Euro

Kinder bis zur Vollendung des sechzehnten Lebensjahres haben freien Eintritt. Ermäßigung für Schüler, Studenten, Grundwehr- und Zivildienstleistende, Arbeitslose und Schwerbehinderte gegen Vorlage eines entsprechenden Ausweises. Die eintrittsfreien Donnerstage entfallen.

VIP-KARTEN

30 EURO inkl. Audioguide

AUDIOGUIDE

Audioführungen in deutscher und englischer Sprache; 5 Euro, ermäßigt 3,50 Euro (Schüler, Studenten)
Deutscher Sprecher: Otto Sander

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U1 Kurfürstenstraße
U2 Mendelssohn-Bartholdy-Park
Bus 129/148/200/248/348

SALON NOIR

Das Veranstaltungsprogramm der Ausstellung “Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst” findet ihr ebenso unter www.melancholieinberlin.org

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Redakteur:
Henri Kramer

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