Metalfest West 2012 - St. Goarshausen
16.07.2012 | 22:4901.01.1970, Loreley
Das erste Mal macht das Metal Fest auch auf der Loreley halt.
Nach dem Regen der letzten Tage meint der Wettergott es mit jedem gut, der sich entschließt, an diesem Tag an die Loreley zu reisen. Neben der schönen Aussicht auf den Rhein und das Naturschutzgebiet verwandelt sich dieser kleine Fleck für drei Tage in eine Pilgerstätte für Metalheads.
Da nicht jeder mit einem Auto gesegnet ist und man mit viel Gepäck nicht das Bedürfnis verspürt, einen Berg im Alleingang zu erklimmen, bieten sich hier nur die Optionen Busshuttle oder Taxi an. Dabei tut sich bereits das erste Manko auf: Man muss vom Bahnhof bis zum Anleger laufen, welcher ca. 800m entfernt ist, bis man an der richtigen Haltetstelle steht. Ich entscheide mich für Plan B und komme nach zehn Minuten beim Besucherzentrum an. Sobald das Gepäck verladen ist, das Zelt steht und das Bändchen in Rekordzeit geholt ist, geht es auch schon zur ersten Band.
Mit strahlendem Sonnenschein und gefüllten Bäuchen suchen viele Fans die Hauptbühne auf, denn es ist Zeit für eine ordentliche Ladung True Scottish Pirate Metal! Den Auftakt macht der Song 'Nancy The Tavern Wench', der für erste Schunkeleinheiten quer durch das Publikum sorgt. Wer zählen kann merkt, dass bei der gewohnten Viererkombo von ALESTORM plötzlich einer mehr dabei ist. Ein großer hagerer Mann steht hinter einem Keyboard und grinst fröhlich vor sich hin. Wer auch der Unbekannte ist, er spielt gut und fällt sonst weniger auf. Dass vor allem Christopher Bowes (Sänger) Spaß versteht, zeigt er immer wieder während des Konzertes. Denn er rennt nach jedem Lied oder auch zwischendrin hinter die Bühne, um mit einer neuen skurrilen Sonnenbrille zurück zu kommen, bis zum Schluss vier Stück auf seiner Nase sitzen. Neben den Klassikern 'Over The Sea' und dem Titelsong ihrer Debütscheibe "Captain Morgan's Revenge" spielt die Band auch neue Songs, wie 'Rum' oder 'Rumpelkombo'. Die Bude brennt und alle haben sichtlich Spaß, aber auch das beste Konzert muss ja irgendwann enden. Für ALESTORM ist die Party anscheinend noch nicht vorbei und man sieht die einzelnen Mitglieder oft auf dem Campingground herumlaufen, dicht gefolgt von einer Traube von Jüngern.
Das METALFEST 2012 beginnt für uns mit einer dicken Krawatte. Als wir gegen halb vier an der Loreley ankommen und uns auf den Weg zur Bändchenausgabe machen, werden wir entsetzt gewahr, dass sich zwischen uns und dem Eingang zum Festivalground eine kilometerlange Warteschlange über den Zeltplatz windet. Wir sind irritiert. Es dürfte Stunden dauern, bis wir endlich Einlass erhalten haben. Meine Laune sinkt kurzzeitig auf den Nullpunkt, doch zum Glück finden sich ein paar nette Gesprächspartner, mit denen wir uns die hässliche Wartezeit verdingen. Es dauert bis viertel nach fünf, dann erst erreichen wir die Hauptbühne. MOONSPELL gehen ob dieser Pleite über die Wupper. Wir erwischen gerade noch den letzten Song der Portugiesen, die sich mit 'Full Moon Madness' von der Bühne verabschieden.
Als Aufwärmprogramm müssen daher für mich LEGION OF THE DAMNED herhalten. Die Niederländer erwartet ein ansehnlich gefüllter Innenraum vor der Bühne, der den Vorteil bietet, dass man die Show hier bequem stehend oder sitzend von ansteigenden Rängen einem Amphi-Theater gleich ansehen kann. Nach dem Klassikintro bolzt sich die Death-/Thrash-Kombo durch ihre vergangenen Alben. Frühes Material wie 'Death's Head March' und 'Sons Of The Jackal' findet sich dabei ebenso wie 'Night Of The Sabbath' vom 2011er Album "Descent Into Chaos". Frontmann Maurice Swinkels freut sich, in Deutschland zu sein, nachdem die Band, wie er berichtet, jüngst in Italien zweimal ausgeraubt worden ist. Den Räubern rät Maurice nur eines: 'Pray And Suffer'. LEGION OF THE DAMNED zeichnen sich in der ihnen eigenen Art auch heute durch einen schnörkellosen Auftritt aus, bei dem druckvolles Spiel und aggressives Schlagzeug die Fans zum Headbanging animieren. In diesem Sinne endet der Gig nach fünfzig Minuten mit dem identitätsstiftenden 'Legion Of The Damned'.
Entsprechend angewärmt erwartet uns als nächstes Peter Tägtren mit seinem Death-Metal-Urprojekt HYPOCRISY. Stimmungsvoll zieht sich bereits während der Umbaupause der Himmel zu und pünktlich zu Peters Auftritt öffnen sich die Wasserhähne und es beginnt zu regnen. Die beinharten Metaller lassen sich davon aber nicht schrecken. Ruck zuck sind einige in ihre Regencapes gekrabbelt, den Meisten ist das Wetter egal. HYPOCRISY-Mastermind Tägtren tritt heute im sonderbaren Hopper-Outfit mit Schlabberhose um die Kniekehlen auf. Er folgt dem Beispiel von LEGION OF THE DAMNED und präsentiert eine Zusammenstellung von Songs unterschiedlichster Alben. Dabei liegt der Schwerpunkt mit 'Pleasure Of Molestation' und 'Killing Art' auf älterem Material aus den 90er Jahren, das die Fans immer wieder gerne hören. Insgesamt verläuft der Gig allerdings ziemlich unaufregend. Ohne viele Worte rutschen HYPOCRISY durch das Programm. Der Sound kommt dabei etwas verwaschen herüber. Große Höhepunkte bleiben aus, außer vielleicht bei 'Erasure', das vom Publikum mit aufgeweckter Zustimmung quittiert wird.
Mit BLIND GUARDIAN ist zweifelsohne der Höhepunkt des ersten Festivalabends auf der Loreley erreicht. Der Raum vor der Bühne füllt sich rasch bis auf den letzten Platz und erfreulicherweise bessert sich auch das Wetter wieder, so dass wir aus unseren Regencapes kriechen können.
BLIND GUARDIAN, die Herren aus Krefeld, erscheinen heute im seriösen Aufzug. Hansi Kürsch und seine Mitstreiter tragen schwarze Oberhemden zu schwarzen Hosen und wirken damit, als stünde ein Termin im Büro an, statt eines Gigs auf der Metalbühne der Loreley. Aber diese knochentrockene Seriosität zeichnet den Frontmann der Krefelder ebenso aus wie sein ironischer Unterton bei den Ansagen. Schon zu Beginn der Show schmiert Hansi dem Publikum ein wenig Honig ums Maul und behauptet, heute sei seit langem mal wieder das beste Publikum anwesend, das man sich vorstellen könne. Die Band quittiert die Begeisterung der Fans mit einigen erprobten Ohrwürmern wie 'Welcome To Dying', 'Lost In The Twilight Hall' und 'Bright Eyes'. Natürlich dürfen auch die berühmten Singspiele zwischen Band und Fans nicht fehlen. Dazu eignet sich 'Valhalla', das von den Fans ebenso sehnsüchtig erwartet wird, wie auch der 'Bard Song', auf dessen Anfangstöne die Meute bereits während des Soundchecks mit Gejohle geantwortet hat.
BLIND GUARDIAN bringt die Loreley an diesem ersten Tag des METALFESTS zum Beben. Ein runder Gig mit gelungener Songauswahl, bei der die Krefelder sich unter Wegfall sämtlicher progressiver Ausflüge auf ihre eingängigen Stärken besonnen haben. Der anschließend erwartete Dave Mustaine wird es nach diesem emotionalen Höhepunkt nicht leicht haben. Mir ist bereits vorher klar, dass ich auf MEGADETH getrost verzichten kann. Daher ziehe ich mich erstmals an diesem Abend in das Zelt zurück, das die zweite Bühne des Festivals umgibt. Hier werden um Mitternacht TRIPTYKON erwartet. Man darf gespannt sein.
Bei der finnischen Band OMNIUM GATHERUM kommt man gegen Ende des Abends ein wenig in einen Gewissenskonflikt, wenn man bedenkt, dass Dave Mustaine (MEGADEATH) nebenan auf der großen Hauptbühne an der Gitarre zockt. Für einige Songs lohnt es sich trotzdem, das Partyzelt aufzusuchen. Als Opener wird 'Nail' gewählt, welcher aus dem vorletzten Studioalbum "The Redshift" stammt. Zu Beginn fällt auf, wie klein die Bühne im Verhältnis zum Zelt eigentlich ist. Obwohl die Finnen nicht übermäßig breit sind, merkt man, dass freies Herumlaufen nur schwerlich möglich ist. Die Besucherzahl ist mäßig, aber das lässt sich die Band nicht anmerken und gibt trotzdem ihr Bestes. Sänger Jukka verzückt das Publikum mit seiner rauen Stimme und schafft dabei einen sauberen Übergang zu clean Vocals. Zwischen den Liedern glänzt er mit einem sehr starken finnischen Akzent, der es schwierig macht ihn zu verstehen. Highlight der Show ist das fliegende Mikrofon, welches aus Euphorie versehentlich Richtung Drummer geworfen wird. Keine Sorge, ihm geht's gut und die Show kann weiter gehen. Nach zwei weiteren Liedern verabschiede ich mich aus dem Zelt, um noch etwas von MEGADEATH sehen zu können.
[Hang Mai Le]
Groß! Größer! MEGADETH! Es ist für einen Veranstalter im Metalbereich kaum möglich, einen noch größeren Headliner an Land zu ziehen als die Truppe um Thrash-Urgestein Dave Mustaine. Man kann mit Recht behaupten, dass es eine Sensation ist, dass Megadave der Freilichtbühne in Sankt Goarshausen einen Besuch abstattet, wo er doch sonst nur die ganz großen Events wie das Sonisphere Festival oder die Big-Four-Tour beehrt. Dementsprechend wird es beim Rotschopf und seinem Anhang sehr voll vor der Bühne. Selbst Leute, die sich ansonsten nicht als sonderlich große MEGADETH-Fans bezeichnen würden, sind auf den Rängen auszumachen.
Das Licht auf der Bühne geht aus und die Show beginnt. Mit 'Headcrusher', einem Song vom vorletzten Album, startet der Siegeszug der Amerikaner. Es wird ausgiebig gebangt und der Sound ist ausgesprochen gut. Böse Zungen könnten hier sogar behaupten, dass er "zu gut" sei und dass nicht alles live sei, was dargeboten wird. Allerdings gibt es abseits von einigen Mustaine Spoken-Word-Parts, die im späteren Verlauf ganz offensichtlich vom Band eingespielt werden, keine eindeutigen Beweise, ob auch einzelne Gesänge eingespielt werden. In jedem Fall kann man aber sagen, dass die Setlist heute einfach nur großartig ist und mit 'Angry Again' zum Beispiel oder auch 'Symphony Of Destruction' unsterbliche Klassiker ausgepackt werden, die jedem Old-School-Fan das Höschen nass machen.
Zwischen den Songs präsentiert sich Mustaine etwas wortkarg und macht lediglich mal den Mund auf, als ein Mann mit schwarzem Mantel auf die Bühne kommt, um ihm die Hand zu schütteln. Diese Aktion kommentiert der Bandchef nämlich mit einer flotten Floskel, dass ihn grade Satan gegrüßt hätte. Bei diesem Schwarzheimer muss es sich aber um einen VIP gehandelt haben, denn andere Fans, die ähnliches versuchen, werden von Crew und Security harsch am Betreten der Bühne gehindert. Aber was will man auch schon auf der Bühne, wenn zu Megahits wie 'Peace Sells' und der Zugabe 'Holy Wars' in den vorderen Reihen die Luft brennt? Die begeisterten Fans dieser Ränge werden dann auch noch mit etwas Fannähe belohnt als der Gig vorbei ist und werden von der Band (inklusive Megadave selbst) mit Handschlag verabschiedet.
Da kann man nur festhalten, dass die Mission der Kalifornier erfolgreich war und die Loreley spielend erobert werden konnte. Die Songauswahl, der Sound und die Show, zu der auch ein lebensgroßer Vic Rattlehead gehört hat, verdienen Höchstnoten. Ausfälle gab es keine. Der perfekte Abschluss für den ersten Festivaltag auf der Hauptbühne.
Ob es der späten Stunde oder der sperrigen Schwermut der Musik TRIPTYKONs zu verdanken ist, dass das Zelt bei der letzten Band des Tages eher mäßig besucht ist, muss offen bleiben. Finstere Stimmung lassen Tom "Warrior" und seine jungen Mitstreiter nicht vermissen. Wie immer nur von äußerst spärlichen Ansagen begleitet, lässt die Nachfolgeband der mystischen CELTIC FROST zähfließende Bassläufe und verzerrte Gitarrenklänge zu schattenhaft düsterem Licht von der Bühne erklingen. Begeisterung wird hier nicht ausgelöst, eher befriedigendes Verharren. Schon der Opener 'Procreation Of The Wicked' vom 1984er-CELTIC-FROST-Album "Morbid Tales" betont das Vermächtnis CELTIC FROSTs gegenüber den jungen TRIPTYKON-Helden, die Tom "Warrior" um sich geschart hat. Beim Publikum werden denn auch 'Dethroned Emperor' vom selben Album sowie 'Circle Of The Tyrants' und 'Babylon Fell' mit Zustimmung quittiert. Trotz aller Finsternis lässt Bandkopf Tom dennoch ein wenig Humor erkennen und vergleicht die Wirkung von TRIPTYKON ironisch unterfüttert mit den Auswirkungen der Pest. So hätte er's wohl gern. Um ein Uhr früh verneigt sich TRIPTYKON vorm Publikum und der erste Tag des METALFESTS 2012 ist beendet.
- Redakteur:
- Martin Schneider