NECROPHOBIC, SEAR BLISS, RIVERS ABLAZE und FALLEN TYRANT - Erfurt

11.10.2024 | 13:29

04.10.2024, From Hell

Ein durch und durch finsterer Herbstbeginn.

Sowas aber auch. Jetzt kam der Herbst dann doch schneller und überraschender als erwartet. Das heißt, die BEACH BOYS-Sammlung wandert wieder ins Regal und die Ohren werden (noch) empfänglicher für die düstere, depressivere Schattierung unserer Lieblingsmusik. Insbesondere die verschiedensten Formen des Schwarzmetalls bekommen jetzt die richtigen Rahmenbedingungen, um eine vollumfängliche schwarze Messe zu zelebrieren. Demzufolge musste mich unser Kollege Norman auch nicht zweimal fragen, ob ich nicht Lust hätte auf einen pechschwarzen Abend im "From Hell" in Erfurt. Neben dem Headliner NECROPHOBIC ergänzen SEAR BLISS, RIVERS ABLAZE und FALLEN TYRANT das Line-Up und sorgen so für eine sehr diverse Genre-Veranstaltung, da alle Bands unterschiedliche Aspekte einer sehr ähnlichen Stilistik behandeln. Das klingt auf dem Papier schonmal bockstark und somit findet der Beginn der Wintersasion 24/25 für mich direkt in der Hölle statt. Um euch den Lesefluss etwas zu erleichtern haben wir uns entschieden, dass jeweils ein Redakteur sich zwei Bands vor die Brust nimmt und der andere einfach mal nur Fan sein darf. In diesem Sinne beginnt Norman mit dem Anfang und FALLEN TYRANT.

(Stefan Rosenthal)


Angekommen im "Club From Hell" geht es für mich auf zur obligatorischen Rundschau, wie ich am besten die zu erwartenden Lichtemissionen auf die Speicherkarte bannen kann. Es ist mein erster Besuch dieser recht kultig wirkenden Location. Wenn diese Mauern erzählen könnten... Das Publikum ist noch recht überschaubar und wir spekulieren schon, ob sich das noch signifikant ändern wird. Einige Besucher hier erkenne ich tatsächlich von dem kurz vorher stattgefundenem Konzert in Leipzig wieder. Dort lud ROTTING CHRIST ein, ihr 35-jähriges Jubiläum zu feiern. Mich wundert es nicht, dass sich die Metalszene in Mitteldeutschland auf diese beiden Veranstaltungen stürzt, da diese ja einen recht ähnlichen Musikgeschmack ansprechen dürften.

Den dunklen Auftakt am Abend macht das Trio FALLEN TYRANT aus Darmstadt und präsentiert klassischen Black Metal alter Schule. Passend dazu ist das Bühnenbild mit roten Kerzen gespickt und schafft eine angenehm düstere Atmosphäre. Die ersten Klänge machen klar, der Schwerpunkt liegt hier auf dem Wesentlichen. Ohne Schnickschnack werden brachiale Riffs rausgehauen, die nur von der Stimme des Frontmanns Mithras Sol Invictus an Aggressivität noch übertroffen werden. Die feine Mischung aus Black, Doom und Crunch, wobei der Schwarzanteil deutlich überwiegt, gefällt mir sehr gut. Corpsepaint, Nietengürtel sowie Armbänder runden den düsteren Eindruck ab und machen den Auftritt zu einer stimmigen Sache. Trotz technischer Schwierigkeiten beim Monitoring, welches bei Invictus völlig ausgefallen ist, ziehen die Hessen ihr Ding durch und servieren Welle um Welle ein absolut schwarz-metallisches Soundspektakel. Für mich, der mit Melodic Death Metal aus dem hohen Norden (ohne Bands nennen zu wollen) großgeworden ist, kann es immer schwierig sein, wenn nur einer Gitarre die Riffs entspringen. Eine Zweistimmigkeit oder Rhythmusgitarre bringt einfach immer ein gewisses Volumen mit sich, an das sich meine Ohren allzu gern gewöhnt haben. Hier muss ich aber sagen, dass mir bei FALLEN TYRANT da rein gar nichts fehlt. Die Songs sind genau für dieses Setup geschrieben und benötigen nichts weiter, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Auch am Schlagzeug macht Osiris eine gute Figur, besonders der haarscharfe und nicht übertriebene Einsatz des Ridebeckens trifft genau meinen Geschmack. Was mich etwas irritiert, ist die Tatsache, dass mir die Stücke nicht bekannt vorkommen, obwohl eine entsprechende Vorbereitung auf den Abend meinerseits erfolgt ist. Nicht nur um Demenz auszuschließen, komme ich mit Frontmann Invictus nach dem Auftritt nochmal ins Gespräch und er bestätigte, dass heute Abend fast ausschließlich neue Songs eines noch nicht veröffentlichten Albums gespielt wurden. 2-mal Glück gehabt: zum einen habe ich keine Demenz und zum anderen bin ich in den Genuss von brandneuem Songmaterial gekommen, welches sich auch durchaus erwachsener anhört, als noch auf der 2018 veröffentlichten Scheibe "Children of a Nuclear Dawn". Ein genialer Auftakt der dunkler und zugleich harmonischer nicht hätte sein können. Mit einem durchweg zufriedenen Grinsen im Gesicht gebe ich ab an Stefan.

Setliste: Blue Flame & Tungsten Bolts; Three Strikes; Terminarch//Atheist; Fallen Tyrant Rising; Passage Towards Nameless Terror; Generation 66; Black Stars & Dying Suns

(Norman Wernicke)


In der Tat hat der gefallene Tyrann einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Sein roher Sound ist bei diesem Programm aber auch schon eine kleine Besonderheit. Mit RIVERS ABLAZE folgt nun nämlich direkt ein anderes Kaliber. Nicht nur wird es mit fünf Personen voller auf der Bühne – auch der Klang wird nun deutlich vielschichtiger. Bereits nach dem Genuss von 'Devour Of The Cosmic Flame' ist klar, dass es nun direkt in die progressiven Untiefen des Black- und Death-Metal geht. Jetzt wird mir auch klar, warum Kollege Norman mir diese Band empfohlen hat. Das ist nun wirklich nicht seine Welt. Mir gefällt diese Version von Brutalität aber ausgesprochen gut und somit haben auch die Ungarn nun alle Chancen der Welt, mich zu beeindrucken. Dabei kann man festhalten, dass auch heute Abend eine Regel wieder greift. Die neueren Stücke sind deutlich runder als die ersten Gehversuche der Jungs und haben eine ganz andere Sogwirkung als die übrigen Stücke. Grade der Opener fällt im Gegensatz zum Rest schon deutlich ab. Besonders da als zweiter Track schon 'Citadel Of Antimatter' vom aktuellen Album "Omnipresence" folgt und man so einem direkten Vergleich nicht aus dem Weg gehen kann. Vom gleichen Album wird auch 'Drone Apocalypse' gespielt und auch dieser Song schafft es besonders gut aufzuzeigen, wie entscheiden es ist, dass fricklige Parts, härtere Abrissmomente und sphärische Ambient-Klänge harmonisch ineinanderfließen. Das gelingt dort nämlich ausgesprochen gut. Klar ist das nicht nur für die Band sondern auch für den Hörer komplexer, aber solange man so belohnt wird, sind progressive Klänge nicht bloß Mittel zum Zweck. Mein persönliches Highlight kommt mit 'Artifacts Of Miocene Volcanism' zum Schluss und als ob Oszkár Knapp und Co.  meine Regel weiter bestätigen wollen, handelt es sich bei diesem Kracher um einen neuen Song von der zum Ende des Jahres erscheinenden Scheibe "Reality Shifting Sessions-EP". Das klingt noch etwas geiler ausgearbeitet und traut sich auch noch mehr durchgeknalltere Elemente einzuführen. So soll RIVERS ABLAZE bitte seine Zukunft gestalten. Bei dieser Ausführung bin ich dann gerne öfters mit an Bord.

Setliste: Devour Of The Cosmic Flame; Citadel Of Antimatter; Perished Fountains of Life; Drone Apocalypse; Invocation Of The Consuming Fire; Artifacts Of Miocene Volcanism

(Stefan Rosenthal)


Nun ist es also soweit und ich muss mich meinen Ängsten stellen, denn SEAR BLISS wartet mit einem Bläser (genauer einer Posaune) auf. Meine Phobie gegen Blechblasinstrumente im Metal wird nun entweder austherapiert oder manifestiert, also heißt es jetzt Sekt oder Selters. Als erstes fällt jedoch der sehr schön gearbeitete Mikrofonständer in Form einer Totenmaske auf, welcher mich etwas an das Markenzeichen von Jonathan Davis erinnert. Den haben die Ungarn nun durch halb Europa transportiert, um ihn uns zu präsentieren. Ein echter Eyecatcher und wirklicher Zugewinn für die Show. Das Licht wird gedimmt und SEAR BLISS beginnt mit einem absolut grandiosen atmosphärischen Black Metal Abriss. Man kann es nicht anders sagen, denn die fünf Jungs aus Szombathely fegen über uns hinweg und zerreißen förmlich alles was ihnen in den Weg kommt. Wer es nicht schafft sich abzuducken kommt nicht umhin, völlig durchzudrehen. Sauberes, schnelles Riffing trifft auf eine brachiale Stimmgewalt und geht gemeinsam eine finster-schwarze Symbiose ein. Wie eine Dampflok, angetrieben von epochalen Melodien, bahnt sich SEAR BLISS unaufhaltsam seinen Weg. Über dieser grundsoliden hochkarätigen Instrumentenlinie kommt Zoltán Pál mit seiner Posaune oben auf und hebt die Stimmung auf das nächste Level.

Unglaublich wie viel Akustikvolumen hier freigesetzt wird. Der Auftritt entwickelt sich für mich zu einer Offenbarung. Laut Aussage von Frontmann András Nagy ist dies heute der Tourauftakt um das neue Album "Heavenly Down" zu promoten und man spürt tatsächlich, dass die Band voller Energie strotzt. Mir persönlich gefallen die neuen Songs sehr gut, im Gegensatz zu den älteren Stücken wird hier nämlich weitestgehend auf einen, für mich immer schwer greifbaren, Progressivanteil verzichtet. Ein kleines Manko, um jetzt das Haar in der Suppe zu suchen ist, dass, obwohl hier ein Feuerwerk an Melodien gepaart mit angemessener Härte präsentiert wird, die Songs alle doch recht ähnlich klingen und man sich hin und wieder frischen Wind wünschen würde. Die Themen sind alle sehr gut ausgearbeitet und umgesetzt, jedoch wird es mit der Zeit etwas langatmig, was es mir schwer macht mich bis zum Schluss zu fokussieren. SEAR BLISS ist ein sehr starker Co-Headliner, der zurecht diesen Posten innehat. Ich hätte nicht erwartet, dass mich eine solche Combo so mitreißen würde und werde die Truppe aus Ungarn ab jetzt sukzessive in meine Playlist einbauen. Ob ich therapiert bin? Sagen wir es doch mal so: die panischen Ängste vor Blechbläsern sind weg, aber ich bleibe erstmal in meiner Komfortzone. Mit einem leichten Overflow an Eindrücken gebe ich zurück an Stefan, da ich mich erst einmal sammeln muss.

Setliste: The Upper World; Seven Springs; Watershed; Infinite Grey; The Pagan Winter; Birth Of Eternity; Reverie/Night Journey; Far Above The Trees; Feathers In Ashes; Two Worlds Collide; Chasm; 1100 Years Ago

(Norman Wernicke)


Das ist doch schön zu sehen/hören, dass Norman sich seiner Angst "Blasinstrument" stellen konnte und nun von seiner Phobie geheilt scheint. Fällt die Posaune eigentlich auch unter Aluphobie oder bezeichnet diese Angst ausschließlich Flötenklänge? Da kenne ich ja einige die so schlagartig die Flucht ergreifen. Oder ist es vielleicht eher eine besondere Art der Ligyrophobie? Wir wissen es nicht! Aber wir wissen das keiner von uns beiden über eine Nekrophobie verfügt und wir somit mehr als nur gespannt auf die Live-Qualitäten von NECROPHOBIC sind. Was für eine höllische Überleitung. Es gibt kaum eine Band, die konstant auf den letzten Alben solche Hits in ihrem Genre rausgehauen hat, wie die Schweden. Das wir somit erstklassige Songs hören werden, steht außer Frage. Es gibt eine komplette Reise durch die Diskographie zu hören, wobei sich aus meiner Sicht auch ein paar Überraschungen in der Setliste verbergen. Zwar hätte ich mir einen stärkeren Fokus auf die letzten drei magischen Alben gewünscht, aber wenn man ehrlich ist, kann man auf 'Revelation 666' oder 'Blinded By Light, Enlighted By Darkness' auch null verzichten.

Trotzdem will der Funke nicht überspringen. Die Art wie sich NECROPHOBIC auf der Bühne präsentiert, beißt sich mit meiner Erwartungshaltung und meiner Vorstellung von Black Metal. Das ist im höchsten Maße professionell umgesetzt, ähnelt in seiner Performance aber eher Bands wie VENOM als an WATAIN. Das heißt, es wird ständig Kontakt zum Publikum gesucht, in bester Rock-Star-Manier gepost und Scherze gemacht. Sorry, aber das ist für mich am Thema vorbei. Ich will, dass eine nihilistische und misanthropische Atmosphäre aufgebaut wird, ich mit purem Hass konfrontiert werde und dass eine solche Band in jeder Minute unnahbar erscheint. Besonders Sänger Anders Strokirk hat daran aber gar kein Interesse und schneidet Grimassen im Sekundentakt. Ich kann kaum nachvollziehen, dass dieses die gleiche Band sein soll, die David Parland gegründet hatte und bei der mal jemand wie Jon Nödtveidt gesungen hat. Hier wäre eine bloße SLAYER-Performance (nachdem sich die Band ja offensichtlich nach einem Song benannt hat) Gold wert gewesen, aber die Schweden ziehen ihre Rock'n'Roll-Attitüde bis zum bitteren Ende durch. Die Songs werden natürlich sauber runtergezockt und sind aufgrund der Natur der Sache weiterhin fantastische Ohrschmeichler, aber der Rest des Gigs ist aus meiner Sicht eine herbe Enttäuschung. Vielleicht sieht Norman das ja etwas anders.

Setliste: Stormcrow;, Mark Of The Necrogram; As Stars Collide; Grace Of The Past; The Call; Darkside; Tsar Bomba; Revelation 666; Blinded By Light, Enlightened By Darkness; The Crossing; The Nocturnal Silence, Zugabe: Devil's Spawn Atack

(Stefan Rosenthal)

Ich muss auch zugeben, dass ich die Bühnenperformance von NECROPHOBIC etwas befremdlich finde, weil der Black Metal hierdurch in meinen Augen etwas herabgestuft wird. Trotzdem ist der Abend eine runde Sache, mit sehr guten Bands und einigen positiven Überraschungen. Der Einstieg in die dunkle Jahreszeit hätte nicht besser werden können und wird mir positiv in Erinnerung bleiben.

(Norman Wernicke)


Photocredits: Norman Wernicke

Redakteur:
Stefan Rosenthal

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