NOTHING/ THE WALTZ - Berlin
23.05.2022 | 19:5231.03.2022, Hole 44
Nach langer abstinenter Zeit wieder Bands auf der Bühne. Und ich stehe davor. Ein Experiment, ob es noch passt mit uns.
Der April der Rückkehr sollte es werden. Innerhalb der letzten noch frischkühlen Frühlingswochen habe ich mich wieder an etwas herangetraut, was seit langer langer Zeit nicht mehr möglich war: Konzerte, live, nicht gestreamt oder andersformatig digital aufbereitet und abgehalten. Mit vielen anderen Menschen in abgedunkelten Räumen und Sälen stehen, mit Getränken, die über den anfassbaren Tresen gereicht werden und Trinkgeld im Original in Glasgläser ploppend. Ich bin recht aufgewühlt und ja, aufgeregt, aber dafür muss man in die Vergangenheit schauen.
03.10.2020, also Rückblick. Ich stehe mit Freund und Sohn vor einer kleinen Bühne, überall sind Gitter und Zäune, Gänge und Boxen abgesteckt, man kann an den Seiten jeweils hineinschlüpfen, nachdem man sich an einer Einhundertmeterschlange zum Getränkeholen angestellt hat. Und was ist da vorn, was spielt sich ab, in einer Lautstärke, die etwa Einzwanzigstel dessen darstellt, was ich mir in zig Konzerten in die Ohren laufen ließ? ROTOR ist es, das formidable Quartett, das sich nach Leipzig begeben hat, wie vorher auch Weltmusiker, Jazzer und Klezmerianer, drei Tage vor dem Instrumentalrock der Berlinbrandenburger hat sich DESTRUCTION hier eingefunden. Die Leipziger Club-und Konzertszene hatte sich mit unkomplizierter kommunaler Unterstützung zusammengerauft und eine stilistisch weit geuferte Konzertreihe in das triste Lockdown-Pandemie-Leben installiert. Die Zuschauerzahlen waren nicht überragend, die Musik auflagengerecht nicht sehr laut und damit wirkungsmächtig, die Auflagen, Schleusen und auch Ängste allgegenwärtig. Keine schöne Zeit, überall ist die Tristesse und das Abgekämpftsein zu sehen, hören und spüren. Die Gespräche, die sich ergeben, spiegeln Unsicherheit und Skepsis wider. Und doch ist die Hoffnung spürbar, dass sie wiederkehren, all die Festivals, Clubkonzerte, Kellersessions, Überraschungen und überteuerte Stadionangebereien. Wir fahren frierend und melancholisch mit den Rädern durch das Leipziger Dunkel, aber trotzdem haben wir kurz gelächelt.
31.03.2022, Berlin, im Hole 44, so gegen 20:02. Vier Belgier, unprätentiös, slackerhaft und etwas schüchtern, sind die ersten, die mir nach so langer Zeit die ersten Originalnoten entgegensimsen. Aber THE WALTZ hat schnell die Zurückhaltung abgelegt und legt ein Set hin, das zwischen vertracktem Noisepop und geradlinigem Melodiepunkrock pendelt. Nur allein dabei dem Schlagzeuger – Marke bebrillter Physikdoktorant – zuzusehen, wie er die sperrigen Stücke einleitet und begleitet... es scheint sich doch gelohnt zu haben, sich diesem persönlichen Experiment auszusetzen.
Denn das ist es: Ich bin vor allem hier und das ganz allein ohne Begleitung, um nach fast drei Jahren Abstinenz zuzuhören und in mich hineinzuhören, ob mich Livemusik überhaupt noch abholt und sogar begeistern kann. Da höre und sehe ich diese wilden Rhythmuswechsel, das Wechseln zwischen laut und leise, Gebrüll und Gesang, mehreren Choralen und längeren Noiseattacken. Ja, es funktioniert noch.
Die Belgier können sich hier ganz pünktlich berlinerisch exakt eine halbe Stunde vor uns austoben. Ich habe mir den Namen gemerkt, das Album in bester Tradition belgischer Unangepasstheit ist auf Bandcamp für Pay Whatta You Want erhältlich.
Das Hole 44 ist relativ neu, wie die Regionalauskenner mir bestätigen, passt sich mitten in eine enorm lange Reihe von Restaurants und Imben aller Art ein, gefällt mir vom Konzept und Auftritt recht gut. Mittelschwere Bands, Combos mit fester Fanbasis, junge Bands mit Potential für das Morgen, das ist so das, was ich hier erwarte.
NOTHING ist das schon mal nicht mehr. Junge Band, naja, Mittvierziger eher, gegerbt durch viele Clubpräsenzen. Sie sind ja auch auf dem renommierten Relapse Records Label zu finden, das sich in den letzten Jahren sehr für auch andere Musikstile als Grindcore, Crustcore, Death Metal, Black Thrash, Doom und ähnliches geöffnet hat. Die Band wirkt im Auftreten wie eine Gruppe Freunde, die sich in einer Therapie gefunden haben. Das ist nicht despektierlich gemeint, eher anerkennend. Denn die Texte und der dazugehörige Entwurf Shoegaze-Zartheit plus Fuzzgitarren ist sehr charakteristisch. Ich würde gar behaupten, NOTHING ist für eine Reihe von Bands in eine Art Vorbildstellung geschlichen, denke ich da an SOM, JUNIUS oder CLOAKROOM. Die Lichteffekte prägen den Abend genau wie der dickwandige Sound, der sich nach zwei, drei Stücken gut eingepegelt hat. Oder sind es meine eigenen Ohren, die nun langsam wieder erlernen, die Feinheiten und den Lärm und das Besondere dieser Abende herauszuhören? Ich bin zufrieden, vor allem erleichtert, nachdem ich alle meine Lieblingsdrücker von NOTHING gehört habe, das aktuelle Album ist bei den Hörern so langsam auch verinnerlicht. Ich verlasse das Etablissement in froher Erwartung der Konzerte, die da kommen werden. Selbstversuch geglückt! Bin ja bald wieder da... Berlin.
- Redakteur:
- Mathias Freiesleben