Nebelmond Metal Party - Wertherbruch

09.09.2004 | 10:57

03.09.2004, B-Halle

Auf den verlassenen Landstraßen sinken die Sichtweiten unter fünfzig Meter, ein verschleierter Halbmond leuchtet eigenartig orange hinter den Umrissen dunkler Baumgestalten hervor, in der Ferne heult ein Käuzchen - die diesjährige Nebelmondparty macht ihrem Namen alle Ehre. Eine schönere Stimmung für den Ausklang eines Metalabends kann man sich nicht wünschen!

Neben mir sitzt Knuut M. Valle im warmen, von Kerzen erhellten Zelt und räuchert die nebelige Nacht noch ein bisschen mehr zu. Inzwischen hat sich der ARCTURUS-Gitarrist wieder entspannt und blickt gelassen auf den ersten Auftritt der Band in deutschen Landen zurück. Obwohl die Jungs erst zum sechsten Mal in der 15jährigen Bandgeschichte auf einer Bühne gestanden haben, hat das Zusammenspiel heute Abend richtig gut funktioniert. Nur Knuut hatte Pech mit seinem Verstärker, den er aus lauter Wut beinahe dem Veranstalter gegen den Kopf gehauen hätte. "Der (Verstärker - Anm. d. Verf.) mochte mich irgendwie nicht." Ein neuer war zwar schnell parat, aber das Problem blieb. Knuut hat trotzdem durchgehalten. "Wir brauchen definitiv mehr Live-Erfahrung!", wirft Bassist Hugh ein.

Darum geht es auch gleich weiter nach Mailand, wo ARCTURUS zusammen mit RED HARVEST einen wohl jetzt schon legendären Gig spielen werden. In fünfzehn Minuten ist Abfahrt! "Sie sind gute Freunde von uns. Wir freuen uns schon sehr auf das Konzert mit ihnen!", sagt Hugh über seine Landsmänner.
Abgeräumt haben ARCTURUS bereits vor zwei Wochen im norwegischen Nest Gjerstad beim Mølla-Festival. Dort - mitten zwischen norwegischen Tannen, schroffen Felsen und Wasserfällen - spielten sie zusammen mit lauter kleinen, größtenteils einheimischen Bands. "Das Gelände liegt ganz in der Nähe von meinem eigenen Studio" erklärt Knuut. "Dort werden wir das neue ARCTURUS-Album aufnehmen."

"Sverd hat bereits fünf neue Songs geschrieben. Es bleibt bei den Keyboard-basierten Kompositionen. Stilistisch werden sich die Stücke sicher an "The Sham Mirros" orientieren", ergänzt Hugh. Aber bei ARCTURUS sollte man mit Voraussagen lieber vorsichtig sein. Das Konzept steht noch in den Sternen. Interessant wird auf jeden Fall der Einfluss des SPIRAL ARCHITECT-Sängers Øyvind Hægeland, der zum ersten Mal eigene Texte beisteuern wird. Auch Jan aka Hellhammer wird seine Drum-Parts in jedem Fall wie gehabt selber schreiben. "Man tauscht halt aus, was bisher an Musik vorhanden ist. So lassen sich auch Distanzen von Hunderten von Kilometern zwischen den einzelnen Wohnstätten der Bandmitglieder überbrücken."

Es sieht fast so aus, als ob ARCTURUS erst bis nach Deutschland reisen müssten um mal als komplette Band versammelt zu sein. Mit dabei sind auch zwei neue Tänzerinnen. "Zum Glück! Sie machen ihre Sache viel besser, als die vorherigen!" Damit meint Hugh wohl den Auftritt letztes Jahr beim "Hole In The Sky" im norwegischen Bergen, wo die zwei rot-weißen Harlekine mit ihrer lasziven Darbietung und bluttriefenden Mäulern eine memorable Show hinlegten und damit arg von der Musik ablenkten. Heute Abend setzten dafür zwei sehr grazile, ganz in Schwarz, Weiß und Silber gehüllte weibliche Clowns die "Masquerade Infernale" in höchst Ansprechender Weise in Tanz um. Abgeschminkt und mit nachdenklicher Mine sitzt eine der Zwillingsgestalten nun im Kerzenschein und wartet auf den Aufbruch. "Los geht's!" Der hellste Stern des Nordens verlässt das Haus des Nebelmondes und tritt seine Reise gegen die Zeit an.

Es ist 0:00 Uhr. ARCTURUS haben die Enterprise gekapert und führen ihr Publikum durch Wormlöcher. "Welcome this transmission from a fallen star (...) known as Arcturus!" Das Schiff ist voll, die Besatzung der Zukunft hat sich in barockem Stil uniformiert: wallende Samtmäntel, seidene Hemden und Rüschen. Edel wirkt das kosmische Quintett auf der taghell erleuchteten Brücke, von der es seine elektromagnetischen Wellen ins All der Publikumsschar sendet.

Energie! Von Anfang an singen die Fans textsicher jede Zeile mit. Es wird lautestens gejubelt, die Begeisterungsausbrüche sind auch auf Holländisch zu verstehen. Schließlich liegt Wertherbruch ganz in der Nähe der niederländischen Grenze. Über und über strahlende Gesichter sind über jeden Zweifel erhaben: Es ist eine kaum zu beschreibende Freude hier zu sein, beim ersten Deutschland-Gig von ARCTURUS, dem zweiten überhaupt außerhalb norwegischer Grenzen. Wie lange musste mancher Fan darauf warten?!

Der eine lernte die Band erst 2002 mit dem letzen Werk "The Sham Mirros". Für ihn muss dieser Gig sehr aufregend sein, da er bei immerhin fünf Songs mitsingen kann und somit fast das gesamte Album zu hören bekommt. Zudem dürfte er überrascht sein, wie sehr die älteren Stücke in ihrer rohen Live-Form doch dem Black Metal zugetragen sind. Andere verfolgen ARCTURUS schon seit dem 95er Album-Debüt oder sogar noch länger und freuen sich eben über die drei nach wie vor sehr atmosphärischen und dunklen Songs aus "My Angel"-, "Constellation"- und "Aspera Hiems Synfonia"-Zeiten. Es gibt aber auch einige wenige den engen Genre-Grenzen zu sehr verhaftete, die mit der Live-Form anno 2004 nicht zurechtkommen und kopfschüttelnd den Saal verlassen. Für sie ist wohl die Zeitrechnung im Jahr 1993 stehen geblieben. Zum Glück handelt es sich bei ihnen um Ausnahmen; vielleicht hat sie ja auch einfach das preisgünstige Bier ausgehebelt. Die Getränkemarken zu 1,50 Euro sind der Renner!

Die große Mehrheit aber entdeckte 1996 eines der genialsten und zeitlosesten Alben des Genres und viele halten "La Masquerade Infernale" nach wie vor für das beste Werk der Band. Drei Lieder davon bringen ARCTURUS heute Abend auf die Bühne, begleitet von dem perfekt auf Rhythmus und Intensität der Musik abgestimmten Tanz der bösen Harlekins. Die beiden Figuren wirken wie Negativ und Positiv, Zwillingen gleich ähneln sich ihre maskenhaften Gesichter. Über die kalkweiße Schminke fließen filigran hauchzarte schwarze Linien über Augen, Mund und Lider. Während ihrer Zeit auf der Bühne verziehen sie keine Mine, todernst schauen sie starr in das tobende Publikum. Jede ihrer Bewegung verläuft absolut synchron. Die zwei Mädchen verkörpern Perfektion in ihrer beängstigendsten Form: absolute Kontrolle über jedes Körperglied, durchbohrender Blick aus alles ins Visier nehmenden Augen, emotionslose Gesichtszüge und Unnahbarkeit, unberührt gegenüber allem Geschehen um sie herum - dem Zufall wird keine Chance gelassen, bis bei 'The Chaos Path' plötzlich alles zusammenzubrechen droht.

Alles nur Illusion! Gitarrist Knuut kämpft erbittert mit der Realität: sein Pedal versagt den Dienst und das Spiel der Saiten verliert sich in der Unhörbarkeit. Dennoch versinkt das Set nicht im Chaos; noch einmal kommen die Clowns heraus und geben alles bis zur totalen körperlichen Erschöpfung wie auch der Rest der Band. Ein fulminantes 'Starcrossed' und das mit Höchstgeschwindigkeit heizende 'Radical Cut' verlangen Band und Fans ein letztes Mal höchsten Einsatz ab. Auch ohne die Unterstützung durch Samoth's kraftvolle Stimme meistert Øyvind alle stimmlichen Hürden. Überhaupt hat er sich inzwischen sehr gut mit den meisterlichen Gesangslinien seines Vorgängers zurechtgefunden, bezwingt Höhen und Tiefen auf seine eigene Weise, ohne zu versuchen Garm's Stimme eins zu eins zu ersetzen. Mit schmerzvoll verzogenem Gesicht sowie ausdrucksstarken und emotionsgeladenen Gesten macht er mehr als deutlich, dass er hundert Prozent hinter den Songs und Texten steht. Seine Zukunft liegt definitiv bei ARCTURUS, seine Vergangenheit in einer Progressive-Band wie SPIRAL ARCHITECT kann nur bereichernd sein.

Bei dem finalen Schlussstreich sollte dann auch der letzte Drummer beschämt feststellen, das Hellhammer der beste ist. In aller Ruhe, aufs Höchste konzentriert und erstaunlich milde dreinschauend verrichtet er seine Arbeit, versteckt hinter all den Trommelfellen und lautgebendem Blech. Die Double Bass-Drums sind vierfach verkabelt, jeweils zum einen stereo und zum anderen mit Effektgeräten. Der selbe Aufwand wurde für Gitarren und Mikro betrieben. Einen besseren Live-Sound kann man für ARCTURUS kaum realisieren. Hier hat der Nebelmond e.V. klasse Arbeit geleistet.

Kein Wunder, dass Darius (einer der fleissigen Veranstalter) nach dem 70minütigen Gig erleichtert aufatmet. "Der Umbau ging aber schon bei DISILLUSION los. Da mussten schließlich acht Musiker verkabelt werden. Es war aber auch eine toller Auftritt." Neben dem Headliner des Abends zählten die Leipziger Avantgarde-Metaller sicherlich zu den Publikumslieblingen. Die Umsetzung ihres Meisterwerkes "Back To Times Of Splendor" mit drei zusätzlichen Session-Musikern war auch etwas ganz besonderes am heutigen Tag. Morgen wird mit Bands wie PATH OF GOLCONDA, THE SHITHEADZ, DEKADENZ, WARCHILD X, PREJUDICE, LAID IN ASHES, SACRASPHEMY, DARK SUNS, GRABNEBELFLÜSTERN, NEBULAR MOON, HELRUNAR, ABADDON und THE VISON BLEAK als krönendem Abschluss sicherlich genauso grandios. Da kommt ein hartes Stück Arbeit auf das Nebelmond-Team zu.

Zu gern wäre ich dabei, aber mein Fahrer drängt zur Rückreise. Doch allein das Erlebnis ARCTURUS hier gesehen zu haben war die weite Anreise wert. Dafür fährt man schon mal sechshundert Kilometer quer durch die Republik. Hätte uns nicht ein dreistündiger Stau vor Dortmund einen Strich durch die Rechnung gemacht, wäre dieser Bericht auch noch ein Stückchen länger ausgefallen. Daher ein Sorry an FALL OF SERENITY, GUERILLA, BURDEN OF GRIEF, DISILLUSION und SECRETS OF THE MOON! Ich hoffe das nächste Mal ist das Schicksal gnädiger...

Setlist: ARCTURUS

Kinetic
Nightmare Heaven
Painting My Horror
Raudt Og Svart
Deception Genesis
To Thou Who Dewellest In The Night
Alone
Ad Absurdum
The Chaos Path
Morax
--
Starcrossed
Radical Cut

Redakteur:
Wiebke Rost

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