Norwegian Metal Night - Berlin

26.09.2005 | 17:53

14.09.2005, Knaack

Zum Glück gibt es an diesem Mittwochabend mitten in der Berliner Popkomm das K17. Sonst wäre der Knaack-Club wohl noch voller. "Norwegian Metal Night" heißt die Kopfschüttel-Veranstaltung, die hier läuft. Parallel dazu treten ein paar Kilometer weiter östlich NILE, BEHEMOTH und Konsorten auf. So herrscht im Innenraum des Knaack fast familiäre Atmosphäre, als MADDER MORTEM die Bühne entern. Gleich fängt es an zu rocken. Und sofort wird klar, dass die Norweger eine ganz eigene Interpretation von Melancholie liefern. Denn sie klingen im Gegensatz zu anderen Bands - vor allem im Gothic-Bereich - viel unaufdringlicher, einfach musikalischer. Besonders die Stimme von Pummel-Frontfrau Agnete hallt unverdorben von Abmischereien fehlerfrei durch den Saal, in einer Tonlage, die selbst Weiber-Gesang-Hasser erträglich finden können. Dazu toben sich die fünf Musiker in Songs wie 'M For Malice' oder 'Necropol Lit' auf progressiv-hohem Niveau aus und versprühen gleichzeitig zusammen mit ihrer Sängerin kaum zu bändigende Freude beim Metal-Musizieren. Groß. Und die beiden neuen Songs vom kommenden Album lassen die Zukunft von MADDER MORTEM noch größer erscheinen...

Ähnlich hochkarätig spielen AUDREY HORN ihre Rock-Songs. Sänger Toschie sieht mit seiner gegelten Halblangfrisur zwar etwas schleimig aus, der Sound der Jungs ist aber über jeden Zweifel erhaben. Kein Wunder, spielen doch hier gleich ein paar norwegische Elite-Musiker: von ENSLAVED die beiden Gitarristen und der Keyboarder, dazu noch der Basser von GORGOROTH. Spätestens an dieser Stelle stellt sich auch wieder die Frage nach der Kreativität: Wie viel soll davon noch aus Norwegen kommen? Denn AUDREY HORN sind zwar eine junge Band, aber eben eine aus gestandenen Musikern - und deshalb rocken sie im Knaack ungemein stimmungsvoll, emotional, ein wenig melancholisch. Das einzige Manko sind des Sängers Vocals: Sie klingen "nur" OK, aber leider nicht völlig verzaubernd. Eine Rock-Stimme eben - zusammen mit einer Band, die zu höheren Sphären berufen scheint und wie geschaffen dafür ist Vorurteile zu wiederlegen, dass Black-Metal-Musiker im Prinzip nur Krach produzieren können. Rock on - so cool kann norwegische Musikvielfalt klingen.

Dieses Kompliment lässt sich im Prinzip auch gleich den fünf Sound-Visionären von RED HARVEST machen. Von der ersten Minute an regiert ihr Chaosfeeling und ihre musikalische Macht, das All um den Hörer gänzlich schwarz zu machen, die Ohren in apokalyptischen Endzeitvisionen zu ersticken. So wummern die Bässe in Körpern, wühlen sich ganz tief in die Eingeweide, während Front-Schrank Ofu Khan wie ein Berserker in sein Mikrofon brüllt. Verzerrte Stimmen und heulende Sirenen gesellen sich dazu, einfach der ganze akustische Krimskrams für die letzten Tage der Menschheit. RED HARVEST spielen für diese Zeit schon jetzt den perfekten Soundtrack, ein Bastard aus Death Metal und Industrial der härtesten Sorte - besonders nackenbrechend im Midtempo-Modus. Die Fans im Knaack sind leider nicht gänzlich überzeugt, noch herrscht zu viel Bewegungsarmut im sich immer stärker füllenden Raum. Wenigstens die Applaus-Lautstärke steigt unaufhörlich, am Ende von RED HARVEST heißt hier das Attribut in jedem Sinne "ohrenbetäubend". Bleibt die These, dass eine konsequente Verbindung von Techno, Industrial und Metal zu überfahrenden Ergebnissen führen kann: Scheuklappen ab, mehr davon!

Und ENSLAVED? Auf die Band wartet eine inzwischen deftig angeheizte Meute. Eigentlich müssen Grutle und Co. nicht viel machen, schon ab Song Nummer Eins - 'Isa' - ist die Euphorie groß. Es ist eben diese gesunde Mischung aus progressivem 70er-Gitarren, melancholischen Trauertönen und den immer noch vorhandenen Black-Metal-Wurzeln, die ENSLAVED zu so einer besonderen Band macht. Da fällt die Einordnung schwer: Viking Metal? Noch bedingt, aber zu vielschichtig, um die Band auf diesen simplen Begriff zu reduzieren. Ein Song wie 'The Voices' ist viel mehr, Angriff, Wut, Trauer, Enttäuschung, Aufbruch. So verläuft auch der Rest des Konzerts in einem Rausch der Emotionen, die ENSLAVED in ihren endlos lang erscheinenden Songs erschaffen, egal ob sie nun Riffs aus ihren Anfangszeiten in den frühen 90ern spielen oder neuere Melodien verwenden - diese Band klingt zu jeder Sekunde zeitlos. Toll, dass Norwegen solche begnadete Soundartisten hervorbringt. Und toll auch, dass die Plattenindustrie und ihre Popkomm-Messe dieses Land inzwischen entdeckt hat, ohne der dortigen Musik ihrer Seele zu berauben: ENSLAVED als Gewinner des diesjährigen norwegischen Grammys sind dafür eins der besten Beispiele - wie alle anderen drei Bands bei dieser "Norwegian Metal Night" eigentlich auch.

Redakteur:
Henri Kramer

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