OPEN FLAIR FESTIVAL 2025 - Eschwege
27.09.2025 | 15:5106.08.2025, Werdchen
Eschwege bleibt stabil!
Am zweiten Augustwochenende stehen Musikfans in Deutschland traditionell vor der Qual der Wahl: Die Vielfalt an Festivals und Konzerten ist überwältigend. Ein Luxusproblem der schönsten Art. Während viele meiner Kollegen nach Schlotheim pilgern, um beim diesjährigen PARTY.SAN METAL OPEN AIR den extremeren Klängen unserer Szene zu huldigen, oder in Hildesheim beim M'ERA LUNA dem sommerlichen Augustwetter eine ordentliche Portion Schwarz entgegensetzen, habe ich mich entschieden, ein Versprechen aus dem Vorjahr einzulösen.
Mein Ziel: Eschwege, zum OPEN FLAIR FESTIVAL. Wer sich für die Ausrichtung dieses familienfreundlichen Festivals interessiert, das vom gemeinnützigen Arbeitskreis Open Flair e.V. organisiert wird, dem lege ich meinen Rückblick auf das Open Flair 2024 ans Herz. Denn auch 2025 bleibt der Charakter dieser Veranstaltung unverändert: Ein Programm, das Geschmäcker aller Art bedient, eine klar und offen gelebte politische Haltung sowie ein Stadtfest-Flair, das trotz namhafter Headliner spürbar erhalten bleibt und dafür sorgt, dass die wahre "Musik" oft auch abseits der großen Bühnen spielt. Ein ganz besonderes Flair eben.
Auch 2025 ist das Festivalgelände wieder auf der idyllischen Werra-Flussinsel Werdchen beheimatet und traditionell fällt am Mittwoch mit der Eröffnung der Seebühne der offizielle Startschuss. Wer sich ursprünglich auf den Weg zum SonneMondSterne gemacht und dabei verfahren hat, kann sich im Elektrogarten austoben. Dabei handelt es sich um eine kleine Techno-Parzelle im Flair-Kosmos. Abgesehen von einem kurzen Abstecher am Samstag habe ich es diesmal allerdings wieder nicht geschafft, diesen Bereich ausführlicher zu erkunden – vielleicht dann 2026? Parallel dazu sorgen die ersten Walking-Acts für Festivalstimmung. Doch das Herzstück des Auftakts schlägt wie gewohnt auf der großen Bühne am Werratalsee.Ihr kennt das sicher: Es gibt einfach zu viele Konzerte und Festivals im Jahr, und mit den Urlaubstagen muss man haushalten. Deshalb komme ich erst am Mittwochabend in Eschwege an, gerade rechtzeitig, um bei RAUM27 entspannt vor der Bühne zu stehen. Mit FOCUS. habe ich damit leider einen möglichen Höhepunkt verpasst, wie mir auch meine Freunde später bestätigen. Und nein, es handelt sich nicht um die niederländische Progressive-Rock-Legende, sondern um Hardcore-Punk aus Riesa. Sonst hätte ich tatsächlich noch einen zusätzlichen Urlaubstag geopfert.
Aber sei's drum: Das Festival startet für mich mit gechilltem Indie-Pop aus Bremerhaven. Im Gegensatz zum letzten Jahr habe ich diesmal eine andere Strategie gewählt: (fast) keine Vorab-Recherche, sondern überraschen lassen. Und das funktioniert erstaunlich gut. Hatte ich RAUM27 noch irgendwo als Duo abgespeichert, freue ich mich umso mehr, dass die beiden Köpfe auf eine komplette Live-Band setzen. So bekommt der Sound eine schöne Fülle.
Die Mischung aus Schrammelgitarren, sanften Klavierakkorden und melancholischen Pop-Melodien erinnert mich mehr als einmal an AnnenMayKantereit. Bei Songs wie 'Oft gesagt' oder 'Bitte bitte' hätte ich in einem Blindtest vermutlich daneben gelegen. Immerhin: Die Musik geht ins Ohr, manchmal sogar in die Beine, und der Kopf nickt gelegentlich mit. Besonders Neu-Bassistin Louise wirkt, als hätte sie sichtlich Spaß, fügt sich nahtlos in die eingespielte Crew ein und setzt eigene Akzente. Insgesamt ist mir das Ganze zwar etwas zu soft, zu gefällig und textlich recht zeitgeistig, aber auf jeden Fall wieder eine Band mehr auf meiner Bucket-List.Auch MAXÏMO PARK habe ich bisher noch nie live erlebt (wo auch?), aber diesmal weiß ich zumindest grob, was mich erwartet. Ihr Überhit 'Books From Boxes' läuft regelmäßig auf der Party-Playlist im Hause Rosenthal und dient dort quasi als Blaupause für die perfekte Mischung aus Indie-Rock, Britpop und Post-Punk. Es gibt nur wenige Bands, die so britisch klingen wie Sänger Paul Smith und seine Mitstreiter aus Newcastle. Und tatsächlich: Die keyboardlastige Formation hat deutlich mehr kleine Semi-Hits im Gepäck, als ich gedacht hätte und alle unverkennbar im starken Signature-Sound der Band verwurzelt, der ihre Herkunft zu keiner Zeit verleugnet.
Spannend ist dabei ein Effekt, den man als Metalhead erstmal einordnen muss: Die Songs klingen live kaum härter als auf Platte. Wer bei einem Track wie 'Our Velocity' mit einem spontanen Headbanging gerechnet hat, wird kurz irritiert. Doch MAXÏMO PARK trägt das gemütlich-beschwingte Soundkleid mit beeindruckendem Selbstbewusstsein. Besonders Keyboarderin Jemma Freese verkörpert auf der Bühne auch visuell, wie die Band ihre eigene Musik versteht und zwar konzentriert, lässig, unaufgeregt. Unterm Strich ein wirklich starker Auftritt.
Allerdings bleibt das Publikum überraschend verhalten. Die ganz große Euphorie will nicht aufkommen, und man hört hier und da auch skeptische Stimmen, ob MAXÏMO PARK tatsächlich das Zeug zum Headliner hat. Wenn man mich fragt - definitiv. Beim folgenden GROSSSTADTGEFLÜSTER kann man den Feier-Regler dann wieder höher drehen. Da ich aber den fluffigen-Sound der Engländer noch etwas nachhallen lassen möchte und mit diesem Elektropop aus der Hauptstadt wenig anfangen kann, suche ich für heute das Weite.
Am Donnerstag wird das Alternativprogramm spürbar erweitert: Nun öffnen auch die Bühnen im E-Werk, dem Kleinkunstzelt, dem Schlosspark, dem Weinzelt und auf der Hofbühne und buhlen um die Gunst des Publikums. Ich nutze den Tag vor allem, um Dinge nachzuholen, die beim Flair bisher zu kurz gekommen sind: gemütlich durch die Fußgängerzone schlendern, die zahlreichen Walkacts bestaunen, in echten Restaurants essen (statt 15 Euro für eine Snackbox zu investieren) und das schöne Wetter in einem der vielen Biergärten oder auf der Werraterrasse genießen. Genau das macht den besonderen Charakter des Open Flair aus: Dieses Festival ist mit keinem anderen vergleichbar. Auch wenn das Musikprogramm offiziell erst gegen Mittag beginnt, entsteht hier nie Leerlauf oder gar Langeweile. Für mich soll es um 15:30 Uhr auf der Seebühne mit ELL weitergehen – doch vor Ort zeigt sich, dass das Line-up kurzfristig geändert wurde. Stattdessen spielt FRYTZ, ein Solo-Künstler, der Hip-Hop mit LoFi-Pop verbindet. Ich finde es immer bemerkenswert, wenn jemand den Mut hat, ganz allein auf einer großen Bühne zu stehen und ein komplettes Set durchzuziehen. Mit Loops und elektronischen Spielereien kämpft sich FRYTZ aus seiner anfänglichen Nervosität, streut kleine Gitarrenparts oder ein Schlagzeug-Solo ein und überrascht sogar mit einem gelungenen JULI-Cover ('Regen und Meer'). Unterm Strich bleibt der Auftritt für mich aber zu dünn, da es an Substanz fehlt, um wirklich zu überzeugen.
Auch die nachfolgende Band TRIPKID kann mich nicht vollständig überzeugen. Vollmundig als "Band mit unerwartet harten Gitarren" angekündigt, landet man live doch recht unsanft in der Realität. Im Kern bleibt es Deutsch-Pop, der mit allerlei Supplements aufgepumpt wird, um den Zeitgeist möglichst passgenau zu treffen. Das ist keineswegs schlecht (Songs wie 'One-Night-Stand' funktionieren durchaus), aber der große Wurf oder gar das "nächste heiße Ding" ist es eben nicht.
Textlich bewegt sich die Band ebenfalls in derselben Blase, in der ein Großteil des Line-ups unterwegs ist: solide, aber ohne echte Reizpunkte. Am ehesten bleibt 'Unsere Schwestern' im Ohr hängen, obwohl auch hier der Text nicht wirklich ausgereift wirkt. Der Rest reiht sich brav dahinter ein und dürfte wohl eher das Lebensgefühl von 16-Jährigen ansprechen, für die Selbstzweifel und depressive Frustspiralen ein großes Thema sind. Für jemanden, der mit sich selbst im Reinen ist, nutzt sich dieser permanente Hang zur Selbstzerstörung schnell ab und erzeugt am Ende sogar eine gegenteilige Wirkung. Dass mir währenddessen plötzlich der alte DIE DOOFEN-Klassiker 'Nu lach doch mal' durch den Kopf schießt, spricht vermutlich Bände.Doch genau dafür hat das Open Flair die passende Pille parat: REIS AGAINST THE SPÜLMACHINE liefert pures Comedy-Gold für die Ohren. Das kongeniale Duo aus Buxtehude und Oldenburg bringt die Stimmung innerhalb von Minuten zum Überkochen und feuert in atemberaubender Geschwindigkeit eine Rock- und Pop-Parodie nach der anderen heraus. Ganz in der Tradition von David und Jerry Zucker muss dabei nicht jeder Gag zünden, denn entscheidend ist das Tempo, das so hochgehalten wird, dass man kaum Zeit zum Durchatmen hat. Selbst wenn der Humor mal nicht ins eigene Zentrum trifft, bleibt festzuhalten, dass textlich das meiste schlicht brillant ausgearbeitet ist.
Ich habe die beiden schon als Vorband von VERSENGOLD gesehen, und meine damalige Vermutung bestätigt sich heute. Auf einem Festival funktioniert das Ganze noch einmal eine Ecke besser. Ein obligatorischer Ballermann-Schlager wie 'Hast du Saufen mal probiert' (nach '1000 und 1 Nacht') zündet hier überragend, auch die Beach Boys-Verhunzung 'Saufen an'nem See' ('Surfin' U.S.A.') passt zur Seebühne wie die Faust aufs Auge. Mein persönliches Highlight ist allerdings, was das Duo aus WHEATUS 'Teenage Dirtbag' macht. Ihrer Version zur Hymne auf unsere geliebten, verranzten Lieblingsshirts ('Shirt weg') ist ein Festival-Highlight. Mittlerweile läuft REIS AGAINST THE SPÜLMACHINE den Kult-Spaßrockern von J.B.O. locker den Rang ab, zumindest was Cover-Comedy angeht. So gut waren die Erlanger höchstens Ende der Neunziger. Für mich ist klar: Freigabe für sämtliche Metalfestivals erteilt.Diese Freigabe hat FUTURE PALACE nicht mehr nötig. Die Berliner Post-Hardcore-Band um Frontfrau Maria Luise Lessing hat sich längst einen Namen gemacht und auch heute gelingt es ihr, mit einer grundsoliden Performance Eindruck zu hinterlassen. Das Publikum dankt es mit entsprechendem Enthusiasmus, und auch ich habe meinen Spaß an diesem modernen Mix aus Alternative Metal und Hardcore. Die Pommesgabel wandert mehrfach gen Himmel, auch wenn ich ehrlich gestehen muss, dass FUTURE PALACE im Flair-Line-up vor allem vom raren Angebot an Metalbands profitiert. In einem stärker besetzten Umfeld würde ich sie mir vermutlich nicht zwingend noch einmal ansehen, dafür ist die Konkurrenz in dieser Richtung einfach zu groß und teils deutlich stärker. Spaß macht ihr Auftritt heute trotzdem, keine Frage.
Ganz anders der nächste Act auf meinem Zettel: SKI AGGU. Selten habe ich mich auf einem Festival so deplatziert und alt gefühlt wie während seines Headliner-Slots. Ich möchte nicht respektlos klingen, aber in meinen Ohren hat das, was er präsentiert, wenig mit Musik im klassischen Sinne zu tun. Es ist vielmehr emotionslose Partybeschallung für TikTok-Ohren mit Songs, die nicht länger als 60 Sekunden durchdacht wirken, bevor die nächste Idee hereinstolpert. Vieles klingt wie lose Skizzen oder die Vertonung eines wilden Brainstormings.
Auch die Show selbst wirkt zerfahren. Mr. Skibrille rappt in überdrehtem Tempo Idee um Idee herunter, ohne dass jemals ein wirklicher Spannungsbogen entsteht. Eine Headliner-würdige Performance? Fehlanzeige. Im Grunde gibt es nur ihn mit seiner Skimaske und das war's. Zwar feiern einige Hardcore-Fans die Nummer ekstatisch ab, doch der Großteil des Publikums vor der Seebühne begegnet dem Auftritt mit Skepsis oder schlichtem Unverständnis.
Bezeichnend: Am meisten Stimmung kommt bei einem 90er-Medley auf, das nicht einmal von ihm gecovert, sondern 1:1 vom DJ abgespielt wird. Selbstverständlich in zerhackten 30-Sekunden-Schnipseln, als würde ein Betrunkener planlos durch die Party-Playlist skippen. Auch die Euro-Dance-Version von 'Friesenjung' am Ende kann da nichts mehr retten. Ganz im Gegenteil: Man hat das Gefühl, dass viele den kompletten Auftritt nur für diesen einen Song durchgehalten haben. Mein Fazit: Das war mit großem Abstand der schlechteste Auftritt, den ich seit Jahren gesehen habe. Und ich habe viel gesehen.Aus so einem Tief muss man das Publikum erstmal wieder herausholen. Doch THE BUTCHER SISTERS (kurz TBS) gelingt das spielend. Der extrem junge Sechser aus dem Rhein-Neckar-Kreis hat seine Feuertaufe auf einschlägigen Metal-Festivals längst hinter sich, und seine Mischung aus 90er-Crossover und Nu-Metal-Hybriden zündet auch hier sofort. Natürlich ist das Ganze extrem prollig, und der Jogginghosen-DIY-Ansatz sorgt stellenweise für gepflegtes Fremdschämen. Aber: Die Songs sitzen wie eine passgenaue Ray-Ban beim Headbangen. Immer wieder fragt man sich, warum man selbst eigentlich nicht auf solchen Nonsens gekommen ist. Hexenwerk ist es schließlich nicht, was da auf der Bühne passiert. Doch wie so oft gilt: Nicht reden, sondern machen. Und genau das tut TBS mit Erfolg.
Mit Nummern wie 'Sonnenbrille', 'Bauchtasche' oder 'Bierdurst' liefert sie genau den Soundtrack, der in diesem Setting einfach knallt. Zum kompletten Freidrehen fehlen mir persönlich an diesem Tag zwar zwei bis drei Herrengedecke und eine nicht näher definierte Zahl an Long-Island-Iced-Teas, aber auch in nüchterner Verfassung kann ich mich den Gaga-Hymnen nicht entziehen. Party bestellt, Party bekommen, was will man mehr? Vielleicht noch die neue Wacken-Hymne, die die Jungs gemeinsam mit DORO aufgenommen haben? In diesen "Genuss" kommen wir an diesem Abend zwar nicht mehr, aber auch so ist es ein rundum gelungener Tagesabschluss.
Der Freitag startet für mich mit der Aufnahme unseres aktuellen POMMESGABEL-Podcasts, sodass ich erst etwas verspätet das Festivalgelände betrete. Ab heute läuft auch auf der Radio Bob!-Bühne und der Freibühne das Programm – und genau dort beginne ich meinen Tag. Mit CHAOSBAY eröffnet gleich ein alter Bekannter und feuert seine Variante von modernem Djent-Prog-Metal ins Publikum. Kaum eine Band habe ich in den letzten drei bis vier Jahren öfter live gesehen, daher weiß ich ziemlich genau, was mich erwartet und die Jungs, inklusive ihrer Harzer Beteiligung, liefern gewohnt stark ab. Auch wenn ich persönlich die "Asylum"-Ära noch immer ein wenig vermisse und mich das letzte Album nicht restlos überzeugt hat, macht die heutige Mischung aus älteren und neueren Songs richtig Spaß.
Passend zum Release-Day hat es auch die brandneue Single 'Enemy' in die Setliste geschafft und zumindest heute habe ich das Gefühl, dass die Formkurve wieder deutlich nach oben zeigt. Dem Publikum gefällt's ebenfalls: Der Platz ist gut gefüllt, und gerade die vereinzelten PERIPHERY- oder TESSERACT-Shirtträger gehen begeistert mit. CHAOSBAY entwächst ihrem Geheimtipp-Status Schritt für Schritt und das völlig verdient.Für Freunde der härteren Gangart geht es direkt weiter: Nur ein kurzer Schwenk rüber zur Hauptbühne, und schon gibt's mit BETONTOD die volle Dröhnung. Hier weiß man ebenfalls, was einen erwartet, nämlich straighter Punkrock, der wie bei kaum einer anderen deutschen Band immer wieder stark mit Metal flirtet. Das aktuelle Album "Zeig Dich" (2023) liefert mit fünf Songs das Rückgrat des Sets, doch auch mein persönlicher Favorit "Traum von Freiheit" ist mit drei Nummern vertreten.
Dazu kommt ein buntes Potpourri aus allen Schaffensphasen der Band. Ein Stück wie 'Keine Popsongs' wirkt zwar inzwischen etwas überholt und passt nicht mehr so recht ins restliche Programm (zumal es ironischerweise selbst einige Pop-Elemente trägt), aber das Publikum feiert es trotzdem. Die Stimmung ist ohnehin schon großartig, und die obligatorischen "Ohohoho"-Chöre verfehlen ihre Wirkung nicht. Zwiespältig bleibe ich beim Bühnenaufbau: Einerseits ist der umgestürzte Polizeiwagen ein starkes Element, besonders wenn er bei 'Traum von Freiheit' wirkungsvoll in die Performance einbezogen wird. Andererseits halte ich von dieser plakativen ACAB-Inszenierung wenig bis gar nichts. Aber wir sind hier schließlich nicht im Fernsehgarten, sondern bei einer Punkshow und ein bisschen Reibung gehört da einfach dazu.Nach einer kurzen Stärkung schnappe ich mir noch den letzten Rest von QUERBEAT – da scheint ordentlich was los zu sein – und schaue dann, ob mich RANTANPLAN wider Erwarten doch noch abholen kann. Tja, was soll ich sagen? Nicht jeder Tipp von guten Freunden zahlt sich aus. Der Punkanteil ist mir zu dominant, eher rauer Natur, und die Bläsereinsätze wirken für meinen Geschmack zu plakativ. Die Band selbst hat sichtlich Spaß an ihrer Performance, und auch das Publikum geht schnell begeistert mit.
Für mich reicht es trotzdem nicht, also nutze ich die gewonnene Zeit für einen Abstecher zur Seebühne, um mir COLDRAIN zu geben. Musikalisch ist mir Post-Hardcore oder Metalcore ohnehin deutlich näher als klassischer Punkrock, doch auch hier merke ich beim letzten Rest des Sets: Allzu starre Genregrenzen tun niemandem gut. Vieles klingt nach "schon mal (besser) gehört". Aber egal, denn jetzt stehe ich vor einer dieser Situationen, die bei Festivals fast schon dazugehören, hier aber dennoch überraschen: Ich könnte mich klonen und gleichzeitig drei Bühnen abgrasen. Auf der Hofbühne versprüht das Solo-Projekt von FANTA-4-Mitglied Thomas D. (gemeinsam mit Flo Mega & The KBCS) fast Wohnzimmer-Atmosphäre, im Kleinkunstzelt feuert MARKUS KREBS Kalauer im Minutentakt und auf der Hauptbühne startet mit ROYAL REPUBLIC mein persönlicher Festival-Favorit.Die Entscheidung fällt zwar schwer, aber die Schweden habe ich bisher nur einmal als Headliner beim Rock am Beckenrand erlebt, und schon nach wenigen Minuten weiß ich, dass ich heute nichts bereuen werde. Was folgt, ist eine perfekte, Co-Headliner-würdige Rockshow. Quasi Prime-Time-Unterhaltung der Extraklasse. Die Energie springt von der Bühne sofort ins Publikum und setzt sich direkt in die Beine aller Anwesenden. Es herrscht Zappelalarm in Eschwege.
Zwar liegt der Schwerpunkt auf dem aktuellen Album "LoveCop", doch auch hier gibt es eine gelungene Werkschau, garniert mit zwei starken Coverversionen: 'Battery' (METALLICA) und 'Venus' (SHOCKING BLUE). Besonders Frontmann Adam Grahn erweist sich als willkommene Abwechslung zu den oft übermäßig schüchternen und hypersensiblen Aushängeschildern vieler anderer Bands beim Open Flair 2025. Hier wird nicht jede Geste auf die Goldwaage gelegt, und die Libido darf endlich mal aus der dunklen Ecke treten. Genau so – oder besser gesagt: nur so – muss Rock'n'Roll sein.War YUNGBLUD vor einigen Monaten noch einer dieser Acts, in die man mal "reinhören kann", hat er sich mit seinem triumphalen Auftritt beim Abschiedskonzert von Ozzy Osbourne und dem überraschend starken Album "Idols" endgültig zum Pflichttermin gemausert. Und der Brite fährt hier groß auf: Nichts kommt vom Band und jedes Instrument wird von einer ganzen Schar Gastmusiker live gespielt. Sogar ein Streicherquartett steht prominent in der Bühnenecke bereit, auch wenn es nur für wenige Songs zum Einsatz kommt.
Der Einstieg mit 'Hello Heaven, Hello' ist zwar erwartbar, trifft mich aber trotzdem so unvermittelt, dass er mich fast aus den Schuhen haut. Was für ein Wahnsinns-Song. YUNGBLUD spielt den neunminütigen Opener seines aktuellen Albums nicht einfach an, sondern zelebriert jede Sekunde dieser Bombast-Nummer irgendwo zwischen QUEEN, THE WHO und LED ZEPPELIN. Besser wird es dieses Jahr auf dem Open Flair nicht mehr – das ist pures Festival-Gold. Natürlich kann er dieses Level im restlichen Set nicht mehr ganz halten, doch der Spagat gelingt ihm gut. Die neuen Songs bewegen sich im Britpop 2.0 (eine Art Hybrid aus OASIS und THE VERVE) während er zugleich seinen punkigen Gitarren-Hip-Hop der Anfangstage aufgreift. Die älteren Stücke wirken bisweilen noch nach "Style over Substance", doch die neuen sind durchweg emotionale Brecher, immer erstklassig gesungen. Was für eine Performance! Da verzeihe ich ihm auch die inflationär eingesetzten Kraftausdrücke gerne. Wer so abliefert, darf sich auch was leisten.
Auch wenn er musikalisch nicht mehr an den Opener anknüpfen kann, gelingt ihm das emotional noch einmal mit dem BLACK SABBATH-Cover 'Changes'. Ursprünglich nur als einmalige Aktion in Birmingham gedacht, hat YUNGBLUD nach Ozzys Tod entschieden, den Song fest ins Programm zu übernehmen. Eine goldrichtige Entscheidung: Diese ohnehin schon erhabene Ballade wird von ihm überragend interpretiert – einfach ergreifend. Während uns Ozzy nun für immer verlassen hat, steht für YUNGBLUD eine große Zukunft bevor. Hält er den Kurs von "Idols", muss man sich keine Sorgen machen, dass dieser Künstler in der Belanglosigkeit verschwindet.
Die Pause bis zum nächsten Act wird von einer verdammt coolen Aktion der Initiative "Kein Bock auf Nazis" gefüllt: Mit einer beeindruckenden Drohnenshow wird der Himmel über Eschwege zum leuchtenden Statement – zum Lächeln, Staunen und Nachdenken. Angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks ist diese Botschaft wichtiger denn je. Und wenn sich durch diese Aktion auch nur eine Person motiviert fühlt, aktiv gegen Nazis einzutreten, hat sich der Aufwand schon gelohnt.
Unabhängig davon passt das Ganze perfekt zu diesem durch und durch stabilen Festival, das sich seit jeher klar politisch positioniert. Meine Sorge bleibt nur, dass solche Effekte und die unzähligen Ansagen von Künstlern in dieser Bubble verpuffen – denn das Gros der Open-Flair-Besucher steht ohnehin auf derselben Seite. Besonders bitter stößt es auf, wenn Bands hier sehr lautstark Haltung zeigen, beim nächsten Auftritt im Osten aber keinen Mucks von sich geben. Auch eine Drohnenshow dieser Größenordnung hätte auf anderen Festivals vielleicht noch mehr Wirkung entfaltet – aber das ist ein anderes Thema.Nach dieser emotionalen Gedankenreise ist mir nun nach etwas Zerstreuung. Wir sind schließlich auf einem Festival und da darf's auch mal etwas Party-Beschallung sein. Also ab zur Seebühne, wo ein Party-Kutter aus dem quasi-karibischen Osnabrück vor Anker liegt: MR. HURLEY & DIE PULVERAFFEN. Beim Rockharz 2025 habe ich mir ihren Auftritt noch bewusst geschenkt, doch heute ist die Zeit reif für lockere Seemannsgeschichten irgendwo zwischen Jack Sparrow, Monkey Island und Captain Morgan.
Alte Hits wie 'Tortuga' treffen auf neuere Nummern wie 'Piraten: Megageil', und vor allem 'Meine Schnauze' entwickelt sich zum Running Gag des Abends. Klar, das ist stellenweise ziemlich dämlich aber so mit Herzblut und Enthusiasmus präsentiert, dass man darüber leicht hinwegsehen kann. Auf Tonträger zündet das für mich nur bedingt, doch heute Abend droht mir definitiv kein Guter-Laune-Skorbut. Die Freibeuter schaffen es, das Stimmungsbarometer stetig weiter hochzutreiben.
Höhepunkt ist ein Medley, das von 'The Irish Rover' über Eurodance-Hits ('Barbie Girl', 'Boom Boom Boom Boom!!') bis hin zu Zeitgeist-Nummern wie 'Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen' springt und dabei so ziemlich alles verwurstet. Am Ende fehlt nur noch der Übersong 'Blau wie das Meer', um das Publikum glücklich im Heimathafen abzusetzen. Wer es um halb eins schafft, noch derart viele Energiereserven zu mobilisieren, macht definitiv vieles richtig. Eine rundum gelungene Vorstellung.Zwar ist das musikalische Angebot am Samstag genauso bockstark wie an den restlichen Tagen, doch ich nutze den sonnigen Tag lieber für eine ausgedehnte Tour durch die Innenstadt, um mich vom vielfältigen Angebot an Bars, Kneipen und Restaurants überzeugen zu lassen. Großartig, wie flächendeckend der OF-Spirit hier in Eschwege gelebt wird. Am ehesten lässt sich das mit Wacken vergleichen – und ist doch ganz anders.
Die gesamte Fußgängerzone ist integriert, an jeder Ecke ziehen Walkacts umher und sorgen für beste Stimmung bei Jung und Alt. Ich bin so sehr im Hier und Jetzt gefangen, dass ich die Auftritte von SALT'N'TALES und DANKO JONES glatt verpasse. Am Nachmittag pendle ich dann entspannt zwischen verschiedenen Bühnen und lasse Acts wie ANTILOPEN GANG, KOCHKRAFT DURCH KMA oder INDECENT BEHAVIOUR auf mich wirken, ohne mich intensiver auf einzelne Konzerte einzulassen. Ich glaube, an diesem Punkt ist das Flair nun endgültig bei mir angekommen.Während am Abend ein Großteil des Publikums zum heutigen Co-Headliner NOTHING BUT THIEVES strömt, zieht es mich erneut zur Seebühne, wo RAUHBEIN seine Open-Flair-Premiere feiert. Offiziell unter Folk Rock geführt, finde ich diesen Bezug allerdings weniger passend. Durch die deutliche Nähe zu Deutschrock und NDH sticht die Band zwar im diesjährigen Billing heraus, bleibt für mich aber eher eine interessante Randnotiz. Frontmann Henry beschreibt seine Musik als Mischung aus SANTIANO und RAMMSTEIN und damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Leider ist das Ganze für meinen Geschmack sehr basisch, sowohl musikalisch als auch textlich wenig packend. Auch das Publikum wirkt ungewohnt verhalten und kommt nur schwer in Tritt.
Trotzdem schön zu sehen, dass sich das Festival auch solche Experimente noch traut. Jetzt aber schleunigst zurück zur Hauptbühne, denn dort bereitet sich I PREVAIL vor, das heißt für mich ein klarer Pflichttermin.
Zu meiner Freude (und Überraschung) schaffe ich es sogar noch relativ weit nach vorne. Damit hätte ich bei diesen Metalcore-Giganten aus den USA ehrlich gesagt nicht gerechnet. Doch das sollte nicht die letzte Überraschung bleiben.
Der Auftritt ist zwar handwerklich extrem professionell umgesetzt, doch die Songs selbst wirken erschreckend generisch. Was zur Hölle rechtfertigt diese hohe Billing-Platzierung und fast fünf Millionen Spotify-Hörer? Im deutschen Underground gibt es locker ein Dutzend Bands, die stärker abliefern und das sogar mit deutlich eingängigeren Songs. Damit spreche ich noch nicht einmal von echten Schwergewichten wie HEAVEN SHALL BURN, BEARTHOOTH oder KILLSWITCH ENGAGE. Ich bin verwirrt und bitte um Erklärung. Warum ich mir solche Gedanken während eines Metalcore-Gigs im Pit überhaupt mache?
Ganz einfach: weil hier tote Hose herrscht. Safe-Space in allen Ehren – aber ein bisschen "friendly violent fun" sollte doch wohl drin sein. Stattdessen: Pustekuchen. Offenbar interpretiere ich Nummern wie 'Into Hell', 'Self-Destruction' und 'Violent Nature# doch etwas anders als der Rest des extrem jungen Publikums, das mehr damit beschäftigt ist, Instagram-Stories hochzuladen, als den Pit in Bewegung zu bringen.
Eigentlich hatte ich erwartet, dass die jungen Hüpfer dem Ü40er mal zeigen, wie sich 90 Minuten Überlebenstraining anfühlen, aber stattdessen muss ich selbst aufpassen, nicht zu unterkühlen. Richtig Stimmung kommt dann auch erst auf, als im Rahmen von 'Choke' der SYSTEM OF A DOWN-Smasher 'Chop Suey' angespielt wird. Was ein Publikum. Alles also negativ? Nicht ganz: Mit dem Taylor-Swift-Cover 'Blank Space' bekommt mein innerer Swiftie am Ende noch einen schönen Moment serviert. Wäre nicht Herr Skibrille gewesen, hätte ich diesen Gig aber definitiv als Lowlight des Festivals verbucht.Puuh – jetzt brauche ich aber dringend noch einen positiven Abschluss, damit ich nicht komplett frustriert ins Bett falle. Zum Glück haben die Organisatoren für uns Millennials noch ein echtes Betthupferl im Programm: It's H-BLOCKX-Time! "Time to Move" ist mittlerweile über 30 Jahre alt und somit höchste Zeit, diese Kultscheibe gebührend zu feiern.
Also Zeitmaschine an und zurück ins Jahr 1994. Was sind wir damals im Konfirmandenunterricht zu 'Risin' High' eskaliert! Frontmann Henning Wehland wirkt sichtlich ergriffen von der Stimmung und davon, wie viel Bock das Publikum auch zu später Stunde noch auf diese nostalgische Extra-Portion Crossover hat. Neben den Klassikern vom Debütalbum zünden natürlich vor allem die obligatorischen Coverversionen. Ob das wuchtige 'The Power' (SNAP!), das energiegeladene 'Celebrate Youth' (Rick Springfield) oder die kultige Eigeninterpretation von 'Ring Of Fire' (Merle Kilgore). Jeder Song sorgt für Bewegung und ausgelassene Stimmung vor der Seebühne.
So findet der Samstag auch für mich noch einen versöhnlichen Abschluss.
"Risin' High, risin' high, let your will fly high" – mit diesem Schwung starten wir in den letzten Veranstaltungstag. Traditionell beginnt der Veranstalter hier bereits, das Areal rund um die Seebühne zurückzubauen, wodurch sich der Publikumsverkehr zunehmend auf die Radio-Bob!- und die Freibühne sowie die kleineren Nebenplätze verlagert. Für mich bleibt es auch heute beim lockeren Pendeln zwischen den beiden Hauptbühnen.
Den Anfang machen die Geschwister KITTY, DAISY & LEWIS, deren Musik mit ihrem Mix aus Rock'n'Roll, Blues, Swing und Country perfekt zur Hitze und meiner sonntäglichen Gefühlslage passt. Zwar sind die Bestände an Spaten längst leergetrunken, doch selbst das einzig verfügbare Beck's schmeckt zu dieser fluffigen Laid-Back-Musik erstaunlich gut. Retro wird hier noch authentisch gelebt: Das Equipment stammt größtenteils aus den 1950ern, die Songs sind entsprechend arrangiert und als zusätzliches Highlight rotieren die Geschwister unermüdlich an ihren Instrumenten. Jeder darf mal singen, jeder bringt seine eigene Spielweise ein und das verleiht den Tracks immer wieder ein ganz besonderes Extra. Ein toller Einstieg in den Tag, die Truppe notiere ich mir auf jeden Fall für die Zukunft.Mit DER BUTTERWEGGE geht es auf der Freibühne direkt weiter mit 100 Prozent Open-Flair-Musik. Musikalisch hält die Band die Balance zwischen Ska, Punkrock und Pop-Appeal und textlich schwankt sie zwischen ausgelassener Partylaune und klaren politischen Statements. Auch wenn ich nicht jede Botschaft unterschreiben würde – das Ganze ist richtig fett umgesetzt und voller Spielfreude. Für mich gehört der Auftritt sogar zu den stärksten, die ich in diesen fünf Tagen erlebt habe. Vor allem Namensgeber und Frontmann Carsten Butterwegge ist ein Sympathikus vor dem Herrn, der selbst mir als Hobby-Misanthrop ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Kein Wunder, dass ich Stunden später immer noch Lust auf 'Bier & Pommes' habe.
Für den Titel "beste Punkband des Festivals" reicht es aber dann doch nicht ganz. Denn was TEAM SCHEISSE im Anschluss abliefert, ist nahe an der Perfektion.
Eigentlich bedient das Team sich aus einem Zutatenkasten, mit dem ich normalerweise wenig anfangen kann und trotzdem entsteht daraus das Beste, was dieses Genre für mich zu bieten hat. Die Schrammelakkorde sind spannend gestaltet und durch gleich drei Gitarren entsteht ein anarchisch-großartiger Sound. Die Texte sind dadaistisch, grenzgenial, jede Zeile hat Kultpotenzial - so als hätte Rainald Grebe plötzlich eine Punkband gegründet. Abgerundet wird das Ganze vom unorthodoxen Gesang Timo Warkus', und fertig ist die erste Punkband, für die ich mir tatsächlich vorstellen könnte, mal auf Tour zu gehen. Mehr geht nicht und genau deshalb gönne ich mir danach erstmal eine Pause, um dieses Highlight wirken zu lassen.
Der Spätnachmittag und das frühe Abendprogramm sind ohnehin nicht ganz nach meinem Geschmack, also ziehe ich lieber noch einmal mit meinen Begleitern durch die Straßen und sauge die Stimmung dort auf. So verpasse ich zwar ENTER SHIKARI, aber die Engländer habe ich in der Vergangenheit schon mehrfach gesehen.
Zurück vor die Bühnen kehren wir erst zum ausklingenden Soundtrack von 01099. Fürs Einchecken und die Platzsuche der Fans ist das ein angenehm smoother Begleitsound – für mich persönlich bin ich allerdings froh, die Zeit lieber in der Fußgängerzone verbracht zu haben. Dieser moderne Deutschrap klingt in meinen Ohren ziemlich generisch und verzichtet komplett auf Reibungspunkte. Dagegen wirken selbst DIE FANTASTISCHEN VIER fast schon aggressiv. Das Publikum aber hat sichtbar Spaß, und die Flächen vor den Bühnen sind ordentlich gefüllt. Teilweise ist es sogar proppenvoll – ob wegen der folgenden Acts oder schlicht, weil die Seebühne nicht mehr parallel bespielt wird, lässt sich schwer sagen.Bei JULI ist dann endgültig kein Durchkommen mehr. Vor der Freibühne herrscht dichtes Gedränge. Eigentlich gehört diese Band im aktuellen Nostalgie-Fieber sowieso auf die Hauptbühne. Auch wenn viele Jüngere mit dem Millenniums-Pop-Rock wenig anfangen können – in die Kategorie "muss man einmal mitgenommen haben, wenn sie schon da sind" fällt das aber definitiv. Da für mich eher die Musik zählt als Showeffekte, ist es auch kein Problem, dass wir die Band nur über die LED-Wände der Hauptbühne sehen können. Einen Abriss darf man von Eva Briegel und Co. ohnehin nicht erwarten, doch mir gefällt es richtig gut.
Zwischen alten Klassikern wie 'Fahrrad', 'Elektrisches Gefühl', 'Dieses Leben' und 'Regen und Meer' behauptet sich mit 'Fette wilde Jahre' zwar nur ein neuer Song, doch dieser leicht melancholische Grundton passt perfekt zum langsam ausklingenden Festival. Natürlich sind es die großen Hits, die die stärksten Emotionen auslösen: 'Perfekte Welle' und vor allem 'Geile Zeit'. Sie spiegeln das Gefühl wider, das wohl viele in diesen Tagen erlebt haben. Ob ganz im Hier und Jetzt oder mit einem Blick zurück in die eigene Jugend. Ach herrlich. Eigentlich wäre das schon ein wunderbarer Schlusspunkt gewesen.Aber dann kommt ja noch PAPA ROACH auf der Hauptbühne oder anders gesagt: 20.000 Menschen warten auf 'Last Resort'. Die Amerikaner haben zwar noch vier bis fünf weitere ordentliche Songs im Gepäck, doch die kennt außerhalb der rund 500 Hardcore-Fans vor der Bühne kaum jemand, und sie reichen bei weitem nicht, um eine komplette Headliner-Show zu tragen. Also greifen Jacoby Shaddix und seine Mitstreiter zu einem Trick: Sie spielen Snippets der großen Nu-Metal-Vorbilder an und covern sie. Und siehe da: Bei 'Break Stuff', 'Chop Suey' oder 'My Own Summer' geht deutlich mehr Stimmung auf als bei allen eigenen Tracks zusammen. Sehr schade.
Selbst ein Überhit wie 'Last Resort' kann die Show nicht über volle 90 Minuten tragen und entwickelt mit dem ganzen Ballast am Ende nicht den Punch, den man erwartet hätte. Die Reaktionen sprechen eine deutliche Sprache. Von erleichtertem "Na endlich kommt es" bis hin zu ernüchtertem "Hat man das auch mal gehört" ist alles dabei. Ich weiß, dass es mit internationalen Acts schwierig ist, hier Maßstäbe anzulegen, aber für mich hätte man JULI und PAPA ROACH gerne im Zeitplan und auf den Bühnen tauschen können. Das anschließende Feuerwerk hätte nach 'Geile Zeit' noch viel majestätischer gewirkt, aber so bleibt ein kleiner, aber spürbarer Bruch im dramaturgischen Fluss des Abends.Aber auch so habe ich eine wunderbare Zeit. Wie zu erwarten, sind die unterschiedlichen Performances der Bands nur einzelne Puzzlestücke im grandiosen Gesamterlebnis. Die große Diversität sorgt nicht nur für viel Abwechslung (und liegt mir damit deutlich näher als zum Beispiel das PARTY.SAN), sondern ergänzt mein sonst eher metallisch geprägtes Konzert- und Festivalprogramm um eine ganz individuelle Note. Genau dieses positive Feedback spiegeln mir auch meine Begleiter wider.
Wenn Arbeitskollegen wie mein guter Kumpel Bene das Festival an einem Tag sogar ohne Ticket besuchen, nur um das Flair der Stadt aufzusaugen, spricht das für die Qualität dieser Veranstaltung. Wem diese subjektive Schwärmerei nicht reicht: Das Open Flair wurde beim jährlichen Reeperbahn Festival im Rahmen des HELGA-Awards erneut als "Bestes Festival 202" ausgezeichnet. Damit geht der Preis bereits zum wiederholten Mal nach Eschwege – stabile Leistung für ein stabiles Festival.
Selbstverständlich findet das Open Flair auch 2026 vom 5. bis 9. August wieder statt. Mit Acts wie SDP, FEINE SAHNE FISCHFILET, DRITTE WAHL, OUR MIRAGE und KUPFERGOLD hat das Festival bereits ein paar heiße Eisen im Feuer. Ob ich wieder dabei sein werde? Die Chancen stehen nicht schlecht und ich glaube, nächstes Jahr nehme ich mir auch mal den Campground etwas genauer unter die Lupe.
Text: Stefan Rosenthal
Vielen Dank an folgende Fotografen zur Bereitstellung der Bilder:
Photo Credit: Steffen Höhre (Wasserspiel)
Photo Credit: Doris Büschel (RAUHBEIN)
Photo Credit: Christian Walter (REIS AGAINST THE SPÜLMACHINE, H-BLOCKX)
Photo Credit: Stephan Lindner (FRYTZ, MR. HURLEY & DIE PULVERAFFEN, TRIPKID)
Photo Credit: Patrick Schulze (FUTURE PALACE, PAPA ROACH, RANTANPLAN, ROYAL REPUBLIC, YUNGBLUD)
Photo Credit: Markus Claus (Walking Act, RAUM27)
Photo Credit: Christine Kuncke (alle weiteren verwendeten Bilder)
- Redakteur:
- Stefan Rosenthal