Obituary/Master - Berlin
02.11.2004 | 10:3322.10.2004, K17
Der Wahnsinn beginnt mit einem Bart. Das lange Rauschehaar ums Kinn gehört zu Paule Speckmann, seines Zeichens der Brüllkopf bei den Death Metal-Urgesteinen von MASTER. Die gar nicht mehr so jungen Jungs spielen an diesem Abend im K17 in Berlin-Friedrichshain, sie supporten OBITUARY - das haben an diesem Tag nach Erzählungen auch schon die Deather DEBAUCHERY und VISCERAL BLEEDING getan. Doch watscheln gerade die ersten beiden Bands an diesem Abend durch eine Woge Pech, das Konzert startet schon kurz nach 18 Uhr, da ist noch kaum ein Fan da, geschweige denn moshwillig. Obwohl, DEBAUCHERY haben eigentlich Glück - Allan West von OBITUARY soll wohl für einen Song auf die Bühne gekommen sein und mit den blutbesudelten Musikern das SIX FEET UNDER-Stück 'War Is Coming' gezockt haben. Doch der echte Krieg in der Halle bleibt aus.
Es liegt nun also an MASTER als Anheizer, die Leute auf Trab zu bringen. Dieses Vorhaben klappt im K17 ziemlich optimal. Die Amis kloppen von Anfang an aggressive Old School-Stücke auf Todes-Metal-Art ins Publikum, dass im großen Saal des K17 inzwischen auf rund 250 Leute angewachsen ist. Vor denen treten MASTER den Beweis an, dass "Fan" nicht in den frühen 90ern sozialisiert sein muss, um Speckmann und Konsorten geil zu finden: Eine ziemlich auf Gothic getrimmte Schönheit füßelt im Pinguin-Schattentanzschritt vor und zurück und hinterlässt verwunderte Gesichter bei den alten MASTER-Fans. Doch bald werden diese wieder von der betont auf alt getrimmten Sound-Wand der drei Amis erschlagen, besonders der Regler für die Gitarre ist herrlich laut gedreht. Dadurch klingen auch die doomigen Parts von MASTER richtig fett, Speckmann brüllt dazu so laut und bestialisch, dass sein Fast-Namensvetter und TV-Heulsuse Beckmann wohl nur noch jammernd unter seinem Psycho-Tisch kriechen würde. Weiterhin besticht der Drummer als Meister im Fach "Lustige Erschöpfungsgrimmassen für Jedermann", im Bühnen-Rotlicht wirkt der Schweiß an seinem Kopf noch beeindruckender. Einziges Manko: Mit zunehmender Dauer des Gigs scheint der Sound schlechter zu werden, nur noch Drums und Gitarre dröhnen ... aber die Metal-Front im K17 stört sich daran nicht, eine Hälfte rockt, die anderen 50 Prozent blödeln herum. MASTER-Speckmann streckt ihnen allen am Ende ein volles Glas Cola-Wodka entgegen: Cheerz, Man!
Dann sind OBITUARY dran und rocken von Beginn an den Laden in Schutt und Asche, 300 bis 400 Köpfe müssen mitkreisen. Bei einem Eintrittspreis von rund 25 Euro bekommen die Leute zum Glück keine 08/15-Show geboten, sondern OBITUARY in Höchstform. Trevor Peres an seiner Klampfe ist dabei der eine Typ mit der Wahnsinnsmatte des Abends, da kann nur OBI-Oberrülpser John Tardy mit seinen langen blonden Haaren mithalten. Dafür trägt der Frontmann der Amis eine modische Kaki-Hose samt langem schwarzen Oberteil, ist auch noch 20 Jahre nach der Gründung dieser göttlichen Combo ein echtes Tier und klingt wie eine verkorkste Mischung aus explodierendem Dieselmotor, Löwe und heißem Stimmbandschwefel - eben unbeschreiblich brutal, laut und mitreißend. Ähnlich ungesund sieht neuerdings der kahle Kopf von Gitarrist Allan West aus - doch machen lange Haare allein keinen guten Gig und so schreiten er wie auch die anderen Bandmitglieder absolut motiviert und professionell über die Bühne, in der heiligen Mission, die Fans zum Kochen zu bringen. Das gelingt im K17 noch besser als etwa in diesem Jahr beim Fuck The Commerce, auf dem OBITUARY noch eine eher schwächere Leistung geboten hatten - davon ist in Berlin nichts, aber auch gar nichts mehr zu merken. Die Bangmasse vor der Bühne beträgt mindestens fünf Meter, Klassiker wie 'Final Thoughts', 'Threatening Skies' oder 'By The Light' klingen auch nach Jahren noch voller Feuer, ebenso die Zugabennummer 'Slowly We Rot'. Zwei neue Songs klingen auch an, machen Lust auf die kommende Platte, die irgendwann 2005 erscheinen soll. Die genauen Titel gehen in der allgemeinen Mosh-Euphorie verloren. So bleibt noch ein saugeiles Instrumental in der blauumnebelten Erinnerung gerade noch so kleben, war es 'Dying' von der "Cause Of Death"?! Ja! Und stand während des Songs plötzlich John Tardy im verdutzten Publikum und grinste freundlich vor sich hin?! Ja! Neben dem Frontmann steht Mister Speckmann, auch er sieht glücklich aus unter seiner Kopfsocke, die er über seinem Rauschehaar trägt. Fast wird Specki umgerissen, von Carlos, dem heißblütigen spanischen Sänger der Berliner Deather SECRETUM - Carlos nutzt den Abend zum aktiven Bang- und Diver-Sport. Geht auch einfach bei OBITUARY, die nur ein Fazit zulassen: Totgeiler Auftritt, viele verschwitzte Gesichter, Zugaberufe noch und nöcher. Mehr. Letzte Aggressionen können anschließend im selben Haus bei der parallel steigenden Dark-Disko beim intoleranten Goten-Schubsen abgebaut werden...
- Redakteur:
- Henri Kramer